der wissenschaftlichen Akademien. Von diesem ebenso wie von allen Ehrenämtern und sonstigen störenden Einflüssen des äußeren Lebens hat sich Darwin   zeitlebens ferngehalten, und er tat weise daran!

170

Wenn so der große Forscher seinen beispiellosen Erfolg in erster Linie sich selbst und seinen edlen Gaben verdankt, so ist andrerseits doch auch zu berücksichtigen, daß ihm die Gunst der wissenschaftlichen Zeitverhältnisse in hohem Maße fördernd ent­gegen kam. Seit dem Scheitern der älteren Naturphilosophie im Anfang unseres Jahrhunderts, seitdem Goethe und Kant in Deutschland  , Lamarck   und Geoffroy in Frankreich   vergeblich auf die natürliche Entwickelung der organischen Welt hingewiesen hatten, gelangte allenthalben eine strengempirische Richtung in der Biologie zur Geltung. Diese suchte ihre Aufgabe in der genauen Erforschung aller einzelnen Formen und Erscheinungen des Tier- und Pflanzenlebens, während sie auf die einheitliche Erklärung des Ganzen und insbesondere auf die Beantwortung des Schöpfungsproblems verzichtete. Die Begründung der Keimesgeschichte durch Baer  , der vergleichenden Anatomie und Paläontologie durch Cuvier  , die Reform der Physiologie durch Johannes Müller  , die Aufstellung der Zellenteorie und Gewebe­lehre durch Schleiden   und Schwann hatten großartige neue Schachte der Naturforschung geöffnet, aus deren Tiefen das Gold der Tatsachen in überraschender Fülle durch zahlreiche wissensdurstige Arbeiter zu Tage gefördert wurde. In dem furzen Zeitraum eines halben Jahrhunderts entstand eine ganze Reihe von neuen Wissenschaften.

Je mehr sich aber von Jahr zu Jahr die Zahl der neuen Entdeckungen häufte, je gewaltiger die Literatur anschwoll, desto verworrener wurde das Chaos der allgemeinen Natur­anschauung und desto mehr machte sich bei denkenden Forschern das Bedürfnis geltend, über die erstickende Fülle der Einzel­erfahrungen hinaus zu einheitlichen allgemeinen Gesichtspunkten und zur Erkenntnis der wahren Ursachen zu gelangen. Diesem Bedürfnis nun kam die neue Entwickelungslehre willkommen entgegen. Zwar hatte schon 1809, im Geburtsjahre Darwins, Lamard ganz klar gezeigt, daß die Aehnlichkeit der organisirten Formen durch ihre gemeinsame Abstammung, ihre Verschieden­heit hingegen durch ihre Anpassung an die Existenzbedingungen zu erklären sei. Allein es fehlte ihm noch die Erkenntnis der bewirkenden Ursachen, welche Darwin   erst fünfzig Jahre später in seiner Selektionsteorie enthüllte.

Es widerspricht daher vollkommen den historischen Tatsachen und zeigt von gründlicher Unbekanntschaft mit der Geschichte der Biologie, wenn noch jezt einzelne Gegner des Darwinimus ihn für eine vage Hypotese erklären, für welche erst noch die Beweise zu suchen seien. In Wirklichkeit verhält es sich gerade umgekehrt. Die tatsächlichen Beweise für die gemeinsame Ab­stammung der mannigfaltigen Lebensformen waren längst vor handen, ehe dieselbe durch Darwin   zu einer klaren wissenschaft­lichen Teorie formulirt wurde. Sogar zahlreiche physiologische Experimente waren schon lange vorher zu ihren Gunsten aus­geführt. Denn die gesammten Resultate unserer Gartenkunst und Tierzucht, die Masse von neuen Lebensformen, welche der Kulturmensch künstlich für seinen Nuzen und Gebrauch hervor gebracht, sind ebensoviele experimentelle Beweise für die Selek­tionsteorie. Und was den Kampf ums Dasein" betrifft, das wesentlichste Element des Darwinismus, so braucht man dafür doch wahrlich keine besonderen Beweise; denn die ganze Ge­schichte der Menschheit ist nichts anderes!

Unsere ganze Wissenschaft von der lebendigen Natur, die wir mit einem Worte Biologie nennen, war demnach für die Aufnahme der befruchtenden Jdeen Darwins vollkommen vor­bereitet, und hieraus erklärt sich zum großen Teil ihre außer ordentliche Wirkung, während die ähnlichen Teorien seiner Vor­gänger verfrüht waren und wirkungslos verhallten.

liche Ursachen für die Erscheinungen der Natur nachzuweisen und dadurch den Glauben an übernatürliche Kausalität, den Glauben an Wunder zu verdrängen. Die Gründer der griechi­schen Naturphilosophie im siebenten und sechsten Jahrhundert vor Christus waren es, die zuerst diesen wahren Grundstein der Erkenntnis legten und einen natürlichen gemeinsamen Urgrund aller Dinge zu erkennen suchten. Dieses bewußte Streben nach absoluter Kausalität, nach einheitlicher Erkenntnis einer gemein­samen Weltursache erscheint um so bewunderungswürdiger, als von eigentlicher empirischer Naturforschung damals noch keine Rede war.

Vielleicht der bedeutendste unter diesen ionischen Natur­philosophen war Anaximander  . Er nimmt an, daß aus dem unendlichen Stoff durch ewige Kreisbewegung, als Verdichtung der Luft, zahllose Weltkörper entstanden seien, und daß auch die Erde, als einer dieser Weltkörper, aus einem ursprünglich flüssigen und später luftförmigen Zustande hervorgegangen sei. Er antizipirte also den heute noch gültigen Grundgedanken über natürliche Weltentwickelung, welchen erst 2400 Jahre später, 1755, Immanuel Kant   in seiner allgemeinen Naturgeschichte und Teorie des Himmels" zur allgemeinen Geltung brachte. Wie Anaximander   hier im kosmologischen Gebiete als Vor­läufer von Kant und Laplace erscheint, so tritt er gleichzeitig auch im biologischen Gebiete als Prophet von Lamarck   und Darwin   auf. Denn die ältesten lebenden Wesen unseres Erd­balls sind nach ihm durch die Wirkung der Sonne im Wasser entstanden; aus diesen haben sich erst später die landbewohnenden Pflanzen und Tiere entwickelt, die das Wasser verließen und sich dem Leben auf dem trocknen Lande anpaßten; auch der Mensch selbst hat sich allmälich erst aus tierischen Organismen entwickelt und zwar aus fischartigen Wassertieren.

Finden wir hier schon einige der wichtigsten Grundgedanken unserer heutigen Entwickelungslehre überraschend klar ausge­sprochen, so tritt uns diese als Ganzes noch deutlicher ein Jahr­hundert später bei Heraklit   aus Ephesus   entgegen. Er stellt zuerst den Saz auf, daß ein großer, ununterbrochener Ent wickelungsprozeß das ganze Weltall   beherrsche; daß alle Formen in ewigem Flusse begriffen und der Kampf der Vater aller Dinge" sei. Da nirgends in der Welt absolute Ruhe sich findet, da aller Stillstand nur scheinbar ist, so muß ein ewiger Wechsel des Stoffes, eine beständige Veränderung der Form überall an genommen werden. Das ist aber nur dadurch möglich, daß eine Form die andere verdrängt und das Neue gewaltsam an die Stelle des Alten tritt: der allgemeine Kampf ums Dasein".

War hier bereits von Heraklit   die ewige Bewegung im Kampfe aller Dinge als das treibende Grundprinzip der Welt aufgestellt, so fand diese Naturanschauung eine weit tiefere Be­gründung wenig später bei Empedokles von Agrigent in Sizilien  . Auch er nimmt einen ununterbrochenen Wechsel der Erscheinungen an, findet aber die allgemeine Grundursache des ewigen allge meinen Kampfes in den beiden widerstreitenden Prinzipien des Hasses und der Liebe;- oder, wie unsere heutige Physik sagt, der Anziehung und Abstoßung der Teile. Wie durch die Liebe die Mischung der Körper, so wird durch Haß deren Trennung bewirkt. Wenn wir heute Anziehung und Abstoßzung der Atome als lezte Gründe aller Erscheinungen betrachten, so finden wir diese Grundvorstellung unserer heutigen Atomistit hier schon an tizipirt. Noch merkwürdiger aber ist es, daß Empedokles   auch die zweckmäßige Form der Organismen durch zufälliges Bus sammentreffen der widerstreitenden Kräfte, also zwecklos entstehen läßt. Aus diesem großen Kampfe sind die jezt existirenden Lebensformen deshalb siegreich hervorgegangen, weil sie für den selben am zweckmäßigsten eingerichtet und demnach am lebens­fähigsten waren. Hier ist nicht allein der Grundgedanke von Darwins Selektionsteorie vorweggenommen, sondern auch die Lösung des großen Rätsels angedeutet, dessen Beantwortung wir dem lezteren zum höchsten philosophischen Verdienste ans rechnen; des Rätsels: Wie können die zweckmäßig eingerich­teten Formen der Organismen rein mechanisch, ohne Mitwirkung einer zwecktätigen Endursache entstehen?"

Nicht weniger als fünfundzwanzig Jahrhunderte, bis in die graue Vorzeit des klassischen Altertums, haben wir zurückzu gehen, um die ersten Keime einer Naturphilosophie zu finden, welche mit klarem Bewußtsein Darwins Ziel verfolgte: natür­