französischen   Klassizismus, Jahrhunderte lang bewundert und befolgt wurde. Boileau  , der es sich sehr angelegen sein ließ, der Horaz   der Franzosen zu werden, hat 12 Satiren nach horazschem Muster geschrieben, welche sein bedeutendstes Werk sind, sich lange Zeit großer Berühmtheit erfreuten und ihm den Namen des größten Satirikers einbrachten. In denselben züchtigt er mit Freimütigkeit die Heuchelei und Anmaßung der Jesuiten  , die Erbärmlichkeit der zahlreichen Dichterlinge und viele Ge­brechen seiner Zeit überhaupt.

Weit mehr satirischer Geist als in den Schriften des pe­dantischen Versedrechslers Boileau   sprüht in den Komödien des großen Molière, des Vaters des französischen   Lustspiels. ( 1673.) Dem Volke entsprossen und frühzeitig auf seine eigene Kraft verwiesen, hatte Jean Baptist Poquelin, wie Molière  eigentlich hieß,( Molière   ist ein angenommener Teatername), Gelegenheit, das Leben in seiner herben Wirklichkeit und die Menschen so wie sie sind kennen zu lernen; daher die unüber­treffliche Wahrheit seiner Karakterzeichnung, und der sittliche Ernst, der auf dem Grunde seiner Komik ruht. Obgleich er sich vermöge seiner Stellung zum lobhudelnden Possenreißer des Hofes hergeben mußte, ist etwas Demokratisches und Revo lutionäres in ihm, denn wie hätte er es sonst wagen können, gegenüber einer Aristokratie wie der damaligen die vornehmen Laster mit unsterblichem Gelächter zu überschütten, gegenüber einem bigotten Hof die religiöse Heuchelei mit einer Kühnheit zu entlarven, die zu den besten Geistestaten aller Zeiten ge­hört? Molière, der die Fabel seiner Stücke häufig andern ältern Dichtern entlehnte, schliff die rohen Kiesel zu Brillanten und faßte sie in Gold. Seine shakespearesche Kraft fließt aus dem Kontrast der Situationen mit den Neigungen und Absichten des Handelnden, des eigenen Karakters mit dem angenommenen oder eingebildeten, aus dem Gegensaz der Worte und Handlungen, der Wahrheit und des Scheins, der Denkart und des Betragens

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und aus der Wichtigkeit, mit der seine Toren die unbedeutendsten Kleinigkeiten behandeln. Kein Komiker hat so auf Europa   ge­wirkt, als Molière, keiner so viele schädliche Torheiten hinaus­gelacht. Unter seinen 32 Stücken sind die gefeiertesten: Tar­ tüffe  "," Der Menschenfeind  "," Der Geizige  " und" Die ge­lehrten Frauen", denen aber Die Schule der Frauen  , Der bürgerliche Edelmann und Der eingebildete Kranke  " an frischer Lebendigkeit und Humor zur Seite gesezt werden dürfen. Das vollendetste derselben ist der zu europäischer Popularität gelangte Tartüffe, worin das scheinheilige Treiben der Frömmler, die unter der Maske der Religiosität ihre nichtswürdigen Ab­sichten verfolgen, auf eine so anschauliche Weise dargestellt wird, daß sich in den höheren Kreisen ein heftiger Sturm gegen das Stück erhob und Tartuffe   der Gattungsname scheinheiliger Pharisäer geworden ist. So lange solche Füchse im Schafspelz in der menschlichen Gesellschaft umherschleichen, wird sich Mo­lières Tartüffe in gleicher Frische auf den Bühnen erhalten. " Worum findet man so viel Anstoß am Tartüffe?" fragte einst Ludwig XIV.  , als die Italiener am Hofe eine religiös sehr freie Posse aufführten. Die Italiener," erwiderte ein Hof­mann, haben nur Gott beleidigt, Molière aber die Frommen." Das Verbot, das der Parlamentspräsident gegen den Tar­ tüffe   erlassen hatte, kündigte Molière   selbst dem Publikum mit den Worten an: Der Herr Präsident will nicht, daß man ihn spiele"( Monsieur le Président ne veut pas qu'on lejoue). Den Mann, dem Athen   und Rom Altäre errichtet hätten, wollte der Erzbischof nicht in geweihter Erde begraben lassen, weil er ohne Sakrament abfuhr. Ludwig aber fragte: Wie tief geht die geweihte Erde?" Vier Fuß. Nun, so beerdige man ihn sechs Fuß tief." Ohne Sang und Klang wurde er be­graben. Wenn irgend ein Werk das Wort bestätigt, daß die Schaubühne eine moralische Anstalt sei, so gilt das von Molières Tartüffe.

Serena.

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Eine venetianische Novelle von Max Vogler.

Es waren nun bereits fast sechs Wochen seit der Erkrankung Serenas verflossen. Das Fieber an sich freilich hatte sich während dieser Zeit soweit gehoben, daß keine schweren Anfälle desselben mehr zu befürchten waren; aber es war eine tiefe Verstimmung, eine Art schwermütigen Trübfinns zurückgeblieben, in welchem das unglückliche Mädchen von Tag zu Tag dahin brütete. Sie war am liebsten mit sich allein und pflegte selbst dem Vater, wenn er an ihrem Bette erschien und in zärtlicher Sorge mit ihr sprach, nur wenig und ausweichend zu ant­worten., Es geht mir jezt gut, lieber Vater," sagte sie in der Regelund ich glaube, es wird mir bald noch besser werden!". Ach, was in Wirklichkeit ihr Herz bewegte, was. an ihrer Seele nagte mit endlosem, verzehrenden Gram, was sie bald mit heimlichem Feuer durchglühte, bald mit faltem Schauer übergoß, das unselige Geheimnis, das sie in ihrem Innern verbarg, das durfte sie ja dem Vater nicht offenbaren, wenn sie ihm nicht noch schwereren Kummer bereiten wollte.

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Die Vergnügungen und Festlichkeiten des Karnevals hatten inzwischen ihren Abschluß gefunden; die weiße Schneedecke in den Gärten und in den schmalen Straßen schmolz allmählich wieder hinweg, die Witterung wurde heiterer und freund­licher, und wenn nicht der April allzu unwirsch und regnerisch dahergezogen kam, so war ein milder, sonniger Lenz zu erwarten, der schon jezt, zu Anfang des März, seine Bauber zu entfalten begann.

Der Marchese von Montanari besaß leider zu dieser Zeit nicht die Empfänglichkeit, die zum vollen Genuß dieses wunder­samen Frühlingszaubers nötig ist. Er blickte sehr ernst und trübe vor sich hin, als er in den ersten Stunden eines ruhigen, Sonnenklaren Nachmittags mit gesenktem Haupte, müden Ganges  aus der Piazetta nach der Piazzo di San Marco schritt.

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( Schluß folgt.)

( 10. Fortsezung.)

Nur die mancherlei Photographien, Stahlstiche und Del­gemälde, die sich in den Schaufenstern einer der großen Buch­handlungen auf dem Markusplaz befanden, schienen einige An­ziehungskraft für ihn zu befizen; denn er blieb vor einem dieser Schaufenster stehen und betrachtete aufmerksam die ausgestellten Kunstgegenstände, und unter diesen wiederum war es ein sehr großer, meisterhaft ausgeführter Stahlstich, der ihn in ganz be­sonderem Grade zu fesseln schien. Das Süjet des Bildes war ein an sich höchst schlichtes und tat deutlich fund, daß sich der Künstler bei der Wahl desselben nicht im geringsten von der Absicht, etwa schon durch seinen Stoff allein einen Effekt zu erzielen, hatte leiten lassen. Er hatte nichts als die Darstellung einer einfachen Szene der Betätigung echter, edler Menschlichkeit geboten; aber die Art dieser Darstellung, die geistvolle Auf­fassung des anspruchslosen Stoffs, der zaubervolle Schimmer goldigster Poesie und himmlischer Verklärung, der über den ein­zelnen Gestalten desselben lag, die ergreifende Tiefe und Un­mittelbarkeit des Gefühls, die das Ganze atmete diese Vor­züge waren es, die dieses Bild vor allen anderen, welche das große Schaufenster zeigte, auffallend erscheinen ließen.

Den Hintergrund desselben bildete eine mit leichten Strichen angedeutete Gartenszenerie, die, von sonnigem Licht überflutet, mit Blumenteppichen und Laubhallen und zierlichen Gängen fernüber in milden Tönen und weichem Duft verschwamm. Im Vordergrund aber stand eine hohe, von unsäglichem Reiz um­flossene Frauengestalt, zu der mit rühremdem Ausdruck inniger Liebe und Anhänglichkeit und die kleinen Arme bittend erhebend, zwei kleinere, reinste Kinderunschuld in Augen und Zügen offen­barende Mädchen aufsahen, denen jene aus einem rankenum wundenen Körbchen, das sie in der Hand hielt, allerhand Früchte, wie Pfirsiche, Aprikosen, Zitronen, Datteln, Orangen austeilte.