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Auf das tiefste bewegt, ging der Marchese in den Buchladen hinein, um zu erfahren, wo das Original jenes wundersamen Stahlstichs zu finden sei und ein Exemplar in seinen Besiz zu bringen. Man drückte ihm sein Erstaunen aus, daß er es noch nicht fenne, während seit zwei Tagen ganz Venedig nach der Akademie della Belle Arti( der schönen Künste) wallfahrte, um das dort ausgestellte Gemälde zu sehen. Der Schöpfer des unvergleichlichen Gemäldes sei ja der schon sehr vorteilhaft be­kannte, augenblicklich in Rom lebende deutsche Maler Camillo von Winter, der für diese neuerliche ausgezeichnete Leistung das Prädikat eines Professors erhalten habe.

Der Marchese begab sich nun stehenden Fußes nach der Akademie della Bella Arti- man kann diesen Weg durch eine Reihe größerer und kleinerer Gassen, über mehrere Brücken, und zulezt über den Campo San Stefano und die Eisenbrücke gelangend, zurücklegen, ohne die Gondel benüzen zu müssen.

In einem der zur Ausstellung neuerer und neuester Ge­mälde bestimmten Säle fand er das gesuchte Orginal jenes Bildes. Die Wirkung des lezteren war jezt eine noch weitaus bedeutendere, als die der Nachbildung in Stahlstich; durch die entschiedenen helleren und dunkleren Farben erhielt alles ein erhöhtes Leben. Die Fleischtöne vor allen erschienen von einer solchen Wärme, daß das Antliz des herrlichen Frauenbildes seiner Serena mit seinem feinen, duftigen Teint hervorleuchtete wie in der Wirklichkeit selbst.

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Der dieses Bild geschaffen, dem hatte nicht blos künstlerische Empfindung und technische Meisterschaft das Werk entworfen und vollenden helfen, wer jene den Mittelpunkt des Ganzen bildende herrliche Mädchengestalt in ihrer vollen, leuchtenden Jugendblüte auf die Leinwand gezaubert, sogar, ohne daß ihm sein Urbild als Modell gesessen, den mußte noch eine andere hohe Macht bei seinem Schaffen angetrieben, dem mußte die selige Gewalt der Liebe Hand und Pinsel geführt haben.

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Und der Marchese würde noch mehr erstaunt gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß der Künstler bei seiner Arbeit nicht einmal durch ein Bild Serenas unterstüzt worden war, sondern Gestalt und Züge derselben ganz, und nur so, wie sie ihm im Gedächtnis standen, nachgebildet hatte. Denn Camillo war in Rom völlig unfähig gewesen, der ihm dort gestellten Aufgabe, wegen deren er nach der Hauptstadt gereist, zu genügen, da er aller dazu nötigen Sammlung entbehrte. Die Ereignisse, die seiner Abreise von Venedig voraufgingen, hatten noch mit solcher Lebendigkeit den Vordergrund all seines Denkens und Empfin­dens eingenommen, daß er schlechterdings für alles andere keine Empfänglichkeit besaß. Seine Gedanken gingen immer und immer wieder nach der alten Lagunenstadt und in den Palazzo Sponda zurück und umspannen in seligem Selbstvergessen das süße Bild der Geliebten; ihre sanften Büge tauchten in leuch tender Schöne vor ihm auf, er sah sie wieder im Kreise armer, bettelnder Kinder, er dachte der Worte des Alten im Garten der Villa Montanari am Comosee und des erhebenden Bildes, das sich ihm dort selbst vor Augen gestellt, und in dieser Weise nahm, was schon lange heimlich in seiner Seele gewirkt, be­stimmte, sichere Gestalt und Form an, und seine bisher schon still gehegte, aber noch nicht völlig geklärte Absicht wurde zum festen Entschluß. So war die meisterliche Schöpfung begonnen worden, mit einer so glühenden Begeisterung, daß er die Hand kaum eine kurze Weile von der Arbeit ruhen ließ und vom frühen Morgen bis zur Nacht, so lange es nur irgend das Tageslicht gestattete, rastlos daran tätig war, und nur so hatte es ge= schehen können, daß in dem für die Größe und den Umfang der gestellten Aufgabe erstaunlich furzen Zeitraume von vier Mo­naten das herrliche Gemälde seine Vollendung erreichte.

Ein in der linksseitigen Ecke in den kostbaren Rahmen ein­gefügtes Papierblatt mit großen schwarzen Ziffern besagte, daß das Bild in der Akademie zum Zweck des Verkaufs ausgestellt war und für den Preis von 20 000 Lire erworben werden gewiß eine fast zu beträchtlich scheinende Entschädigung für die von dem Künstler auf die Schöpfung verwendete Beit und Mühe, in anbetracht des Kunstwertes des Gemäldes aber

fönne,

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eine keineswegs zu hoch gegriffene Summe. Der Marchese schien sich dies einzugestehen, denn er erbot sich sofort, die leztere zu zahlen. Man teilte ihm nun freilich mit, daß sich bereits mehrere Käufer für das aufsehenerregende Bild gemeldet hätten, da er jedoch erklärte, dem geforderten Preise noch 5000 Lire hinzuzufügen, glaube man im Interesse des Künstlers zu han­deln, wenn man dieses Gebot annehme. Es wurde dem fast zu extatischem Entusiasmus hingerissenen glücklichen Besizer der prachtvollen Schöpfung, der diese am liebsten sofort in sein Haus hätte bringen lassen, indes bedeutet, daß das Bild, ge­troffener Bestimmung gemäß, noch acht Tage öffentlich an dem jezigen Orte ausgestellt bleiben müsse; dann stehe seiner Hin­wegnahme nichts mehr entgegen.

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Dieser

Freuderfüllten Herzens, wenn auch etwas unzufrieden damit, daß er dem neuen, für ihn unbezahlbaren Besiz nicht schon heute seine Stelle im Palazzo della Sponda anweisen konnte, fehrte der Marchese ein kleines Stück den Canal grande ent­lang fahrend, nach Hause zurück. Er tat es mit dem festen Ent­schluß, der franken Tochter eine Freudenbotschaft zu bringen und mit einemmale alles, er wußte es wohl, was sich in der lezten Zeit zwischen ihr Herz und das seine gestellt hatte, hinwegzuräumen. Denn das sagte er sich jezt immer und immer wieder wer eine so unvergleichliche hohe und edle Betätigung seiner Liebe gegeben hatte, der konnte keine bloße flüchtige kapriziöse Schwärmerei, wie sie leidenschaftliche, leichtflatternde Künstler­herzen nur zu oft befällt, empfinden; die Macht unbeirrbarer, unauslöschlicher Neigung mußte es sein, die sein ganzes Wesen durchdrang und mit diesem innig zusammenschmolz. innersten Ueberzeugung gegenüber mußte aller Unwille und Zorn aus seinem Herzen entfliehen, mußten alle bisher gehegten Be­denken verstummen; der törichte Stolz war gebrochen, und der zuvor schon bei dem Gedanken an die Neigung zwischen Serena und Camillo vor heftigster Entrüstung erglühende Mann wie umgewandelt im tiefsten Innern. Eine selige Freude, die er nicht um alles in der Welt hätte hingeben mögen, durchdrang sein ganzes Sein, und nur das eine empfand er noch- daß Serena an der Seite jenes Mannes unaussprechlich glücklich werden würde. Freilich trug Camillo auch jezt noch den ein­fachen Namen eines Professors von Winter", während der andere den stolzen Titel eines Grafen von Larente führte, aber gab es denn einen höheren Adel als den, welchen jener eben in so edler, erhebender Weise zum Ausdruck gebracht, und hatte er denn nicht von anfang an für Camillo und sein bescheidenes liebenswürdiges Wesen die aufrichtigste Sympatie empfunden?- Und das Vermögen, der äußere Besiz? War denn ein mehrwertiger, schwerwiegenderer Besiz, als der, welchen er in seiner Künstlerschaft in sich selbst trug, auch nur auszudenken, und hatte er, der Marchese, denn nicht von jeher eine hohe Verehrung für den göttlichen Beruf des Künstlers empfunden auf das lebhafteste empfunden und diese Ver­ehrung auch gegen Camillo stets bekundet, bis dahin, wann dieser im tiefsten Seelendrang die Hand nach der seines Kindes aus­gestreckt, das Herz seiner Tochter gefangen genommen hatte? Das äußere Vermögen? Erntete der Maler für seine Leistungen nicht auch den bedeutendsten greifbaren Lohn, und war er, war Serena nicht selbst reich genug, um überhaupt ja, wie fonnte am Ende nicht darnach fragen zu brauchen,- die Frage nach materiellem, klingenden Gut hier überhaupt in­betracht kommen?

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So fiel eine Beunruhigung, eine Sorge nach der anderen von seiner Seele, und alle kleinlichen Bedenken und Bekümmer­nisse zerrannen in nichts.

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Nein, nein, es sollte keine Schuld, das Lebensglück seiner teuren Tochter zerstört, oder doch gehindert zu haben, auf seinem Herzen lasten: Der Himmel segne dich und gebe dir alles, was ich dir im tiefsten Gemüt wünsche, Serena, mein gutes, liebes Kind! murmelte er in sich hinein und streckte unwillkürlich die Hand aus, als ob er sie auf das Haupt der Tochter legen wolle....

Die Kranke befand sich in ihrem Zimmer allein. Sie hatte