an der äußerst fatalen und gemeinschädlichen Tatsache der Ein­seitigkeit in der Beschäftigung der meisten Menschen nur sehr wenig. Turnübungen einerseits, geistige Nebenbeschäftigung nebst populärwissenschaftlichen Vorträgen andrerseits werden immer nur auf verhältnismäßig kleine Volkskreise ihre Wirkungen be­schränken und auch da nur ein ungenügendes Aequivalent für die berufsmäßige Üeberanspannung des Körpers oder Geistes sein.

So lassen denn unsere Verhältnisse auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens die erregenden und berauschen den Genirßmittel dem Menschen als Freunde, als Helfer in der Not erscheinen, freilich als gefährliche Freunde, denen man nur soweit trauen darf, soweit man sie als unschädlich erprobt hat und soweit man sie beherrscht.

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Damit sind wir indes mit dem, was gerechter Weise für den Genuß unsrer alkoholischen Getränke zu sagen ist, noch nicht zurande.

Es gibt ein bedeutungsvolles Moment, welches nicht nur für den mäßigen, garnicht freilich für den regelmäßigen Genuß guten Biers oder edlen Weins spricht, dagegen aber man lache nicht und breche nicht gleich den Stab über den Schreiber dieser Zeilen!- für den übermäßigen.

Die Sache ist mir zu heifel, als daß ich nicht mit Ver­gnügen die Gelegenheit ergreifen sollte, an meiner Stelle einen Andern reden zu lassen, was umsomehr geraten und nüz lich erscheint, als der betreffende als gelehnter Vertreter der modernen naturwissenschaftlichen Welt- und Lebensanschauungen wohlverdienten Ruf genießt. Carus Sterne ist es, der in einer durch zwei Nummern von Bodenstedts Täglicher Rund­schau" gehenden, umfang und inhaltreichen Abhandlung unter dem Titel Der Natur einen Stoß geben" für die Ex= zesse im Trinken eine wuchtige Lanze brach. Er schreibt ( ich zitive mit Himveglassung alles Unwesentlicheren möglichst furz, aber wortgetreu):

Wenn unter unseren Landbewohnern jemand sich längere Zeit hindurch nicht recht wohl fühlt, zur Arbeit keine Luft zeigt und nicht einmal zum Lustigsein aufgelegt ist, so rät man ihm von allen Seiten, er solle' mal der Natur einen Stoß geben", d. h. sich tüchtig betrinken, um diesem Mittelzustande zwischen Gesundheit und Krankheit ein Ende zu machen. Ein altes französisches Volkslied, welches sich auf die Autorität des Hippo­frates beruft, behauptet sogar:

Qu'il faut à chaque mois

S'enivrer au moins un fois*).

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In diesen Vorschriften lebt ein Rest uralter diätetischer Ansichten, die schon im alten Egypten gang und gäbe waren und für deren Berechtigung sich in der Neuzeit immer mehr Stimmen erheben. Aeltere Leute leiten zwar fast alle Krank­heiten der Jüngeren vom unregelmäßigen Leben" her, und im gewissen Sinne mögen sie auch recht haben, denn es ist offen bar sehr zweckmäßig, zur bestimmten Stunde das Bett aufzu suchen und zu verlassen, ebenso pünktlich die Mahlzeiten zu halten und auch noch andere Organe als den Magen an jene Ordnung zu gewöhnen, welche nach einem bekannten Sprüch worte das halbe Leben" sein soll, indessen man muß auch hier sagen: alles mit Maßen, selbst die Ordnung!

Die alten Gesezgeber und Lehrer der Menschheit scheinen denn auch sehr früh die diätetische Nüzlichkeit der Maßregel erkannt zu haben, gelegentlich die strenge Ordnung der Lebensweise zu unterbrechen, aus ihr herauszutreten( excedere) und also einen Excessus zu begehen, und sie haben sogar gewisse Exzesse der Arbeitsenthaltung, des Fastens, Trinkens, Purgirens, Ader­lassens gesezlich geregelt und an bestimmte Tage geknüpft.

Bei den alten Völkern fielen oft Fasttag und Ruhetag zu­sammen. Später trennte man sie vielfach, um der Natur alle Wochen zweimal einen Stoß zu geben, einen Stoß gegen die Arbeit der Muskeln und des Geistes und einen gegen die Arbeit des Magens. Die meisten älteren Kulturvölfer teilten ihre Feste in Trauerfeste, an denen gefastet wurde, und in Freudenfeste, an denen man sich der Völlerei hingab. Zu den

*) Daß man in jedem Monat soll sich einmal trinken tüchtig voll.

Festen, an denen gefastet wurde, gehörten im alten Egypten die Isisfeste und im alten Griechenland und Nom die Cybele- und Demeterfeste, zu den Festen der gebotenen Ausschweifung in Griechenland und Rom die Dionyfien oder Bacchanalien und in Rom außerdem die Saturnalien. Jedermann sollte hier aus dem gewöhnlichen Schlendrian des Lebens herausgehen und sich gewissen, gleichsam durch Sitte und Gesez geheiligten Ertra­vaganzen und Erzessen hingeben. Auf die volkstümliche Mei­nung, daß die Feier der Bacchanalien gesundheitsfördernd sei, beziehen sich wohl die von Athenäus aufbewahrten Dichter­stellen, in denen Dionysos als Arzt gefeiert wird, wobei auch ein Ausspruch des Sophokles angeführt wird, welcher lautet: " Die Trunkenheit ist ein Heilmittel aller Uebel". Dem in den Weinländern noch heute gefeierten christlichen Feste der Wein­blüte( St. Urban) entsprachen bei den Griechen und Römern die Stadtbacchanalien( Urbana) und den Weinlesefesten, die bei Paris mit dem Feste des h. Dionysius und Rusticus zusammen­fallen, die alten Landdionysien( Rustica). Ihnen folgte ein Fest, an welchem der neue Wein( der sogenannte Federweiße) probirt wurde und welches nach den Angaben von Varro und Festus als Heiligungsfest( Meditrinalia) bezeichnet wurde. Man trank dabei alten und neuen Wein durcheinander, was einen schnellen und heftigen Rausch gibt, und rief: Neualten Wein trinke ich, mit neualtem Weine heile ich die Krankheiten". Ebenso wie die Urbana und Rustica nebst anderen Dionysien durch Mißverständnis altrömischer Kalendarien in christliche Heiligenfeste verwandelt worden sind, so hat man in dem christ­lichen Karneval eine Fortsezung der römischen Saturnalien sehen wollen, während welcher zur Erinnerung an das goldene Zeit­alter des Saturn die Ausgelassenheit regierte. In der Tat beginnt der Karneval in Venedig schon im Dezember, in welchem die alten Saturnalien erst einen, dann drei und zulezt fünf Tage lang gefeiert wurden. Jedenfalls ist der Karakter und das diätetische Volksbedürfnis, einmal im Jahre gründlich aus Rand und Band zu gehen, in beiden Festen ausgesprochen.

Professor Gustav Jäger in Stuttgart , der bei allen seinen Extravaganzen unter den Diätetikern der Gegenwart eine der ersten, wenn nicht die allererste Stelle einnimmt, bezeichnet in seinem Werke über die menschliche Arbeitskraft"( München 1878) die Notwendigkeit einer förperlichen und geistigen Abwechselung in Tätigkeit und Ruhe, Arbeit und Vergnügen als das diäte­tische Variationsgesez und bemerkt mit Recht, daß alle Berufs­arten, welche ihren Ausübern einen derartigen Rytmus der Abwechslung nicht gestatten, vorzeitig aufreibend wirken müssen.

Zu diesem Rytmus gehören nun aber außer den wöchent lichen Pausen der Sonntagsruhe, welche das Gesez vorschreibt, und der täglichen Pause( Nachtruhe), welche die Natur erzwingt, noch andere, und zwar sowohl größere als kleinere. Hierher gehören auf der einen Seite die Zwischenviertelstunden der Schüler, die Verdauungspausen der Arbeiter und Geschäftsleute, die Spaziergänge der geistig Beschäftigten, auf der anderen die größeren Feiertagspausen mit ihrer veränderten Diät, Ferien u. s. w.

Der

Aber diese Unterbrechungen der vorwiegenden Lebensweise dürfen nun auch, falls sie nicht viel von ihrer Wirksamkeit ein büßen sollen, einander nicht allzu regelmäßig folgen. Körper gewöhnt sich gar bald an einen regelmäßigen Rytmus, nimmt ihn als die natürliche Lebensordnung an und verlangt nach unregelmäßigen, gleichsam unvorhergesehenen Unterbres chungen, um die während und troz des regelmäßigen Rytmus ausgebildeten Schäden zu überwinden.

Bis zu einem gewissen Grade erzwingt die Natur, ebenso wie sie uns durch Hunger zum Essen und durch Durst zum Trinken einladet, von selbst diese Abwechslung, und dies geht so weit, daß der Talbewohner von selbst eine Sehnsucht nach den Bergen, der Binnenlandsbewohner nach der Küste empfindet. Dabei ist eine unleugbare Neigung vorhanden, in Extreme zu verfallen und die Abwechslung auch nach dem Grade der Intensität zu einem besonders starken auszudehnen. Wir wollen hier kein besonderes Gewicht darauf legen, daß der Instinkt sowohl das erkrankte Tier wie den Menschen dazu treibt, sich einer abso