doch zugleich auf allgemein menschliche Verhältnisse und Zu­stände, wie auf die ganze Torheit und Verkehrtheit des mensch lichen Tun und Treibens überhaupt. Nie ist die Bestie im Menschen grausamer und genialer verhöhnt worden als im 4. und lezten Teil dieses Werks, welches die Reise in das Land der Houyhnhnms enthält. Swifts und Popes   Freund John Arbuthnot  ( 1735), der den Roman John Bull  " herausgab, welcher seither der Spiznahme des englischen Volkes blieb, hat einen wizigen Kommentar zu Gullivers Reisen   ge­schrieben. Sehr traurig waren die lezten Lebensjahre Swifts. Taubheit und Schwindel hatten den stets rauhen, ungemütlichen Mann noch ungeselliger gemacht und er verfiel zulezt in völligen Blödsinn und Epilepsie. Einst stand er lange vor einer Eiche, die oben welk, unten aber gesund schien. Sie stirbt von oben wie ich!" rief er mit Schmerz. Als er schon mit dem Tode rang, ließ sich der berühmte Oratorienkomponist Händel bei ihm melden. Ah! a German  , and a genius! e prodigy! admis him!( D, ein Deutscher und ein Genie! ein wahres Wunder! Laßt ihn herein!) rief er aus. Es waren seine lezten Worte. Der von Swift inspirirte, gelehrte, grobknochige Lerikograph, Journalist, Literarhistoriker und Satirifer Samuel Johnson  ( 1781) züchtigte in seinen Satiren die Torheiten der Zeit und insbesondere die Laster der Hauptstadt.

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Ein ebenbürtiger Sprößling von Swifts Gulliver ist der satirische Roman Niels Klims unterirdische Reise" von dem Norweger   Ludwig Holberg  , dem eigentlichen Schöpfer der neueren dänischen Literatur, dem Molière und Voltaire Däne­marts( 1754). Derselbe ist vorzugsweise gegen die Pietisterei gerichtet, welche zu jener Zeit wie ein Heerrauch ganz Däne­ mark   durchzog und nur der Umstand, daß der Roman lateinisch geschrieben war, schüzte seinen Verfasser vor Verfolgung dieser Frommen. Ein derb satirischer Grundzug geht durch alle die zahlreichen Werke Holbergs, der durch seine dreiunddreißig frisch aus dem Leben, aus der gesundesten Volkstümlichkeit gegriffenen, von originellster Laune und echtester Komik strozenden Schau- und Lustspiele der Begründer des nationalen Teaters seines Landes geworden ist. Holbergs Satire trägt indes so sehr den Karakter der Gradheit und Lauterkeit und ist mit soviel behaglicher Bon­homie versezt, daß sie überall mehr eine erheiternde und poetische als verlezende Wirkung übt. Neben Holberg   darf Ch. Falster ( 1752) genannt werden, der durch leicht hingeworfene satirische Zeichnungen mit jenem um den Kranz rang.

In Rußland   begegnet uns der aus der Moldau stammende, in den schöngeistigen Salons von Paris   literarisch gebildete Fürst Kantomir( 1744), der die französische nüchterne Kor­rektheit in die russische Sprache und Literatur einführte und mit seinen Satiren als der erste russische Klassiker galt.

Wir haben nun noch einige deutsche Satiriker zu verzeichnen, die der Schlußperiode dieser Epoche angehören. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entbrannte jene berühmte litera rische Fehde, welche man als den Kampf der Leipziger   und der Schweizer   zu bezeichnen pflegt und deren Inhalt sich dahin resumiren läßt, daß die leipziger Literaten, an deren Spize Gottsched   stand, die den Franzosen entlehnte, auf formale Kor­rektheit dringende Verständigkeit, die Schweizer   dagegen, unter Bodmers und Breitingers Führung, die aus der Bekannt­schaft mit der englischen Poesie gewonnene innere Lebendig­keit und Frische des Gefühls zum obersten Prinzip der Poesie erhoben wissen wollten. In diesem Streit, der zur Wieder­geburt der deutschen Nationalliteratur wesentlich mitgewirkt hat, gesellte sich zu den Schweizern der kräftige Satiriker Ch. Ludwig Liscow aus dem Schwerinschen( 1760), der beste Prosaist dieser Zeit, der mit einer in Deutschland   bis dahin unerhörten Schärfe des Spotts und der Ironie bald gegen die ortodoxen Teologen, bald gegen die pedantischen Gelehrten und Schul­männer, bald gegen die erbärmlichen Schriftsteller und kritischen Wochenschriften zu Felde zog. Seine derbe Satire und sein beißender Wiz, die anfangs nur Gottscheds Günſtlinge trafen, bald aber den Meister selbst nicht verschonten, erschütterten das Ansehen des anmaßlichen literarischen Diftators gewaltig. Lis­

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cows Satiren, worunter die bedeutende Vortrefflichkeit und Notwendigkeit der elenden Skribenten" betitelt ist, würden gewiß noch heute mit Vergnügen gelesen werden, wenn sie nicht den Hauptfehler der Zeit, die allzugroße Breite, teilten, die aber nicht, wie meist bei seinen Zeitgenossen, eine Folge von Ge­dankenarmut ist, sondern in der Regel im Gegenteil aus der Fülle von Ideen fließt.

Ganz anderer Art waren die Satiren des Steuerrevisors Rabener( aus Wachau   bei Leipzig  , 1771). Statt wie Liscow die Fehler und Gebrechen der Zeit, die den Entwick lungsgang der Nation hemmten, zu züchtigen, wendete sich Rabeners zahme Satire gegen einige Torheiten des geselligen Verkehrs der mittleren Klassen, und statt seine Geißel über die höheren Stände zu schwingen und die Quelle des Ver derbnisses dem Volke kenntlich zu machen, richtete der vor­sichtige, furchtsame Mann seine Angriffe gegen rohe Land­junker, aufgeblasene Pedanten, süße Dummköpfe, klatschende Frauen u. dgl., und zog, um jede persönliche Anspielung zu verhüten, alles ins breite und allgemeine; seine Redseligkeit spinnt den Faden so weit aus, daß er alle Farbe und Kraft verliert. Ohne Phantasie und Verständnistiefe, ohne Kühnheit und Schärfe, klebte Rabener   an der langweiligen Alltäglichkeit des bürgerlichen Lebens. Darum blieb auch der friedliebende, gutmütige Mann und heitere Gesellschafter ruhig und unange­fochten in seinem Amt, während Liscow im Gefängnis schmachten mußte, aus Amt und Besoldung entlassen wurde und in Dürf­tigkeit starb. Immerhin hatte auch Rabeners Satire ihre heil­same Wirkung und manche seiner Satiren lesen sich noch jezt angenehm.

Auch der geistreiche Schüler Gottscheds, der Matematiker Kästner aus Leipzig  ( 1719-1800), dessen Epigramme voll treffenden Wizes sind, kann noch den Satirikern dieser Zeit bei­gezählt werden. Auch in der Fabeldichtung dieser Zeit, welche besonders von Hagedorn,( 1754), Gellert( 1766), Licht­ wer  ( 1783) und Pfeffel( 1809) gepflegt wurde, sehen wir manche satirische Rakete aufsteigen.

Wir können diese Epoche nicht abschließen, ohne auch der Satire in der bildenden Kunst gedacht zu haben, die in diesem Zeitraum besonders gepflegt wurde. Die älteste Form derselben mag sich wohl in Karrikaturen*) der leiblichen Gestalt, beson­ders der Physiognomie behuss persönlicher Verspottung geäußert haben, wie wir denn schon aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. eine farrikirende bildliche Darstellung erwähnt haben.( Vgl. den Artikel im vor. Jahrg. Nr. 45: Die Satire der Alten.) Je mehr sich die Kunst aus ihrer technischen und geistigen Gebundenheit zu einer freieren Behandlung und Auffassung erhob, desto breiter wurde auch das Feld der Satire, welche sich der Zeichnung, Malerei und Reliefplastik bediente, um durch bildliche Darstellung von Persönlichkeiten oder Szenen aus dem Leben Personen und Stände, Verhältnisse und Zustände zu geißeln und dem Ge­lächter preiszugeben; wobei sie besonders durch die symbolische Behandlungsweise unterstützt wurde. Schon als das Mittelalter zur Neige ging, wurde die Kloster- und Weltgeistlichkeit, deren Lüderlichkeit den Spott mächtig herausforderte und, wie wir bereits gesehen haben, in satirischen Schriften stark zerzaust wurde, durch allerlei Karrikaturen lächerlich gemacht und nach ihrem verderblichen Treiben gekennzeichnet( der Esel in der Mönchskutte oder mit rotem Kardinalshut, der Fuchs als Moral­prediger auf der Kanzel u. dgl. find häufig vorkommende Figuren) und in der Reformationszeit besonders wurde Pinsel und Meißel als wirksame Waffe gegen Rom   und die Klerisei gehandhabt. So 3. B. zeichnete Manuel, der beißende Possendichter und Karrikaturenzeichner, eine Auferstehung Christi, worauf man statt der kriegerischen Hüter des Grabes Pfaffen sieht, die es sich mit ihren Dirnen wohl sein ließen und nun aufgeschreckt fliehen. Auf einer Tapete war Papst Leo X.   dargestellt, wie ihn Luther

Von dem italienischen caricare überladen, indem die Karrikatur die individuellen Eigentümlichkeiten übertreibt, um komische Wirkung zu erzielen.