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Zeit hat diese historische Reminiscenz einem Teaterbesucher Ge­legenheit gegeben, seinen Wiz zu zeigen. Bei der Vorstellung der Wagnerschen Oper Rienzi " ließen mehrere Damen ihrer flinken Bunge freien Lauf. Der Wagner- Entusiast bat mehremals vergebens um Ruhe; endlich sagte er: Meine Damen, das Stück spielt zwar in Rom , aber dennoch ist hier nicht das Ka­pitol." Das half; die Schönen hatten Bildung genug, die Satire zu verstehen und Humor genug, mitzulachen. Ad vocem Wagner, so hat derselbe dem ersten Aft im Libretto seiner neuesten Oper, des vielgepriesenen und vielgelästerten Parsifal , keinen effekt volleren Schluß zu geben gewußt als mit dem bereits berühmt gewordenen Vers:

Laß du drum fünftig die Schwäne in Ruh

Und suche dir Gänser die Gans!

was er übrigens von seinem Vorbild Wolfram von Eschenbach entlehnt hat, bei dem der Knappe aus der Gralburg die fromme Einfalt Parsifals , der an dem höchsten Hort unwissend und stumm vorübergegangen, mit den Worten schilt: ihr sit ein gans.

Aber nicht blos die Altrömer, welche die Gans auch als den der Göttin Juno heiligen Vogel betrachteten, hielten sie in Ehren, auch die Ureinwohner Britanniens scheinen sie in frommer Scheu gehegt zu haben. Wenigstens hielten sie es für gottlos, sie zu schlachten und zu essen, was wir aus Julius Cäsars Beschreibung des Gallierkriegs erfahren. Der Deutsche dagegen wählte die Gans gern zum Opfertier und das Mittelalter weihte sie gar dem heiligen Martinus, wobei man sich, wie Masius meint, des Zweifels nicht entschlagen, kann, ob es die Pietät gegen den frommen Bischof oder nicht vielmehr die kluge Rück­sicht auf den eigenen Magen war, welche den Mönchen diese Dedikation eingegeben. Uebrigens ist der Name Martinsgans uralt und rührt wohl daher, daß um Martini die Zeit beginnt, wo die Gänse am schmackhaftesten sind. Schon in den alten Annalen von Corvey kommen anseres Martiniani vor, im Jahre 1171 schenkte Othelrich von Swalenberg der Abtei zum Mar­tinsfest eine silberne Gans und auch auf den alten Stab- und Runenkalendern ist der Martinstag mit einer Gans bezeichnet.

Auch das Judentum hat seine Ganslegende. Als im 14. Jahr hundert in Worms der schwarze Tod wütete, beschuldigte man die Juden der Brunnenvergiftung. Zahlreiche Juden fielen unter den Streichen ihrer betörten Verfolger und nur wenige versteckten sich in den Häusern befreundeter Christen. Aber es war, als ob die Hölle selbst mit den Antisemiten von damals im Bunde gewesen wäre. Eine Zaubergans flog auf das Dach eines jeden Hauses, das einen Juden verborgen hielt und ver­riet ihn der wütenden Menge. Nun lebte in Worms ein Mann, der allgemein für einen Christen galt, aber von Juden ab­stammte und auch heimlich ganz zum Judentum und zu den Juden hielt. Nur einer, ein Priester, sein Freund, wußte um die Verstellung, und von diesem erbat er sich den priesterlichen Drnat und bestieg damit die Kanzel. Freunde, redete er die Menge an, lasset euch vom Satan nicht täuschen! Hierher, in diese heilige Kirche wagt gewiß kein Jude den Fuß zu sezen. Und dennoch, mir sagt es der heilige Geist, steht der Höllen­bogel auf dem Dach des Kirchturms. Die Menge eilte hinaus, und richtig! die Gans hatte sich auf dem Kirchturmdach nieder­gelassen. Nun wendete sich die Wut gegen den Vogel. Von hundert Geschossen durchbohrt sank er vom Turm und die Juden­berfolgung hatte ein Ende.

Was die Herkunft unserer Hausgans betrifft, so stammt sie von der Wildgans, die auch Graugans genannt wird. Die wilde Gans ist ein Muster der Klugheit. Sie muß im freien Felde mit Gräsern, Schnecken, Fischen, Körnern, Beeren, mit allem, was die farge Natur des Winters übrig läßt, fürlieb nehmen und in hohen, schnellen Flügen durch Nacht und Frost von Strom zu Strom ziehen. Die zahme, nur von der schweren Mast des Getreides und der Kartoffel lebend, zum seßhaften Haus- und Weidetier umgewandelt, hat viel von dem Wesen und den Eigentümlichkeiten ihrer Stammeltern eingebüßt. Es ergeht ihr wie dem Schaf. Auch dieses ist in der natürlichen Freiheit seiner Felsen und Berge eines der schlauesten, unbän­

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digsten Geschöpfe. Auf der Freiheit ruht eben das Heil dieser Tiere, in der Gefangenschaft verlieren sie die angeborene Hal­tung und Energie. Die Wildgans trägt sich stolzer und be­wegt sich behender, leichter und zierlicher als die Hausgans, welche Masius einen Kavallerist zu Fuß, einen Schwimmer zu Lande nennt. Keinen Augenblick findet die ihrem Element ent­rissene Gestalt das ursprüngliche Gleichgewicht; ihr ist Mittel­und Schwerpunkt des Wesens genommen. Auf breitem Ruder­fuß, dem Gänsefuß, von dem Kinderliedlein oft wegen seiner Barfüßigkeit singen und der in den Märchen auch den Zwergen zugeschrieben wird, während sein Diminutivum für ein Schrift­zeichen entlehnt ist, schleppt sich der plumpe, in der Gefangen­schaft massiger gewordene Körper hin, mit jedem Schritte halb zur Seite schwankend, halb vornüberfallend, der Hals nur reckt sich steif auf und das Auge stiert immer gerade aus. Die Wild­gans dagegen ist weit gewandter, läuft sehr schnell, schwimmt gut und taucht bei großer Gefahr in gewisse Tiefen. Auch der Flug ist gut und ausdauernd. Es gewährt dem Noturfreund ein hohes Vergnügen, das Familienleben der Wildgänse an einem schönen Maiabend zu belauschen. Sogleich nach der An­funft im Frühjahr nämlich wählen sich die einzelnen Paare pas­sende Stellen zur Anlage ihres Nestes. Die Wahl des Nist­plazes zeugt für den hohen Verstand der Wildgans. Wer Nester suchen will, darf überzeugt sein, daß er sie nur auf den un­zugänglichsten, abgelegensten und verborgensten Stellen des Sumpfes finden wird. Alsbald beschäftigt sich die Gans eifrig mit dem Herbeitragen verschiedener Neststoffe und wird dabei auf Schritt und Tritt von dem Gansert begleitet. Dieser hilft am Nestbau nicht selbst mit, sorgt aber für beider Sicherheit und läßt seine Augen ohne Unterbrechung in die Runde schweifen. Dicke Stengel, Halme, Blätter von Schilf, Rohr, Binsen u. s. w. bilden den Unterbau. Die eigentliche Mulde wird mit feineren Stoffen ausgekleidet und das Gelege später mit diesen und mit. Dunen bedeckt. In den Nestern älterer Weibchen findet man Gelege von sieben bis zehn, ja bis vierzehn Eiern; jüngere legen gewöhnlich nur fünf bis sechs. Bereits um die Mitte des Monats März findet man in den Nestern älterer Paare die Mutter brütend. Sowie sie sich dazu anschickt, rupft sie sich alle Dunen aus, bekleidet mit ihnen den inneren Rand des Nestes und bedeckt auch, so oft sie sich entfernt, sorgsam die Eier damit. Am achtundzwanzigsten Tag der Bebrütung ent­schlüpfen die Jungen, werden noch etwa einen Tag lang im Neste festgehalten, dann auf das Wasser geführt und zum Futter­suchen angeleitet. Teichlinsen, Wassergräser und dergleichen bilden ihre erste Nahrung; später werden die Wiesen und Felder be­sucht. Abends kehrt Alt und Jung zum Neste zurück; nach ungefähr zwei Wochen wird dieses für die inzwischen heran­wachsenden Jungen zu klein und leztere nehmen nun hier oder da, dicht neben der Mutter dahingekauert, eine Schlafstelle ein. Die Wachsamkeit des Ganserts steigert sich, nachdem die Jungen ausgeschlüpft sind. Die Mutter geht oder schwimmt der Familie voran, die zusammengedrängten Jungen folgen, der Vater deckt gewissermaßen den Rückzug, mit hoch aufgerichtetem Haupte nach allen Seiten hin spähend, ängstlich auf die Sicherheit der Seinen bedacht und mißtrauisch alles Verdächtige beobachtend und bei wirklicher Gefahr gibt er zuerst das Zeichen zur Flucht. Wenn man die Alten von den Jungen wegschießt, ehe diese Federn erhalten, müssen viele von ihnen umkommen. Die Ver waisten schlagen sich zwar zu den Jungen anderer Alten, welche diese leiden wollen; da jedoch dies nur wenige tun, so ver­sammelt oft eine mitleidige Alte eine sehr zahlreiche Familie unt sich. Brehm sah einst eine so gutmütige Familienmutter von sechzig und einigen Jungen umgeben, die sie führte, als ob alle ihre leiblichen Kinder gewesen wären. Findet sich keine Familie, welche sie aufnimmt, so halten sie zwar geschwisterlich zusammen, da sie aber mütterlicher Sorge und väterlichen Schuzes entbehren, gehen die meisten sehr bald zugrunde.

In früheren Jahren brüteten die Wildgänse an allen größeren stehenden Gewässern Deutschlands , gegenwärtig trifft man noch einzelne Paare in den ausgedehnten Brüchen Nord- und Ost­