geht spazieren, gerät in unbekannte Gegend, in der sich ihm bald zwei Wege zeigen, von denen der eine rauh, steil und faum betreten ist, während sich auf dem andern unzählige Menschen hindrängen, da Wirtshäuser und Erholungsörter aller Art die Reise erleichtern und angenehm machen. So kann er in großer Gesellschaft weiter gehen, mit der er uns nach und nach bekannt macht. Es ist dies aber der Weg zur Hölle, welche er endlich mit seinen Gefährten erreicht und dann nach allen Richtungen durchkreuzt, um ihre sämmtlichen Bewohner kennen zu lernen. Moscherosch   schneidet kräftiger ins Fleisch der einzelnen Stände und Verhältnisse als der Dichter des Narrenschiffs. Es sind besonders die höheren und gelehrten Stände, die er in der Hölle antrifft, von den niederen nur diejenigen, welche an dem Verderben der Sitten mehr oder weniger Anteil hatten, so z. B. die Schneider, weil sie der Modelust dienen. Moscherosch   ist nicht blos vaterländisch ge­sinnt, sondern ein Demokrat im wahren Sinne des Worts, und er liebt das Volk, schon deshalb, weil er bei ihm mehr na­tionale Gesinnung fand als bei den höheren Ständen.

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Auch die Geistlichkeit, die protestantische wie die katolische, schrieb im 17. Jahrhundert Satiren und selbst auf der Kanzel wußte sich die Satire mitunter einzunisten. Unter den prote­stantischen Satirikern ist Balthasar Schupp   aus Gießen  ( 1661 als Hauptpastor in Hamburg  ), der in volkstümlich gehaltenen Predigten wie in zahlreichen Schriften die Versunkenheit seiner Zeit geißelte. Er war im vollsten Sinne des Worts populär, bediente sich der kräftigen, bilderreichen Sprache des Volks und scheute sich nicht, recht drastische Ausdrücke zu gebrauchen, die er beim Volk vorfand und selbst seine Kanzelvorträge mit derben Anekdoten zu würzen. Unter anderem ließ er sich besonders die Verbesserung des Schulwesens angelegen sein. Eine seiner satirischen Schriften erzählt, wie Apollo mit den Musen und berühmten Gelehrten sich darüber beraten habe, woher die Ver­dorbenheit in der Welt und namentlich in der Gelehrten republik   herrühre und wie derselben abzuhelfen sei. Am besten gefällt dem Apollo der Vortrag der Polyhymnia, wonach jede Verbesserung der menschlichen Zustände von der Schule aus­gehen müsse, worauf der Pädagog Comenius   ein trauriges Bild von den damaligen Schulen entwirft, von dem manche Züge noch heutzutage zutreffen. Bulezt faßt Apollo die Beratung dahin zusammen, man müsse zu allererst für gute Schulmeister sorgen, dieselben aber auch anständig bezahlen, denn daß sich heutigen Tages fein generöses und tugendreiches Ingenium zum Schulwesen will gebrauchen lassen, rührt daher, daß man den Schul- Bedienten Zeißgen- Futter gibt und Esels- Arbeit auff­leget."

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Wie Schupp im Norden, so satirisirte im katolischen Süden der berühmte wiener Hofprediger, Pater Abraham a Sankta Klara( eigentlich Ulrich Megerle   aus Schwaben 1709), in welchem Rabelais und Fischart wiedergegeben zu sein schienen. Seine Schriften entsprechen den Anforderungen, die er selbst an einen Kanzelredner stellt, wenn er gefallen soll*); alles ist darauf berechnet, das Lachen zu erregen und durch den komischen Effekt die Aufmerksamkeit zu fesseln, wodurch zugleich eine tiefere Wirkung erzielt werden soll. Die Darstellung ist daher im höchsten Grade burlesk und mit Wortspielen und Gleich­nissen überfüllt, an denen er unerschöpflich war. Aber auch an

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*) So lang ein Prediger ein schöne, zierliche, wolberedte, ein auffgebußte, mit Fabeln und sinnreichen Sprüchen vnderspidte Predig macht, da ist jedermann gut Freund. Bivat der Pater Prediger! ein waderer Mann! ich höre ihm mit Lust zu. Wann er aber ein scharpffen Ernst anfangt zu zeigen, wann er anfangt, grossen Herren, denen hohen Ministris vnd Räthen, den Edl- Leuthen, den Gaistlichen, den Soldaten; den Magistrat vnd Obrigkeiten, den Zimmerleuthen, Beden, Gartnern, Birthen, den Bauern vnd Kindern, dem Frauen- Bimmer die Wahr­heit zu sagen, so bringt ihm solches Raden Rädern, so bringen ihm solche Wörter Schwerdter, so bringt ihm solches Sagen Klagen. Er verfeindt sich allenthalben, sein Auditorium wird bald die Schwind­sucht leyden, die Kirchenstüel werden bald lauter Quartier der alten Weiber werden, die Kirchen wird bald werden wie ein abgebrochener Jahrmarkt, an allen Orten wird man hören: Was key ich mich vmb den Prediger."

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eigentlichen Wizen ist er außerordentlich reich; stets ergreift er mit sicherem Blicke die lächerlichen Seiten der menschlichen Ver­hältnisse und Zustände. Ebenso unerschöpflich ist er an Fabeln, Geschichten und Anekdoten jeglicher Art, die er nicht selten mit Meisterschaft und meist mit anschaulichster Lebendigkeit erzählt. Abraham a S. Klara spricht die Sprache des Volks, sein Stil ist klar, lebendig, anschaulich und von natürlichem Wohllaut, an Mannichfaltigkeit und Abrundungen der Sazbildungen über­trifft ihn faum ein anderer Schriftsteller der Zeit. Reich an treffenden Ausdrücken, scheute er sich auch vor den kräftigsten nicht, wie er auch keinen Anstand nimmt, Possen und Boten zu reißen. Die im ganzen hochdeutsche Sprache ist mit einer Menge von österreichischen Provinzialismen versezt, was den burlesken Karakter noch erhöht. So sind Megerles Schriften das ächteste Urbild von dem, was man gewöhnlich unter Kapu­zinaden versteht, wie denn die schillersche Kapuzinerpredigt in Wallensteins Lager eine zumteil wörtliche Bearbeitung einer Türkenpredigt von Abraham a Santa Klara ist. Es sei ver­stattet, aus seinem vierbändigen Hauptwerk:" Judas der Erz­Schelm" eine Stelle anzuführen, welche überschrieben ist

Die Jungfrau.

Ein rechte Jungfrau soll seyn vnd muß seyn wie die Glocken am Charfreitag, muß sich nit viel hören lassen. Die Männer fönnen Vocales ſeyn, die Weiber Consonantes  , dic Jungfrauen aber müssen Mute seyn. Ein rechte Jungfrau soll seyn vnd muß seyn wie eine Orgel; so bald diese ein wenig angetastet wird, so schreyt sie. Ein rechte Jungfrau soll seyn vnd muß seyn wie der Palm- Eßl, der last sich im Jahr nur einmahl sehen. Ein rechte Jungfrau soll seyn vnd muß seyn, wie ein Spittel- Suppen, die hat nit viel Augen, auch soll sie wenig vmbgaffen c. Ein rechte Jungfrau soll seyn vnd muß seyn wie ein Nacht- Eul, die kombt fein wenig ans Tagliecht. Ein rechte Jungfrau soll seyn vnd muß seyn wie ein Spiegel, wenn man disem ein wenig zu nahen kombt vnd anhauchet, so macht er ein finsteres Gesicht. Ein rechte Jungfrau soll seyn vnd muß seyn wie ein Licht, welches versperrter in der Latern viel sicherer ist, als ausser derselben. Insonderheit aber soll seyn vnd muß seyn ein rechte Jungfrau wie ein Schildkrott, die ist allezeit zu Hauß, maßen sie ihre Behausung mit sich tregt; also eine rechte Jungfrau sich mehresten soll zu Hauß auffhalten zur Meidung aller bösen Gelegenheiten; denn gleich wie jener gute Saamen deß Evangelischen Ackermanns, so auff den Weeg gefallen, von den Vöglen ist verzehrt worden, also seynd die Ehrsame Jungfrauen, welche immerzu auff Weeg vnd Gassen sich sehen lassen, von den Ertz- Vögeln gar nicht sicher. Wäre die Dina, deß Jakobs saubere Tochter, zu Hauß gebliben, so wäre sie niemahlens so spöttisch vmb ihr Ehr kommen*).

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*) Ueber Pater Abraham, der beim Volt, das ihn Fabelhans nannte, wie bei Hof sehr beliebt war, tursiren eine Menge Anekdoten. So soll er einmal mit dem Grafen Trautmannsdorf gewettet haben, ihn auf der Kanzel ohne Beleidigung einen Esel nennen zu wollen. Er erzählte in der Predigt von einer Gemeinde, die einen dummen Schulzen gewählt hatte und rief dreimal:" Dem Esel traut mans Dorf!" Ebenso gewann er eine Wette, daß er auf der Kanzel eine Kanne Wein austrinken und die Kanne der ganzen Gemeinde zeigen werde. Er nahm die volle Kanne unter seine Kutte, trant sie während des stillen Gebets niederknieend aus und nach dem Segen zeigte er dieselbe mit den Worten: Es ist gestern diese Kanne gefunden worden, wem sie gehört, kann sich melden." Eine Magd hatte den Kapuzinern eine Halpastete zu bringen, Abraham wies ihr sein Augustinerkoſter. Aber sie sind ja schwarz" fragte die Magd. Wohl mein Kind! wir haben eben Trauer" sagte Abraham   und verzehrte lachend mit seinen Brüdern die Pastete. Von seinem Sterben erzählt man sich noch folgende karakteristische Anekdote. Obwohl er als Knabe das Jefuiten gymnasium zu Ingolstadt   besucht hatte, blieb er bis an sein Ende ein Feind der Jesuiten  . Man sagt nun, daß zwei Jesuiten   zu ihm kamen, als er im Sterben lag, um ihn noch zu einer rührenden Anerkennung ihres Ordens zu bekehren. Da soll er sie gebeten haben, zur Rechten und zur Linken von seinem Bett zu treten und auf die Frage: Warum das? habe er geantwortet, damit er auch sterbe, wie sein Heiland zwischen zwei Schächern.