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Zur Kolonialfrage.

Von Bruno Geiser.

Uebervölkerung ist ein Gespenst, das fast alle Kanne­gießer, hin und wieder sogar auch einen sonst kühl urteilenden, vernünftigen Menschen arg ins Bockshorn gejagt hat. Und wenn man die Statistik der Bevölkerungsbewegung vor sich hin auf den grünen Tisch legt, die Nase tief darein vergräbt, wohl gar die Feder in die Hand nimmt und zu rechnen beginnt, wieviel, Prozent auf Prozent gerechnet, Deutschland  , Europa   und die gesammte Erde in 50, 100, 1000 Jahren Bewohner haben möchte, dürfte, sollte, ja sogar das Einmaleins ist uner­bittlich! haben muß, dann stehen einem wirklich die Haare zu Berge, und man begreift nicht, wo man dereinst Kar­toffeln und Cichorie genug wird hernehmen können, um die milliarden Staubgeborener wenigstens auf gut oder vielmehr schlecht erz oder eulengebirgisch zu nähren, wenn diese Art Magentäuschung überhaupt noch nähren" genannt werden kann. Eines der gelehrtesten Häuser aller Kulturvölker- der Kanzler der Universität Tübingen   Herr G. Rümelin ist einer von den mit echt deutscher   Urgründlichkeit ausgestatteten Menschen, die gelegentlich das unabweisbare Bedürfnis zu em­pfinden scheinen, eine Untersuchung anzustellen, ob sie bei all' ihren unergründlich tiefen Studien nicht etwa das Hantiren mit den vier Spezies verlernt haben. Bei solch' einer ersprießlichen Untersuchung entdeckte Herr Rümelin, daß Deutschland   bei einem jährlichen Bevölkerungszuwachs von nur 1 Prozent, in Wahrheit ist die Volksvermehrung in Deutschland   in neuester Zeit beträchtlicher- im Jahre 2000, also schon nach 118 Jahren nicht weniger als 160 millionen Menschen, im Jahre 3000 etwa soviel als jezt die ganze Erde, nämlich 1200 millionen und im Jahre 5000 die geehrten Leser mögen sich auf die 36 milliarden entsezliche Botschaft gebührend vorbereiten Menschen haben wird. Furchtbar! 36 Milliarden! Und das schon­in Dreitausend und achtzehn Jahren?!!

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Ich weiß nicht, ob es außer Herrn Rümelin noch viel Menschen gibt, die sich darüber den Kopf zerbrechen, wo unsre lieben Nachkommen in 3000 Jahren ihr tägliches Brot her nehmen werden; was mich anbelangt, so bin ich Rabenurahn genug, um mich den Teufel darum zu kümmern. Selbst die Frage, was nach der für einen großen Gelehrten lächerlich win­zigen Zeitspanne von 118 Jahren das deutsche   Volk essen und trinken wird, läßt mich vorläufig fühl bis ans Herz hinan. Ich denke: warum in die Ferne schweifen, sieh das Elend liegt so nah

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Warum zerbrechen sich unsre großen Gelehrten nicht lieber mehr, viel mehr als geschicht, den Kopf darüber, wie es zu machen ist, daß wird. h. das Volk der Gegenwart-leib lich und geistig besser zu leben, besseres zu genießen vermögen? Warum? Nun ich denke, weil den Spekulationen über die Lösung der Fragen unsrer Zeit Taten auf dem Fuße folgen müßten, wenn jene Spekulationen nicht sofort als müßige, über flüssige, nichtsnuzige erkannt werden sollten, und weil unsre ge­lehrten Herrn Zeitgenossen sich durch etwas so ordinär Hand­greifliches oder zum mindesten Augenfälliges, wie Taten sind, nicht gern ihre sublimen philosophischen oder naturwissenschaft­lichen Zirkel stören lassen.

Indessen, ich will nicht ungerecht sein! Grade das Schreck gespenst der Uebervölkerung hat manchen deutschen   Gelehrten und, wenn ich nicht irre, auch Herrn Rümelin auf den Ge­dauken gebracht, daß wir uns vor dem Elend, daß da mit den kommenden Jahrhunderten über uns heraufziehen wird, durch allerlei in der Gegenwart zu treffende oder anzubahnende Schuz vorkehrungen retten müßten.

Eine dieser Schuzvorkehrungen und eine der hauptsächlichsten ist die Gründung von Kolonien, über deren Notwendigkeit während der lezten drei Jahre in Deutschland   viel geschrieben und gestritten worden ist.

Kolonien besizt namentlich England in allergroßartigstem Maße; in Afrika   1½½2 millionen Quadratkilometer, in Asien  21/2 millionen, in Ozeanien  ( Australien  ) fast 8 millionen und in Amerika   sogar über 9 millionen, im ganzen 21 millionen Quadratkilometer mit 200 millionen Einwohnern. Nächst Eng­land sind am meisten mit Kolonien gesegnet die Niederlande, die in Asien   1/2 millionen, in Ozeanien   177 000, in Amerika  120000, insgesammt 1800000 Duadratkilometer außereuropäisches Land mit 25 millionen Menschen besizen. Rußland   ist an Flächeninhalt seiner Kolonien, beziehentlich seiner außereuro­päischen Besizungen, sehr viel reicher; hat jedoch auf 16 mill. Quadratkilometer nur 13 millionen Bewohner aufzuweisen. Auch Spaniens   Kolonien sind fast noch einmal so umfangreich als die der Niederlande  , an Bewohnern derselben haben sie aber nur 8 300 000, während Frankreich   mit einem Kolonialterritorium von 615 000 Quadratkilometer 62 millionen Bewohner, Por­ tugal   mit 1 800 000 Quadratkilometer 33 millionen Bewohner und Dänemark   mit 88 000 Quadratkilometer 47 000 Bewohner in seinen Kolonien zählt.

An den Kolonien wird nun als besonders vorteilhaft für das Mutterland hervorgehoben, daß sie ihm ergibige Gelegen­heit zur Verwendung und möglichst lufrativer Verwertung von Kapital und Arbeitskraft geben und dadurch den National­reichtum" vermehren helfen, und daß gleichzeitig durch den be­ständigen Verkehr zwischen dem Mutterlande und den Kolonien durch Kaufleute, Gewerbetreibende aller Art, Techniker und Militär aller Grade der geistige Horizont des Volkes erweitert, somit auch unmittelbar ein nicht zu unterschäzender geistiger Gewinn eingeheimst wird.

Dies gilt vorzugsweise von den Handelskolonien, indes den Ackerbaukolonien nachgerühmt wird, daß sie dem Mutterlande die bequeme Möglichkeit gewähren, den daheim notleidenden Volksschichten ein ihrer Hände Arbeit fruchtbar machendes Tätig­teitsgebiet anzuweisen, auf dem nicht fremde Völker den Rahm der Steuern und aller denkbaren Handelsprofite abschöpfen.

Das ist nun im Grunde richtig; nur einige fleine Hafen, die in die Rechnung ein Loch reißen können und weiter unten berücksichtigt werden sollen, dürfen nicht außer acht gelassen

werden.

Wie wichtig Kolonien für das Mutterland sind, muß sich an England und den Niederlanden leicht nachweisen lassen.

Die Engländer sind das erste Handelsvolk der Welt. Sie halten mehr als den fünften Teil des gesammten Welthandels in ihren Händen, während von Deutschland  , Frankreich   und Nord­amerifa bis jezt jedes nur den zehnten Teil des Welthandels sich zu erobern vermochten.

Diese hervorragende Stellung im Welthandel, welche den Engländern jahraus jahrein rund etwa eine milliarde Mark Handelsprofit einbringt, haben sie zum weitaus größten Teil ihren Kolonien zu danken.

Die Zahlen des Austausches von Handelsartikeln zwischen England und seinen Kolonien verbreiten darüber ausreichend Licht. Im Jahre 1880 führte England von Britisch- Nord­amerifa, Australien   und Britisch- Indien Waaren ein im Werte von rund milliarde Mark und führte nach diesen seinen überseeischen Territorien Waaren aus im Werte von rund 14 milliarde.

An diesen Handelsartikeln profitiren nun die Händler und Fabrikanten Großbritanniens   oft doppelt und dreifach, zuweilen in noch viel höheren Graden, insbesondere an den Einfuhr­waaren, die es zu sehr erheblichem Teile nicht selbst verbraucht, sondern entweder nur verhandelt, wie Kaffee, Tee u. s. w., oder verarbeitet, wie z. B. die Baumwolle.

Welch' riesigen Nuzen die Engländer aus ihren Kolonien zu schlagen wissen, dafür nur ein Beispiel. Im Jahre 1879.