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ganz fräftige, durchaus gut organisirte Mädchen war garnicht| nämlich der vielfach verbreiteten Manie, alles Neue, alles herleicht umzubringen gewesen, aber wenn sich zwei Aerzte und zehn Tanten und Onkels der„ guten alten Zeit" zusammentaten, um ein nur ein klein wenig frankes Menschenkind zu„ retten", dann mußte es eine Pferdekonstitution, dazu noch ein Heidenglück haben, wenn es mit dem Leben davon kommen wollte.
Ich könnte noch lange so fortfahren mit der Aufzählung von Vorurteilen und Irrtümern, die ihre Rolle als Perlen der Weisheit ausgespielt haben, und würde doch nicht fertig damit werden. Ich könnte auch auf Duzende von Irrtümern und Narrheiten hinweisen, die uns jezt noch von der Wiege bis zum Grabe begleiten, mit uns leben und lieben, wachen und schlafen gehen, neben uns zutisch sizen und uns tribuliren und malträtiren, aber da müßte ich eben auch die Grenzen, welche mir der in der„ Neuen Welt" für diesen meinen Aufsaz vorhandene Raum zieht, weit, sehr weit überschreiten, und dann würde ich einerseits mir hundert Entgegnungen und tausend Einwürfe und Bedenken, spöttelndes Achselzucken und tiefgehende Entrüstung zuziehen, sowie anderseits einem zweiten Kardinalfehler beim Urteilen Vorschub leisten, der dem ersten dem auf Treu und Glauben Hinnehmen überkommener Meinungen und Ansichten- schnurstracks entgegengesezt, aber nicht viel weniger verderblich ist,
I.
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gebrachten Anschauungen Widersprechende, besonders das kühn, oder, wenn man will, dreist Widersprechende mit Freuden zu begrüßen, gierig zu erfassen und es ebensowenig, wie andere das Ueberlieferte, zu prüfen, auf seinen Gehalt, seine Richtigkeit und Zuträglichkeit zu untersuchen.
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Prüfet alles und das beste behaltet! Dieses alte Wort, das die Christenbibel, ich weiß im Augenblick nicht wo, entlehnt hat entlehnt hat sie alles Gute und Richtige kann man auch heute noch recht oft und eindringlich wiederholen. Laßt cuch nicht umgarnen von dem Alten und nicht verblüffen von dem Neuen, sondern fühlt diesem wie jenem fest auf den Zahn, das ist das beste Rezept, um zu gesundem, selbständigen Denken und Urteilen zu kommen.
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Jezt ist die Reihe zum Kopfschütteln über meine kezerischen Behauptungen an den Freunden des Neuen, des„ genial Oppo= sitionellen" auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens, das„ so ungeheuer viel Gutes gestiftet, die Welt so ungeheuer weit und rasch vorwärts gebracht hat."
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Gemach, ihr Freunde! Freunde, denn man wird mirs leicht glauben, denke ich eine Schwäche habe auch ich für das Neue und seine Anhänger gemach! ( Schluß folgt.)
Der Schwedeneinfall.
Erzählung von Otto Sigl.
Nahe den oberbaierischen Bergen liegt das schmucke Städtchen Glonheim. Ein Fremder, der an einem der ersten Septembertage des Jahres 188... den freundlichen Ort besuchte, fonnte sich zu seiner lebhaften Ueberraschung in die wildbewegte Zeit des dreißigjährigen Krieges zurückträumen.
Im Hof und Erdgeschoß des dem„ Liederkranz", der vornehmsten Bürgergesellschaft, gehörenden Hauses hatte sich ein wahrhaft martialisches Treiben entwickelt. Even war in den Hof ein Lastwagen gefahren, hochaufgepackt mit Sturmhauben, Brustharnischen und Lederkollern, Schwertern, Partisanen und Radschloßmusketen, sowie sonstiger noch aus den Tagen Gustav Adolfs und Wallensteins herrührender Kriegsrüstung. Diese seltsame, aus der Sammlung eines benachbarten Grafen stam mende Ladung wurde von den herbeigeeilten Bürgern und Bürgerssöhnen mit Jubel begrüßt und jeder suchte sich Waffen und Rüstzeug anzueignen.
In einem Zimmer des Erdgeschosses saß um einen runden Tisch eine Anzahl von Männern zu eifriger Beratung vereinigt. Auf dem Tische lagen Historienwerke, sowie alte Abbildungen und neue, von Künstlerhand entworfene Skizzen von bürger lichen Gewändern und Soldatentrachten aus der Zeit des dreißigjährigen Kriegs ausgebreitet. Im Nebenzimmer war eine förmliche Schneiderwerkstatt eingerichtet, worin Wämmser, Mäntel, Krausen und Feldbinden angefertigt wurden.
Auch in den Bürgershäusern wurden von den jungen Frauen und Mädchen emsige Besprechungen mit den Näherinnen über die Auswahl eines passenden Kostüms gepflogen.
Diese nahezu fieberhafte Tätigkeit galt einem eigenartigen Feste, das um die Mitte des Monats in Glonheim begangen werden sollte und imgrunde eine verspätete Karnevalsbelustigung war. Das war folgendermaßen gekommen.
Alljährlich pflegten die jungen Glonheimer in den Fastnacht tagen einen größeren Maskenumzug zu halten. Als nun in diesem Jahre wieder darüber beraten werden sollte, machte Georg Walter, ein junger Zinngießer, der seine Hantirung zum Kunstgewerk zu erheben gewußt, einen originellen Vorschlag.
" Wie wäre es," nahm er das Wort, wenn wir statt der abgedroschenen Wize und Mummereien einmal eine umfassende Idee zur Durchführung brächten? Sparen wir jezt schon Geld zusammen und halten dafür ein vollständiges Kostümfest in günstigerer Jahreszeit. Wie oft hat es sich getroffen, daß die
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Fastnachttage abscheuliches Sudelwetter brachten und wir, klap= pernd vor Frost, als echte und nicht nur als Fastnachtnarren im schmuzigen Schneewasser herumpatschten! Verlegen wir aber unser Kostümfest etwa auf den September, so wird der blaue Himmel und das saftige Grün ringsum unserer Lustbarkeit ganz anderen Rahmen verleihen. Mir schwebt schon ein Gedanke für ein solches Fest vor, das sich prächtig ausnehmen könnte. Ihr wißt alle, welch furchtbares und doch für unsere Voreltern so chrenvolles Schicksal unserm Städtchen am Ende des dreißigjährigen Krieges widerfahren ist. Nur wenige Monate noch vor dem Friedensschluß rückten die Schweden unter Wrangel, nachdem sie die Kaiserlichen geschlagen, bis zum Inn vor. Ein Heerhaufe näherte sich auch Glonheim und verlangte von dem damals wohlbefestigten Städtchen Uebergabe auf Gnade und Ungnade. Unsere wehrhaften Vorfahren waren aber nicht gesonnen, sich leichten Kaufs der argen schwedischen Soldateska preiszugeben. Die Aufforderung zur Uebergabe ward abgelehnt und alle, die nur Waffen tragen fonnten Männer, Jünglinge und Greise rotteten sich zur Abwehr zusammen. Leider erwies sich die Zahl der Feinde als zu übermächtig. Nach heldenmütigem Widerstand drangen die Schweden von drei Seiten ein und die tapferen Bürger fanden fast alle den schönen Tod in Verteidigung der Vaterstadt. Diese glorreiche Episode aus Glonheims Vergangenheit wäre doch sicher ein lohnender Vorwurf für ein Kostümfest, und es könnte Jung und Alt, wer irgend Luſt hätte, daran teilnehmen. Wir Jungen müßten natürlich die Hauptrollen übernehmen, wenn Ihr einverstanden seid, Freunde!"
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Freudig beistimmende Zurufe von allen Seiten bewiesen Georg, daß seine Anregung auf fruchtbaren Boden gefallen.
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" Ich habe mir die Sache so ausgedacht," fuhr er fort. Ein schwedischer Parlamentär erscheint vor der Stadt und wird ins Rathaus geführt. Der hohe Rat beschließt Gegenwehr bis zum äußersten. Die Bürger eilen, sich zu waffnen und schaaren sich um ihre Führer. sich um ihre Führer. Sodann rücken die schon außerhalb der Stadt stehenden Schweden an und der Kampf entspinnt sich, bis am Marktplaz der lezte Widerstand der Bürger gebrochen ist. Zum Schluß vereinigen sich Schweden und Glonheimer zu frohem Gelage auf der Wiese neben dem Hofmaierkeller, die in ein Lager umgewandelt wird. Gewiß werden sich auch die Frauen und Mädchen im Kostüm der Zeit beteiligen und wir Glonheimer können somit ein Feſt feiern, von dem man noch lange reden soll!"