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dem haben sie ein Gerichtsgebäude für die mündlichen Gerichts-| unterscheiden sich dadurch wesentlich von den Gebirgsbewohnern verhandlungen, eine Schule, ein Hospital und eine Leihkasse, die über ein Grundfapital von 12 000 Rubel verfügt, angelegt. So schreitet auch in diesem abgelegenen Winkel die Kultur, die alle Welt beleckt, vorwärts und wird allmälich den eigentümlichen Hauch der Naturwüchsigkeit und Einfalt verwischen, der diesem Naturvölfchen anhaftet; ob zu ihrem Heile, bleibe dahingestellt.

Was ihre äußere Erscheinung betrifft, so verleugnen die Karatschajer ihre tartarische( mongolische) Abkunft nicht, und

rein kaukasischer Abstammung. Sie sind durchschnittlich von mittlerer Statur, gedrungenem Bau, breit von Schultern und von kräftiger Muskulatur und etwas breitem Gesicht, wenn auch die ausdrucksvollen Augen von ihrer Vermischung mit den echten Kaukasiern Zeugnis ablegen. Von Karakter gerade und offen, fleißig. tätig und nach außen hin fest zu einander stehend, läßt doch die noch herrschende Sitte der Blutrache mancherlei böse Leidenschaft zutage treten.

Der Alkohol

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Todfeind oder Gutfreund? Kulturgeschichtliche Studie von Bruno Geiser.

Professor Schär schreibt in dem am Schluß des ersten Teiles dieser Arbeit Angeführten nicht von alkoholischen Ge­tränken allein, sondern von den berauschenden und erregenden Genußmitteln im allgemeinen. Und der Umstand, daß da, wo den Menschen kein alkoholhaltiges Erregungs- oder Betäubungs­mittel erreichbar oder bekannt war, im Laufe der Zeiten fast überall auf dem Erdenrund andere gleich oder ähnlich wirkende Genußmittel entdeckt und gepflegt wurden, daß dieselben weite Verbreitung und leidenschaftliche Verehrer fanden, darf bei der Beurteilung der Rolle, die der Alkohol als Genußmittel spielt, nicht übersehen werden.

Es sind interessante, wenn auch teilweise recht unheimliche Gesellen, diese Konkurrenten oder, wenn man will, Complicen unseres aristokratischen Weins, unseres, wenn es gut ist, solid bürgerlichen Biers und unsres plebejischen Schnapses.

Zu den interessantesten und unheimlichsten zugleich gehören die Haschisch genannten Hanfpräparate, welche gegenwärtig von beträchtlich mehr als 200 millionen Menschen in Asien  , Afrika  und Amerika   als Berauschungsmittel angewendet werden.

Es ist eine Pflanze, die schon seit den Zeiten des Uralter­tums in Europa   bekannt ist und angebaut wird, unser gemeiner Hans, mit seinem wissenschaftlichen Namen nach Linné cannabis sativa, woraus das Haschisch hergestellt wird. Allerdings ist unser Klima der Entwicklung derjenigen Stoffe im Hanf, die der Haschischbereitung förderlich sind, nicht günstig. Wie man aus unsrer Mohnpflanze nur schlechtes Opium erzeugen könnte, so würde man aus unsrem Hanfe zwar auch ein Betäubungs­mittel herzustellen vermögen, aber doch nur ein die Kenner und Freunde des Haschischgenusses sicherlich wenig befriedigendes.

Die in Ländern der heißen Bone gebaute Cannabis, nach ihrer Heimat Cannabis indica   genannt, ist die vielumworbene Spenderin der Haschischpräparate.

Die drei hauptsächlichsten Hanfprodukte, welche in den Handel fommen, heißen Gunjah, Bang und Churrus. Die Gunjah besteht aus den stengelartigen Spizen der blühenden Hanfpflanze, die in Form von langen, mehrere Duzend von Stengeln ent­haltenden Bündeln verkauft werden. Bang heißen dagegen die von den Stengeln befreiten und getrockneten größeren Blätter mit halbreifen Fruchtkapseln und kleinen Blattstielen der abge­blühten Pflanze. Sie sind minder harzreich als die Gunjah­stengel, deswegen billiger zu kaufen und weiter verbreitet. Das Churrus endlich ist das rohe Harz, welches der indische Hanf namentlich während der Blütezeit in beträchtlichen Mengen aus­scheidet. Bemerkenswert ist die primitive Art, wie man das Churrus einsammelt. Wie Professor Schär angibt, durchwan­dern während der Tage reichlichster Harzausscheidung Arbeiter in fest anliegender Lederkleidung mit ziemlicher Schnelligkeit kreuz und quer die abgeblühten Hanffelder, und hierbei klebt das in winzigen Tröpfchen aus Blättern und Stengeln aus­schwizende Harz an die Lederkleidung an und braucht dann nur losgeschabt zu werden.

Sowohl Gunjah und Bang als Churrus werden in Pfeifen geraucht und treten somit als narkotisches Ersazmittel unsres

( Fortsezung statt Schluß.)

| Tabaks auf, mit dem sie wohl eine gewisse Verwandtschaft haben, obwohl es nicht ganz festgestellt ist, daß Professor Schär recht hat, wenn er sagt, der indische Hanf enthielte nachweis­bare Mengen des giftigen Tabakbestandteils, des Nikotins, und so müßten wir in dem Umstande, daß jahrhundertelang ohne Kenntnis dieses Sachverhalts Hanf, mit Tabak vermischt, ge­raucht wurde, wohl eine merkwürdige instinktive Ahnung der engen Verwandtschaft in den chemischen Stoffen des Hanfes und des Tabaks erblicken. Bei den neuesten wissenschaftlichen Unter­suchungen des europäischen   und indischen Hanfes nämlich, welche Seezen, Siebold und Bradbury ausführten, erhielt man, widersprechend früher angestellten Prüfungen, kein Nikotin, sondern ein eigentümliches flüchtiges Alkaloid, dem der Name Cannabinin beigelegt wurde*).

Noch viel entwickelter als das Haschischrauchen, ist der innerliche Genuß, das Einnehmen des Haschisch in seinen hun­dertfältig verschiedenen Arten. Wie ein Tee wird der heiße Aufguß des Krautes Bang eingenommen, in der Form von fettem Del und syrupartigen Extrakten, als pastillenähnliche Kon­serven oder latwergartiges Gemisch, mit seinen und starken Ge­würzen versezt, selbst mit Milch, Mehl, Zucker und Fett zu dem berühmten indischen Hanfkonfekt Majoon verarbeitet, kommt das Haschisch zum Gebrauch.

Der Genuß des Haschisch reicht jedenfalls weit in vorge schichtliche Zeiten hinauf. Der sorgenlösende Nepenthestrank Homers   war vermutlich Hanfextrakt. So sehr als das Haschisch Sorgen zu lösen vermag, ist es jedoch imstande, Sorgen und Unglück aller Art zu bereiten, wenn auch seine Verehrer an ihm rühmen, daß es sie zur Vollführung harter und andauernder Arbeit stärke, daß es Schmerzen stille, gegen die Unbill des Temperaturwechsels unempfindlich mache, die Einbildungskraft anrege, die Lust zum Essen und auch die sinnlichen Genüsse aller Art erhöhe und die Blutzirkulation beschleunige.

Das ist jedoch eben nur die eine, die glänzende Seite der Medaille, auf deren schmuziger Kehrseite leidenschaftliche Heftig­feit und Streitsucht, Störung der Hirnfunktionen, Verrücktheit, Tobsinn und eine in Indien   häufig vorkommende Art des Starr­frampfs verzeichnet stehen.

Einen durchaus zuverlässigen Bericht über einen Haschisch­rausch verdanken wir Gerhard Rohlfs  .

Derselbe nahm um 6 Uhr Nachmittags in Mursuk zwei Kaffeelöffel voll mit Zucker gemischtes Haschischkraut, und dann zu Abend; aber erst anderthalb Stunden später begann die Wirkung, welche nach seinem Tagebuch folgende war:

7 Uhr 20 Minuten. Mein Puls 120 oder mehr. Bin ich in einem Schiffe? die Stube schaufelt, mein Bewußtsein ist indessen vollkommen frei, blos scheint mir Besserki( sein Rausch­genosse) sehr langsam zu sprechen, und ich vergesse oft den An­fang von dem Saze, den er spricht. Auch wenn ich jezt denke, vergesse ich, womit ich angefangen.

*) Handwörterbuch der Pharmakognosie des Pflanzen­reichs. Breslau  , Trewendt 1882, III. Lieferung, Artikel Hanf.