erzeugt durch Einatmung von Dämpfen des Schwefeläters, als Mittel angewendet, Menschen, welche schmerzhafte Operationen zu erleiden haben, gegen die Schmerzen unempfindlich zu machen. Diese Aeternarkose hat nun mit dem Haschisch- und Opium­rausche mancherlei Aehnlichkeit. Der Patient nimmt selbst wahr, wie ihm allgemach die Sinne schwinden und ein Traumleben mit zumteil höchst angenehmen Bildern in ihm erwacht. Der eine beginnt zu reden, der andre zu gestikuliren oder zu singen, bei allen wird die Haut erwärmt, der Pulsschlag und das Atmen beschleunigt, endlich tritt vollständige Empfindungslosigkeit ein. Wie das Aetertrinken in Irland   hat auf dem Kontinente und besonders in Deutschland   der Morphiumgenuß besorgnis­erregende Verbreitung gefunden.

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Das Morphium ein stickstoffhaltiges Alkaloid- ist der ist der wirksamste Bestandteil des Opiums und wird diesem als Heil­mittel wegen seiner günstigeren Nebenwirkungen vorgezogen. Es wirkt ärztlich angewandt beruhigend, schmerz- wie krampf­stillend und schlafmachend. Anfänglich wurde es als Pulver oder gelöst eingenommen, neustens aber wird es meistens unter die Haut in der Nähe der leidenden Körperstelle eingesprizt. Soweit man damit den Zweck verband, die Wirkung des Mor­phiums auf den kranken Teil zu beschränken, sie zu lokalisiren, gab man sich einer Täuschung hin, indem sich dadurch das Narkotikum seine betäubende Wirkung auf den gesammten Körper nicht rauben läßt. Dennoch bürgerte sich die von einem fran­ zösischen   Arzte erfundene Morphiumsprize bald überall ein, die, in einem feingeschliffenen hohlen Stahlstachel bestehend, in eine etivas emporgezogene Hautfalte eingestochen wird und so das Morphium dem Körper zuführt.

Aus der ärztlichen Anwendung des Morphiums bei Kranken entsprang die Morphiumsucht bei vielen, im übrigen gesunden Menschen, eine Krankheit, die der Chefarzt der maison de santé zu Schöneberg   bei Berlin  , Dr. Lewinstein nach einem Berichte in Reklams Gesundheit", wie folgt, beschreibt.

In Deutschland  , heißt es da, war es hauptsächlich der Krieg von 1866, welcher die Chirurgen auf den erstaunlichen Erfolg der Morphiumeinsprizungen bei Leidenden aufmerksam machte. Vom Arzte lernte der Kranke den Gebrauch des Hülfs. mittels, und was zunächst nur gegen Krankheit angewendet wurde, brauchte man bald aus Genußsucht, und so entstand unter unfren Augen während der lezten Jahrzehnte eine neue Leiden­schaft, eine neue, fünstlich hervorgerufene Krankheit. Diese Mor­phiumsucht wird so mächtig wie die Opiumsucht; der von ihr Besessene vermag von ihr sehr bald nicht mehr ohne Nachteil abzulassen, obwohl bei ihm mehr und mehr ein empfindlicher Krankheitszustand herausgebildet wird. Geistige Störungen er­zeugt der Morphiumgenuß anfänglich garnicht. Die Morphium süchtigen erhalten sich ihre geistige Kraft. Hervorragende geistige Fähigkeit schlizt andrerseits auch garnicht vor dieser schlimmen Leidenschaft. Unter den an Morphiumsucht zugrunde Gegangenen befinden sich bedeutende wissenschaftliche Größen. Männer der Kriegskunde, Künstler, Aerzte, Chirurgen, Namen von bestem Klange sind dieser Leidenschaft unterworfen, unbeschadet ihrer vollen geistigen Leistungsfähigkeit." Auch körperlich befinden sich nach dem Mißbrauch der Morphiuminjektionen viele eine zeit­lang wohl und kräftig. Nirgends treten Störungen zutage; der Appetit und selbst die Körperfülle bleibt in der ersten Zeit meist erhalten, während andere abmagern. Dann aber beginnt eine Periode, in der sich leichte und schwere Krankheitserschei­nungen einstellen."

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Hauptsiz der Leiden des Morphiumsüchtigen sind Gehirn und Rückenmark  . Der Kranke fühlt sich beunruhigt und ge­ängstigt, sein Körper gehorcht dem Willen bei weitem nicht so widerstandslos als vorher, der Schlaf flieht ihn halbe Nächte lang, statt seiner umgaukeln ihn in wachem Zustande allerhand Traumbilder; gelingt es ihm endlich einzuschlafen, so erquickt ihn der Schlummer nicht, alle seine Nerven geraten in einen Bustand hoher Gereiztheit, sodaß er schon bei dem Gedanken an irgend einen möglichen Schreck angstvoll zusammenfährt, der Harn scheidet Eiweiß, zuweilen auch Zucker aus und in lezteren

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Fällen peinigt die Kranken entsezlicher Durst kurz der ge= sammte Körper- und Geisteszustand des Morphinmsüchtigen zeigt sich in quälerischeſter Weise irritirt und gestört. Sehr bemer­fenswert ist auch die bei den männlichen Leidenden sehr häufig eintretende Abneigung gegen das weibliche Geschlecht, selbst bei den Individuen, die vor der Krankheit stets ein ungewöhnliches Maß von Hinneigung zu den Weibern verraten hatten.

Wie sehr das Rückenmark durch den Morphiumgenuß ange­griffen wird, erhellt aus dem Umstande, daß dadurch ganz regel­rechtes Wechselfieber erzeugt wird;" Frost bis zum Schüttel­frost, Kopfiveh, Beklemmung, Hize und Schweiß." Aehnlich wie bei der Vergiftung durch Alkohol machen auch bei der chro­nischen Vergiftung durch Morphium Unterbrechungen sich geltend, sodaß zeitweilig der Kranke vollständig gesund zu sein scheint und sämmtliche Störungen verschwinden. Aber nach einigen Wochen oder Monaten hört die scheinbare Besserung wieder auf; Störungen werden dann durch größere Gaben des Morphium wieder zum Schweigen gebracht, bis auch dies nichts mehr nuzt, und nun, ähnlich wie bei Entziehung des Giftes, die Morphium­wüstlinge das Gefühl des Schwerkrankseins und der Leistungs­unfähigkeit bekommen. Sie werden verstimmt, interesselos, zu­weilen überfällt sie Lebensüberdruß; sie brechen geistig und körperlich zusammen und siechen hin, wenn nicht der Versuch gemacht wird, sie des Morphiums zu entwöhnen." Tut man das nicht, so verfallen sie einer rasch fortschreitenden Vergreisung und frühem Tode.

Sobald der Morphiumgebrauch aufhört, ist auch das Wechsel­fieber vorüber. Die übrigen Krankheitserscheinungen wird der Morphiumsüchtige jedoch nur sehr schwer los. Das erschütterte Nervensystem verlangt mit aller Gewalt nach dem gewohnten Betäubungsmittel. Es treten Nervenschmerzen bald an diesem bald an jenem Körperteil auf, namentlich an Stirn, Hinterhaupt oder Magen, unangenehmes Ziehen oder Kribbeln in den Beinen, Uebelkeit, Erbrechen, Durchfall lassen den Kranken an seiner Lage unmittelbar nach der Entziehung des Morphium verzweifeln. Nur wenige Personen überwinden die schwere Zeit in einem schlafsüchtigen Zustande; die meisten sind ruhelos, verlassen das Bett, laufen voll Angst im Zimmer umher, jammern und schreien. Am 2. oder 3. Tage nach der Entziehung tritt infolge der Diarrhoe, der Schlaflosigkeit und des Erbrechens fast bei allen Kranken ein Schwächezustand ein. Der Puls wird klein, das Gesicht fahl. Der Kranke verläßt nicht das Bett und macht den Eindruck tiefer Erschöpfung. Dieser Zustand des Verfalls ist jedoch nicht bedenklich; er schwindet, sobald die Kranken an­fangen, wieder regelmäßig Nahrung zu sich zu nehmen."

Ganz außerordentlich oft verfallen die von der Morphiumsucht Geheilten von neuem der mörderischen Leidenschaft. Von 82 Männern, die Dr. Levinstein behandelt hatte, als er die oben erwähnte Schrift verfaßte, wurden 61, von 28 Frauen 10 rück­fällig. Bei diesen Rückfälligen ist die Heilung sehr viel schwie­riger, als bei den zum erstenmale Behandelten; oft sind sie völlig unrettbar.

Beweist uns die Opiumsucht gleich der Aetertrunksucht einer­seits, daß das einseitige Vorgehen gegen ein Berauschungs- oder Betäubungsmittel Hoffnung auf wirksame Eindämmung der Be­täubungssucht nicht gewährt, so macht sie andrerseits klar, daß es feineswegs nur die niederen Volksschichten, das ungebildete" oder arme" Volf, sind, welche derartigen Leidenschaften zum Opfer fallen. Es mag wahr sein, daß in allerneuster Zeit die sogenannt beffren Gesellschaftskreise nicht mehr soviel Spirituosen, hauptsächlich Wein, vertilgen, als in früheren Jahrhunderten, aber erstens haben sie früher auf diesem Gebiete auch gar zu ungeheuerliches geleistet, andrerseits sind sie in viel beträcht­licherer Anzahl, als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist, überall da bereit, sich noch gefährlicheren Narkotiken, neben dem Mor­phium auch Choral, Belladonna u. s. w. zu ergeben, wo die selben des öftern verführerisch ihren Lebensweg streifen.

Hoch und Niedrig haben sich also angesichts des weitver­breiteten Alkoholismus nichts vorzuwerfen, zumal die besser fituirten Teile des deutschen Volkes z. B. von den fünf Milli­