Kürzlich ist von Mr. Sampson Gamgee eine Flugschrift über den Einfluß der Vivisektion auf die menschliche Chirurgie" erschienen, in welcher die Behauptung aufgestellt ist, daß ohne Experimente an lebenden Tieren wissenschaftliche Chirurgie nicht hätte begründet werden können, ihre jezige humane und fichere Praxis wäre unmöglich gewesen." Mr. Gamgee unter­stüzt diese Behauptung durch eine Reihe von Fällen, von denen wir annehmen dürfen, daß sie die besten und bündigsten sind, die er hat finden können. Ich führe sie auf wie folgt und werde sie in derselben Reihenfolge durchgehen.

I. Behandlung der Kopfverlezungen und die Teorie des Contre- coup. II. Amputation im Hüftgelenke. III. Eröffnung der Brusthöhle. IV. Unterhaut- Sehnenschnitt. V. Behandlung der Aneurismen. VI. Transfusion. VII. Chirurgische Opera­tionen am Unterleibe. VIII. Funktion des Periosts. IX. Der Efraseur. X. Erforschung von Gift.

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Hunden; es gibt noch verschiedene andere Fälle glücklicher Opera­tionen vor Mr. Gamgees Hinweis auf den Ursprung derselben, eine wurde 1773 von dem berühmten Ker aus Northampton  ausgeführt, und da Mr. Gamgee ein dickes Buch über Am­putation im Hüftgelenke schrieb, ist es auffallend, daß er nicht ein bischen mehr von der Geschichte der Operation wußte.

III. Eröffnung der Brusthöhle.

Mr. Gamgee trifft ferner eine sehr unglückliche Wahl, indem er sich auf William Hewson   beruft, welcher 1769 eine teoretische Operation bei Pneumotorax  ( Luftanhäufung innerhalb der Brusthöhle) auf Experimente an lebenden Hunden und Kaninchen basirte. Er machte in der Brustseite eine Wunde, ließ Luft in die Pleura, wo keine hingehört, und ließ sie dann wieder heraus. Wenn ein solcher Lufteintritt beim Menschen ohne schwere Verlegung edler Organe vorkommt, so genest der

I. Behandlung der Kopfverlezungen und die Patient vollkommen ohne irgend eine Operation. Ich habe Teorie des Contre- coup.

Mr. Gamgee sagt uns, daß die Akademie der Chirurgie eine Preisaufgabe ausschrieb über den Contre- coup*) und dessen Bedeutungen bei Kopfverlezungen, und daß der Preis 1778 durch Mr. Saucerotte gewonnen wurde, dessen Arbeit sich ,, auf literarische Untersuchung, Klinische Beobachtungen und ein undzwanzig Experimente an lebenden Hunden" stüzte. Er ver­säumte aber, die Experimente an Hunden auf ihren wahren Werth zu prüfen, der meiner Meinung nach vollständig null ist, und vergißt ganz zu erwähnen, daß die Teorie des Contre- coup ungefähr zwei Jahrhunderte vorher vollständig begründet war, und umständlich von Paul Ammannus aus Leipzig   abgehandelt wurde, welcher 1674 eine wohlbekannte Schrift verfaßte, in welcher das Trepaniren an der Stelle des Contre- coup empfohlen wurde, wie diese Operation auch drei­zehn Jahre zuvor durch Paul Barbette   in Amsterdam   aus­geführt war. Die Teorie des Contre- coup und die auf sie bafirte unglückliche Praxis sind jezt glücklich der Vergessenheit anheimgegeben, troz der Saucerotteschen Vivisektionen, und kein Mensch würde darauf zurückgekommen sein, hätte Gamgee fie nicht unglücklicherweise ins Leben zurückgerufen.

Die heutige Ansicht über Schädelbrüche findet sich glatt und nett in Mr. Flint Souths Worten: je weniger man sie anrührt, desto besser," und: das Wissen von Kontrefrakturen ist ganz unsicher". Nichts konnte in der Tat unglücklicher sein, als Mr. Saucerottes Experimente anzurufen, um den Wert der Vivisektionen zu beweisen, denn sie wurden zu einem Zwecke unternommen, dessen Wertlosigkeit längst anerkannt war, und um ein Heilverfahren zu empfehlen, welches allgemein ver­dammt war.

II. Amputation im Hüftgelenke. Auf Seite 8 seines Flugblattes macht Mr. Gamgee die staunenerregende Angabe, diese Operation sei erst gewagt, nach dem sie durch Vivisektion probat befunden sei. Seine Autorität hierfür, die er freundlich genug war, mir anzuführen, ist eine furze Notiz zur Vorrede des neunten Bandes der Memoiren der Akademie der Chirurgie, geschrieben von deren Sekretär und 1778 herausgegeben.

Die erste Notiz jedoch, welche wir von der Amputation im Hüftgelenke haben, stammt von einem deutschen Chirurgen Namens Bohler, welcher um 1690 praktizirte. Zweifelhaft ist, ob er sie je am Lebenden ausführte, er erwähnt, daß er sie am Leichnam versuchte. Ausgeführt wurde sie 1748 durch Mr. La Croix aus Orleans   nicht nur an einem Schenkel, sondern an beiden desselben Patienten; die Operation an dem ersten ver­lief glücklich, die am zweiten fast ebenso. Dies war ungefähr dreißig Jahre vor der Bekanntmachung von Vivisektion an

*) Wenn eine Seite des Kopfes durch heftige Gewalttätigkeit ver­lezt wird, findet man auch an der entgegengesezten Seite Verlegungen, namentlich Riffe in den Schädelknochen, man schreibt dies der Wirkung des Gegenstoßes Contre- coup- zu.

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nicht in Erfahrung gebracht, daß Hewsons Operation, die Luft zu entleeren, je am Menschen ausgeführt sei. Wenn Luft­anhäufung in der Brusthöhle als Produkt einer Krankheit auf­tritt, ist es in der Regel unter Verhältnissen, die notwendig zum Tode führen, da paßt keine Operation. Dr. Bowditch in New- York  , die größte Autorität in dieser Sache, sagt: ich habe einmal bei Pneumotorax   operirt, es trat für den Augenblick Erleichterung ein und mehrtägiges verhältnismäßiges Besser­befinden. Es mögen sich viele teoretische Einwendungen gegen die Operation machen lassen, da sie aber nicht schaden kann und viel Erleichterung gewährt, werde ich in einem ähnlichen Falle wieder operiren". Das Verfahren ist also problematisch, die Gelegenheit dazu bietet sich sehr selten, und reiner Pneumotorax, für welchen Hewson seine Operation erfand, bedarf sie nie, deshalb waren seine Experimente an lebenden Hunden und Kaninchen unnüz. Das Abzapfen von Flüssigkeiten aus der Brust endlich wurde lange vor Hewsons Zeit ausgeführt, und deshalb war seine Untersuchung unnötig. Hewson basirte in der Tat seinen Vorschlag auf jenes wohlbekannte Verfahren, aber hierin hatte er in den günstigsten Fällen denen von Wunden einen Vorgänger, denn Anel von Amsterdam machte 1707 denselben Vorschlag, welcher seitdem von den Schrift­stellern über Militär- Chirurgie einstimmig verworfen wurde, weil die Entfernung von Luft nur zu Blutungen Veranlassung gibt. Anel empfahl dazu eine Sprize, welche in dem modernen Aspirator wieder aufgelebt ist. Hätte Mr. Gamgee irgend was von Dominik Anel gewußt, so würde er nimmer Wil­ liam Hewson   zitirt haben.

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IV. Unterhaut. Sehnenschnitt.

Ich habe die Geschichte der chirurgischen Behandlung der Sehnen genau durchstudirt und kann nicht den geringsten Grund finden, einen der in diesem Zweige der Wissen­schaft gemachten Fortschritte den angezogenen Vivi­sektionen von John Hunter   zuzuschreiben. Es wird auch dieser Experimente nirgend Erwähnung, außer von Drewry Ottley nnd Palmer im Leben Hunters, getan.

Dasselbe Mißgeschick, das 1767 Hunter traf, traf 1726 den ersten Monro, und von diesem lezten Falle schreibt sich ein sehr merkbarer Fortschritt in der chirurgischen Behand­lung her, und Monro selbst erfand ein Verfahren für seinen eignen Fall, welches noch in Gebrauch ist und seinen Namen trägt. Einen solchen Fortschritt verdanken wir dem Hunter­schen Mißgeschick und seinen Vivisektionen nicht. Little und Adams erheben in ihrer Geschichte der ortopädischen Chirurgie für Hunter einen solchen Anspruch nicht. Adams beweist klar und gerecht, daß Hunter die Grundsäze, nach welchen jezt subkutane Chirurgie getrieben wird, feststellte, aber nicht aus Experimenten an Tieren, sondern aus flinischen Beobachtungen. In seiner Vorlesung über zerrissene Sehnen"( Vol. 1, p. 436) sagt Hunter nicht ein Wort über seine Bivisektionen oder irgend welche Schlüsse, die er betreffs der Metode der Sehnenheilung