dichtete u. a. seinen anmutvollen Jwein", Wolfram seinen großartigen Parzival", Gottfried sein wundersames Gedicht von Tristan und Isolde ", in welchem er der christlichen Mystit und Askese gegenüber als genialster Wortführer der Natur und der Leidenschaft wie des echt Menschlichen sich erweist. Sein Werk ist nicht nur ästetisch kostbar, sondern auch kulturgeschicht lich merkwürdig, weil Gottfried, dieser Goethe des Mittelalters, mit lächelnder Ueberlegenheit auf so manchen tollen Glaubens­spuf seiner Zeit herabsah, und z. B. bei der Gelegenheit, wo Isolde, um ihre Unschuld zu beweisen, die Feuerprobe bestehen muß, das blödsinnige Institut der Ordalien höchst ergözlich ver­höhnt, indem er die vorgebliche Einwirkung Gottes durch eine lustige Weiberlist pariren läßt und sich dabei über den vil tugendhaften Krist" mit Worten äußert, die ihm heutzutage ohne Zweifel einen Gotteslästerungsprozeß zugezogen hätten.

Zugleich mit der hösisch- kunstmäßigen Epik gelangte die ritterliche Lyrit zur Entfaltung, die wegen ihres Grundtons als Minnesang bezeichnet wird. Die ältesten Minnelieder tragen noch ein volkstümliches Gepräge; bald aber wurde unter den Händen adeliger Sänger der Minnesang eine adelige Kunst, die aus der Pflege von Blinden und Bettlern in die von Königen und Fürsten überging und an den glänzenden Höfen gehegt und gepflegt wurde. Besonders war die Wartburg bei Eisenach , wo der Landgraf Herman von Thüringen, ein eifriger Förderer dieser Dichtkunst, seinen Wohnsiz hatte, der Sammel­plaz der begabtesten Minnesänger; sie war das Weimar des 13. Jahrhunderts, wovon der in Kunst und Sage vielgefeierte Sängerkrieg auf der Wartburg Zeugnis gibt. Der erste Rang unter allen Minnesängern, deren man mehr als 150 fennt, ge­bührt unstreitig dem wackeren Walter von der Vogelweide ( c. 1230), über welchen Gottfried von Straßburg singt: Der Nachtigallen sind viele, wer aber soll der ganzen lieben Schaar Leitfraue und Meisterin sein? Ich kenne sie wohl, es ist die von der Vogelweide. Hei, was die über die Haide mit hoher Stimme flinget! was Wunder sie uns bringet! wie fein sie organiret, ihr Singen moduliret! Die weiß wohl, wo sie suchen soll der Minne Melodien." Walter zeichnet sich von den meisten seiner deutschen Zunstgenossen auch dadurch vorteil­haft aus, daß er nicht blos von Liebe singt, den Frauen huldigt und den Lenz preist, sondern auch als mannhafter Denker und hellsehender Patriot gramschwere Lieder dichtet über den Unter­gang deutscher Größe und Tugend, und die Verderbnis des Pabsttums und der Klerisei wie die Erbärmlichkeit der Fürsten in zornvollen Worten straft. Auch andere Dichter jener Zeit pflegten neben der Epik und Lyrik die Lehrdichtung, welche sich zur Aufgabe machte, die Verschrobenheit und Entartung in Kirche und Staat wie im geselligen Leben zu geißeln. Und als der Minnesang selbst zu Ende des 13. und Anfang des 14. Jahr hunderts in Geschmacklosigkeit, Lüge und Unsittlichkeit auszuarten begann, richtete die Didaktik gegen denselben ihre nicht selten mit scharfer satirischer Lauge gebeizten Dichtungen.

Bevor wir uns zu einer späteren Epoche wenden, müssen wir zwei hervorragende Erzeugnisse der satirischen Literatur registriren, von denen die eine Italien , die andere dem Orient angehört. Drei geniale Geister waren die Schöpfer der ita­ lienischen Literatur: Dante , der Dichter der göttlichen Komödie, Petrarca , der Dichter der Sonette an Laura und Boccaccio , der Dichter des Dekamerone. Der leztere ist es, mit dem wir uns zu befassen haben; denn seine Meisterschöpfung ist vor­zugsweise eine Satire gegen Geiftlichkeit und Möncherei. Das Werk, durch welches sich Boccaccio ( 1313-1375) als dritter Begründer der italienischen Literatur zu Dante und Petrarca gesellte und durch welches er der Vater der italienischen Prosa geworden, ist sein Novellenbuch ,, il Decamerone "( gr. deca zehn, hemera Tag), so betitelt, weil es in zehn Tage und jeder Tag in zehn Novellen eingeteilt ist. In diesen zumteil schlüpf­rigen Novellen( weshalb das Buch, das noch heutigen Tags das Volksbuch der Italiener blieb, nur reifen Personen in die Hand gegeben werden kann) schildert er Menschen aus allen Ständen und von allen Karakteren und Altern, und Verhält

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nisse jeglicher Art, bald heiter und ausgelassen, bald rührend und tragisch, mit unnachahmlichem Reize und anmutsvoller Sprache. Schon der Rahmen, welcher das bunte novellistische Mosaikgemälde umspannt, ist recht poetisch. Sieben junge, schöne und gescheite Mädchen und drei Jünglinge entweichen vor der schrecklichen Best, welche 1348 Florenz verheerte, auf ein ein­sames Landgut, wo ihnen die Tage unter anmutigen Beschäf= tigungen und Genüssen der Lieb und Freundschaft verstreichen, während sich an den Abenden die ganze Gesellschaft versammelt und jedes Mitglied derselben eine Novelle erzählen muß. Die Beschreibung der Pest, welche diesen Erzählungen vorausgeht, bildet durch ihre furchtbare Anschaulichkeit einen höchst wirk­samen Kontrast zu den hellfarbigen Gemälden, welche die nach­folgenden Novellen entrollen. Die Mannichfaltigkeit dieser Ge­mälde ist außerordentlich groß, die Darstellung edler, zarter und rührender Züge und Gefühle wechselt mit den mutwilligsten Standalien der Sittenverderbnis jener Zeit, eine Fülle feinster Marimen und Lebensregeln mit der nachdrücklichsten Satire. Der Geißelschlag derselben trifft, wie bereits bemerkt, besonders die Geistlichkeit, deren Lüsternheit und Heuchelei mit den grellsten, aber immer komisch aufgesezten Farben gemalt wird. Boccaccio ", sagt ein Italiener, versammelt in einem Buche die Tugenden und Laster des Menschengeschlechts; er zeigt uns Betrüger und Betrogene, Geizhälse und Wüstlinge, Juden, Heiden und Christen, Damen und Ritter, Pilger und Heilige, Helden und Räuber, Heuchler und Narren, Könige, Päpste und vor allem Mönche, weiße, schwarze, graue und blaue Mönche, Mönche ohne Ende; fein italischer und wenige ausländische Autoren haben das Herz des Menschen so genau gekannt und seine Eigenschaften kräftiger geschildert, keiner besaß in so hohem Grade jene komische Ge­walt, welche die Menschen zu zwingen vermag, über ihre eigene Schwäche zu lachen, und sie auf ihre eigenen Unkosten weiser und besser macht. Wen dieser köstliche Schäfer nicht zum Lachen bringt, sagt Scherr, kann nichts besseres tun als in ein Karthäuserkloster gehen, und der Dichter Waiblinger singt:

Glücklich sind die, so dir lauschen; gewiß der olympische Vater Schämte sich nicht und mit Luſt hört ein Histörchen er an. Boccaccios Art und Weise, insbesondere sein stark satirischer Beigeschmack, seine lachende Feindseligkeit gegen die Pfaffen, blieb in der italischen Novellistit tonangebend und fand eine Menge Nachahmer. Aber auch in England hat Boccaccio einen satirischen Geist erweckt in dem Dichter Chaucer ( 1400), dem Homer Englands", wie er, freilich sehr übertrieben, ge­nannt wurde, der durch Begründung der englischen Dichtersprache und Ausbildung der Form der Vater der britischen Poesie ge­worden ist. In seinen in der Anlage dem Dekamerone nach­geahmten Canterbury- Geschichten" hat er mit scharfmartirter Zeichnung, drastisch- kräftigem Pinsel und satirischem Kolorit eine ebenso belehrende als ergözliche Karakteristik der verschiedenen Gesellschaftsklassen und der Sittenzustände von Altengland ge­liefert. Zur selben Zeit, da im Abendland Boccaccio seine satirische Geißel über Pfaffen und Mönche der Christenheit schwang, schoß im Morgenland einer der größten Dichter aller Zeiten seine lachenden Pfeile auf das moslemische Mönchtum und die moslemische Ortodoxie ab. Dieser Dichter ist Hafis , geboren zu Schiras in Persien , gestorben 1389 zu Mosella, einer Vorstadt seines Geburtsorts, ohne Frage der größte Lyriker, welchen im Orient der Kuß der Muse erweckt hat. Der Divan des Hafis , d. h. die Sammlung seiner Gedichte, gehört zu den herrlichsten Erzeugnissen der Weltliteratur. Die von Weltfreude und Genußseligkeit trunkene Seele eines freiheitsbegeisterten Panteisten sprudelt da funkelnde Liederperlen in überschäumender Fülle aus. Von Wein fließt über, von Nachtigallentönen schmet­tert, von Küssen flüstert das ganze Buch. In den graziösesten Wendungen gleiten die Verse dahin, geschmückt mit herrlichen Bildern, schwellend von lebensfreudigen Gedanken, in dityram­bischen Jauchzlauten Natur, Schönheit und Liebesgenuß preisend, gegen allen Buchstabendienst, alle Wertheiligkeit und Pfaffheit, alle Dummheit, Heuchelei und Muckerei blizende Pfeile ab schnellend, voll Anmut, Süßigkeit und sprudelnder Laune, mit