da gerade um jene Zeit der Kampf des jungen Deutschland  " gegen das Veraltete und Ueberlebte begann und eine Reihe von geistreichen Schriftstellern, Heinrich Heine   voran, die Art einer scharfen und verwegenen Kritik an alle Vorurteile legte und sie mit beißendem Spott überschüttete. Indessen widmete sich Kinkel doch eifrig seinen Studien und bestand alle Examina mit gutem Erfolg. Er hatte die Hochschulen von Bonn   und Berlin   besucht. 1836 ließ er sich in Bonn   als Privatdozent der Kirchengeschichte nieder, was ihm aber wenig einbrachte, so daß er sich nebenher als Hilfsprediger der evangelischen Gemeinde in Köln   und als Religionsprediger am Gymnasium in Bonn   anstellen ließ. Er sollte an der berliner Universität angestellt werden, allein sein Gedicht über den Großvater Staat" war inzwischen in Berlin  bekannt geworden. In diesem Gedichte sagt er dem Groß­vater Staat", daß er die Forderungen der Freiheit" nicht länger abweisen dürfe, sonst", hieß es,

"

So wahr die Stern' am Himmel rollen, Wir zieh'n den Stahl zur Bürgerschlacht!" Diese Verse gefielen in Berlin   so schlecht, daß man von Kinkels Berufung absah. Im Jahre 1846 ging Kinkel zur philosophischen Fakultät und ward außerordentlicher Professor der Kunst- und Literaturgeschichte an der bonner Universität, wo er seine weithin berühmten Vorlesungen über Kunstge=. schichte hielt.

Soweit das äußere Leben des Dichters, in dem sich bis hierher wenig Merkwürdiges vorfindet, in der Zeit vor den Sturm­jahren. Desto bewegter gestaltete sich sein inneres und Fami­lienleben. Schon 1837 hatte er eine Reise nach Rom   gemacht, und die Kunstschäze Italiens   begeisterten ihn zu künstlerischem Schaffen. Er war kein trockener und nüchterner Brodgelehrter. Seine Vorträge waren voll Geist und Feuer, und bald entwickelte sich bei ihm jene glänzende Beredtsamkeit, die in seinem Leben eine so große Rolle gespielt hat. Er liebte etwas die Phrase, aber seine Phrasen waren blendend und zündend und mußten um so wirksamer sein, als damals die Masse des Volks von politischer Erkenntnis durchdrungen zu werden begann.

226

In Bonn   lernte Kinkel jene interessante und geistreiche Frau kennen, die seine Lebensgefährtin wurde und einen bestimmenden Einfluß auf seinen Lebensgang ausübte. Johanna Mockel   war 1810 geboren, demnach fünf Jahre älter als Kinkel; sie hatte sich an einen kölner   Buchhändler Namens Mathieu verheiratet, aber sich von ihm getrennt und sich auch gerichtlich von ihm aber sich von ihm getrennt und sich auch gerichtlich von ihm scheiden lassen. Diese Frau, die ein großes musikalisches Talent war, wie ihre Briefe über Klavierunterricht und die von ihr komponirte Vogel- Kantate" beweisen, hatte sich frühzeitig sehr freisinnigen Anschauungen hingegeben. Sie ist es auch offenbar gewesen, die Kinkel zum Radikalismus hingedrängt hat. Ein Zufall ist es auch keineswegs, daß nach dem Tode dieser Frau die dichterische Produktivität Kinkels bedeutend abgenommen hat. Sie hat erfrischend, anregend, begeisternd auf ihn eingewirkt.

Das Verhältnis der beiden begann unter romantischen Um­ständen, die dem Dichter Stoff in Fülle lieferten zu glühenden Liebesgedichten an Johanna. Johanna war nicht schön; die sie Johanna war nicht schön; die sie gekannt, berichten, daß ihr Teint dunkel, ihre Züge start, fast grob, ihre Gestalt zu massiv war. Aber aus ihren dunklen Augen strahlte der hohe Geist, der alle bezauberte, die sie um­gaben. Kinkel, ein vollendet schöner Mann, fühlte sich bald von dieser seltenen Frau angezogen, und als es ihm beschieden war, sie bei einem Unglücksfall aus den Fluten des Rheins zu retten, wurde das Verhältnis ein inniges und unauflösliches. Da Johanna vom Katolizismus zum Protestantismus überge­treten war, so hatte sie viele Feinde unter den Gläubigern; ihre freien Ansichten verwickelten sie überhaupt vielfach in Kon­flifte. Als Kinkel sich mit ihr verlobte, kündigte man ihm seine Hilfspredigerſtelle auf, und so geschah durch Johanna, was ihm am meisten not tater brach mit der Teologie.

Im Mai 1843 vermählte sich Kinkel mit Johanna, und sein Haus wurde bald der Mittelpunkt jenes bunten Lebens und Treibens der rheinischen Poetenschaft, wie wir oben ge­schildert. In dem Kreise schöngeistiger und freisinniger Männer

und Frauen wurden beide reich entschädigt für die Verfolgungen, die sie von den Gläubigen auszustehen gehabt hatten. In diesem sonnigen Leben, von dem einer aus der Poetengesellschaft, der es mitgelebt, singt: Es war, als flösse in Ewigkeit

Der rote Morgen um alle Höh'n"

inmitten einer herrlichen Umgebung an einem der schönsten Punkte des Rheins, an der Seite eines geliebten Weibes, im Kreise trauter und fröhlicher Freunde, trieb Kinkels poetischer Genius seine schönsten Blüten. Zunächst erschienen Gedichte"; darauf aber kam das Epos Otto der Schüz", das Kinkel mit einem Schlage weithin berühmt machte und in die erste Reihe der lebenden Dichter stellte. In dieser poetischen Erzählung, die bis heute 44 Auflagen erlebt hat, erschien jene Formschönheit und Bilderpracht, die wir an Kinkels Dichtungen bewundern, am vollendetsten. Die hergebrachte Kritik in unseren Literatur­geschichten behauptet, daß jenes farbenprächtige Gedicht keinen fesselnden Grundgedanken" enthalte; indessen hat Kinkel den Grundgedanken selbst angegeben, indem er am Schlusse sagt: Es sang ein Mann des Rheins dies Lied, Dem Minne Lust und Leid beschied; Ihm war dies Lied ein Leidvertreib, Er minnet selbst ein hohes Weib, Des eignen Herzens süße Sorgen Hat er im schmucken Reim verborgen

Und lehr' uns diese Mär fortan:

Sein Schicksal schafft sich selbst der Mann!". Also ist ein Grundgedanke vorhanden, allerdings, so gemein­gültig hingestellt, ein unrichtiger, denn Kinkel gehörte wohl zu den wenigen Bevorzugten, die bis zu einem gewissen Grade ihr Schicksal selbst zu lenken vermochten, allein auf die Masse, die nicht vom eigenen Willen, sondern von der rasch wechselnden Zusammenwirkung der Verhältnisse abhängig ist, kann dies nicht zutreffen.

1845 erschien Kinkels Geschichte der bildenden Küste bei den christlichen Völkern," die ihm einen dauernden Ruf gesichert hat. Von den übrigen Werken Kinkels sei noch eine unvollendete Dichtung:" Die Stadinger," sowie das Drama Nimrod  ," das Buch: Die Ahr, Landschaft, Geschichte und Volksleben", dann die formschöne poetische Erzählung: Der Grobschmied von Ant­ werpen  ," die früher als Bruchstück und erst 1872 vollendet erschien, und die von den Literarhistorikern als eine der besten deutschen   Novellen anerkannte Margarthe" angeführt. Dazu Literatur- und Kulturgeschichte. kommen noch eine Menge von Facharbeiten aus der Kunst,

II.

,, Raum, ihr Herren, dem Flügelschlag Einer freien Seele!" Herwegh  .

So mags auch im Innern Kinkels getönt haben, als das tolle Jahr" 1848 mit seinen Märzstürmen hereinbrach. In das idyllische Treiben der Poetengesellschaft am Rhein   schlug plözlich der Donner der Kanonen hinein und der Lärm der Straßenkämpfe schlug an die Ohren, zu denen bis jezt nur der regelmäßige Silbenfall wohlgesezter Verse gedrungen war. Die meisten der Poeten konnten diesen Lärm nicht vertragen. Sie flohen in ihre Studirstuben und schlossen die Tür ab, wie der einsame Waldbewohner tut, wenn draußen das wilde Heer vorüberfährt. Die Simrock  , die Kaufmann u. s. w., zartbesaitete Dichterseelen, wagten sich bei diesen Stürmen nicht hervor. Der Maikäferbund" starb beim ersten Hauch der Revolution.

Anders lag die Sache bei Kinkel selbst, der durch den Ein­fluß seiner Frau der Politik nicht fern geblieben war. Statt ihren Gatten in die Rosenketten der Poesie, der Häuslichkeit und der Harmlosigkeit eines Dichterleben unauflöslich zu ver­flechten, wie vielleicht ein egoistisches Weib getan haben würde, war die treffliche Johanna unablässig bemüht, ihren Gatten der öffentlichen Sache zu erhalten. Er warf sich in die politischen Stürme wie ein kundiger Schwimmer in die Brandung des