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Weihnachten, was die ungünstigste Zeit des Jahres ist, wegen| Hof; er kommandirte die Flotten und führte die Armeen; kurz, der Schwierigkeit, das Vieh zu ernähren, während man selbst nicht weiß, wo man bleiben soll. Der König von Preußen hätte es nicht schlimmer machen können."
Genau die nämlichen Feudalrechte, nämlich die Zehnten, die unveräußerlichen Grundzinsen, das Lehngeld bei Kauf und Verkauf, was man damals die Knechtschaft des Bodens nannte, fanden sich in ganz Europa und waren sogar in den meisten andern Ländern noch weit drückender. Die zwei Hauptgründe, weshalb die nämlichen Lehnrechte im Herzen des französischen Volkes einen so unauslöschlichen und furchtbaren Haß erregt haben, erblickt Tocqueville einerseits darin, daß der französische Bauer Grundeigentümer geworden war und andrerseits darin, daß er der Regierung seines Gutsherrn völlig entzogen war.
Es ist nämlich ein Irrtum, wenn man glaubt, die Teilung des Grundeigentums in Frankreich datire erst von der Revolution her; während noch im Jahre 1788 in den meisten deutschen Staaten der Bauer das Gut seines Lehnsherrn nicht verlassen durfte, der Gerichtsbarkeit desselben unterworfen war, nicht ohne Genehmigung seines Herrn heiraten noch einen andern Beruf wählen durfte u. s. w., cristirte in Frankreich etwas Derartiges längst nicht mehr. Der Bauer ging, kam, kaufte, verkaufte, schloß Verträge und arbeitete ganz nach Velieben. Schon 20 Jahre vor der Revolution gibt es landwirtschaftliche Gesellschaften, welche die übermäßige Zerstückelung des Bodens beklagen.„ Die Teilung der Erbschaften," sagt Turgot um dieselbe Zeit, ist eine solche, daß dasjenige, was für eine einzige Familie hinreichte, unter 5-6 Kinder verteilt wird. Diese Kinder und ihre Familien können fortan nicht mehr allein von ihrem Acker leben."- Allerdings hat die Revolution die Güter der Geistlichkeit und einen großen Teil der jenigen der Edelleute verkauft; die Mehrzahl dieser Güter wurde aber von Leuten gekauft, die bereits deren andere besaßen, und nach dem Ausspruch Neckers gab es schon vorher eine unge heure Anzahl Grundeigentümer. Gerade der Umstand aber, daß man einen Teil der Institutionen des Mittelalters ver nichtete, machte das davon Uebriggelassene hundertmal unerträglicher und verhaẞter. Hätte der Bauer den Boden nicht besessen, so würde er unempfindlich für manche der Lasten gewesen sein, welche das Feudalsystem auf dem Grundeigentum ruhen ließ. Was macht sich aus dem Zehnten derjenige, der nur Pächter ist? Er zieht ihn vom Ertrage des Pachtes ab. Was macht sich aus dem Grundzinse derjenige, der nicht Eigentümer des Bodens ist? Was fümmern selbst die Hindernisse der Ausbeutung des Bodens denjenigen, der ihn für einen anderen aus
beutet?
Hätte andrerseits der französische Bauer sich noch unter der Regierung seines Gutherrn befunden, so würden ihm die Leheusrechte bei weitem nicht so unerträglich erschienen sein, weil er darin nur eine natürliche Folge der Landesverfassung gesehen hätte. Wenn der Adel nicht blos Privilegien, sondern auch politische Macht besizt, wenn er regiert und verwaltet, so können seine besondern Rechte größer und doch zugleich weniger auffällig sein. Zur Zeit des Lehenswesens erblickte man in dem Adel die Regierung; man frug die Lasten, die er auflegte, aus Rücksicht auf die Sicherheit, die er gewährte. Die Edelleute hatten lästige Privilegien, sie besaßen drückende Rechte, aber sie hatten auch Pflichten: sie sicherten die öffentliche Ordmung, verwalteten das Recht, ließen die Geseze vollziehen, kamen dem Schwachen zu Hilfe und leiteten die öffentlichen Angelegenheiten. Da der Adel aufhörte, diese Dinge zu ver richten, erscheint die Last seiner Privilegien drückender und selbst ihre Existenz läßt sich nicht mehr begreifen.
Ludwig XIV. hatte es verstanden, die Großen zu unterwerfen und sie von allen wichtigen Regierungsgeschäften zu verdrängen, indem er sie an den Hof rief, wo sie in Vergnügungen und Gnadenbezeugungen den Lohn ihrer Unterwürfigkeit erhielten. In der Gesellschaft hatte der Adel noch den Rang, den Reichtum und die Achtung voraus, die allezeit dem, was alt ist, gezollt wird; er umgab den Fürsten und bildete seinen
er tat, was den Zeitgenossen am meisten ins Auge fällt und nur zu oft auch die Blicke der Nachwelt fesselt. Man würde aber einen großen Herrn beleidigt haben, hätte man ihm den Posten eines Intendanten angeboten; der ärmste Edelmann hätte eine solche Stelle in den meisten Fällen verschmäht und doch regierten diese Männer von meist bürgerlicher Herkunft Frankreich . Ihren Händen war fast alle Macht anvertraut; sie korrespondirten mit den Ministern und waren in der Provinz die einzigen Vertreter und Vollstrecker des Willens der Regierung. Es gab wohl noch ab und zu Herren des hohen Adels, welche Provinzgouverneure hießen; man gewährte diesen aber nur noch Ehren, Macht hatten sie keine mehr. Das Leben des reichen liederlichen Edelmannes verfloß ganz in jenen müssigen und nichtigen Beschäftigungen, wodurch sein Geist er= niedrigt und sein Stand zum Stichwort und zum Schimpf unter den Völkern wurde. Wichtiger als alle Fragen der Politik und des Volkswohls waren für diese hohlen Köpfe die Fragen der „ Etikette": wer bei Hofe einen Armstuhl haben, wer zu der föniglichen Tafel gezogen und wer davon ausgeschlossen sein, wer von der Königin gefüßt und wer nicht von ihr geküẞt werden, wer den vordersten Siz in der Kirche haben sollte, welche Würde ein Edelmann erlangt haben mußte, um das Recht zu haben, in einer Kutsche in's Louvre einzufahren, wer bei Krönungen den Vorzug haben sollte u. s. w. u. s. w.
Das Ziel des höchsten Ehrgeizes waren Bänder, Sterne und Kreuze oder die Vergünstigung, den Herrscherstab bei Hofe zu tragen, dem Könige die Serviette zu überreichen, ihm das Waschbecken zu halten oder ihm das Hemd anzuziehen u. dgl., während andere darnach strebten, ihre Töchter und Frauen zu Ehrendamen oder gar zu Mätressen zu erheben!
Inmitten dieser noblen Passionen fand der Adel keine Zeit mehr, an das Wohl seiner Untertanen zu denken. Während im preußischen Gesez von 1795 noch gesagt ist:" Der Gutsherr soll dafür sorgen, daß die armen Einwohner Unterricht empfangen; denjenigen seiner Untertanen, die kein Feld haben, soll er, soweit möglich, Lebensunterhalt verschaffen; diejenigen unter ihnen, die etwa verarmen, ist er zu unterstützen verpflichtet," eristirte seit langer Zeit kein derartiges Gesez mehr in Frank reich . Da man dem Gutsherrn seine alte politische Macht ge= nommen hatte, so hatte er sich auch seinen alten Verpflichtungen entzogen. Das Volk sah kümmerlich und zerlumpt aus; ein Kleid vererbte sich von der Großmutter auf die Enkelin und die Schuhe des Großvaters auf den Enkel. In der Straße fein Pflaster; Nachts feine Laternen; an den Dächern keine Rinnen; die kleinen eingeschlagenen Fensterscheiben seit 20 Jahren mit einem Stück Papier verklebt.
Und mitten durch das große Elend schritten die Amtleute, Vögte, Gerichtshalter, Notare und Schreiber aller Art, um die Hunderterlei Arten von Abgaben, Zinsen, Steuern, Frohnden für den Gutsherrn und daneben noch Sporteln, Schreibgebühren und Geldstrafen aller Art für sich selbst einzutreiben. Nach diesen kamen ganze Schaaren von Barfüßern, Franziskanern, Kapuzinern und Bettlern von allen möglichen Orden, welche auf Kosten des Landvolks sich's wohl sein ließen vom ersten Tag des Jahres bis zum Sylvester.
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Damit war aber das Maß der Leiden noch nicht voll; die ärgste und verhaßteste Steuer war der Zehnte, d. h. die elfte Garbe, welche man dem Pfarrer geben mußte kurzum es war, als ob Edelleute und Pfaffen sich vorgenommen hätten, die unglücklichen Bauern auszurotten und als ob sie nur auf Mittel dächten, dies fertig zu bringen. In einem solchen Abgrunde von Vereinsamung und Elend lebte der französische Bauer, daß ein mitleidiger Edelmann selbst sich nicht enthalten konnte, in einer guten Stunde einem Bekannten zu schreiben: ,, die armen Tiere, die, zur Erde gebeugt, bei Regen und Sonnenschein das Brod für jedermann gewinnen, verdienten doch auch, ein wenig davon zu essen."
( Schluß folgt.)