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dann wieder das weiche, sanfte Dahingeben und die liebende Sorge, die selbst leidenschaftlich aufwallen konnte aber„ Trozköpfchen" blieb hoch, troz allem. Annette gab mir die höchst überflüssige Erlaubnis, von nun an„ mitunter" des Abends einen kleinen Spaziergang nach Chillon zu machen, um mit ihr zu„ plaudern"; aus dem„ mitunter" wurde aber allabendlich, und aus dem harmlosen Geplauder" wurde Liebe; bei mir wie bei Aennchen. Und siehe, die Zeit kam, die„ Rosenzeit", wo wir auf dem einsamen Bänkchen saßen, die Kleine an meine Brust gelehnt, ihr feines niedliches Pätschchen an meiner Wange, die aufgelösten schwarzen Locken über ihre Schultern flatternd; und ich drückte sie wieder und wieder an die Lippen, die Locken und Aennchen, und ihr kaltes, troziges Herzchen schlug lauter und wilder; oben aber zogen die Wolken, dumpf rauschte es auf, wenn ein plözlicher Windstoß die Wellen an Chillons Felsen warf, die alten savoyischen Riesen wachten noch immer, und in der Ferne strahlte das alte Lichtermeer und klomm hoch in die Schluchten und Berge hinauf, bis oben, ganz oben nur da und dort noch ein einsames Irrlichtchen flackert. Eine kleine Yacht mit unzähligen bunten Lampions und sehnsüchtiger Musik rauscht draußen durchs Dunkel der Flut- wie des Seekönigs Gondel und lockender Nixengesang. Das monotone Brausen der Räder und Maschine zu dem Schalle der Musik tönt schwächer und schwächer die Lichter verschwinden am Horizont die Fata Morgana verschwand, wie sie die Fata Morgana verschwand, wie sie fam, und alles ist so einsam, so ruhig wie zuvor. Noch ein paar Raketen steigen zum nächtigen Himmel und fallen erlöschend im Feuerregen nieder erlöschend wie der, dessen Hand sie entsandt- es war Tschernajeff,„ Graf Tschernajeff", der seinen Eintagstraum als Krösus durchschwelgte, ehe ihn Kerker und Galeere empfing.
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Gibt es in unserem Jahrhundert noch Leute die an Geister glauben? ich glaube daran, wenigstens an die Nire des Lac Léman , an die freundliche Loreley, in deren Lied sich, wie im Lethe, die ganze traurige, nagende Vergangenheit vergaß. Auch Aennchen war ein solches Nirchen, die in weihevoller Nacht aus den feuchten Fluten ans Ufer stieg, und mich Sterblichen beglückte; und Aennchen war Französin aber nicht Nana! Manch deutsches Weib, auch manche Französin hat diesen Namen verdient; manch frommes unschuldiges Kind fiel dem Elend, der Schande zum Opfer mein Aennchen fällt nie, sie ist gefeit durch ein köstliches Kleinod, ihren Stolz, und ein köstlicheres noch
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Welch reizende Namen fand ihr liebender Mund; welch schwelgende Töne, welch wütendes Feuer, welche Inbrunst!- es ist etwas eigenes um die Liebe einer Französin. Vielleicht unterscheidet sich die Waadtländerin von der Französin, vielleicht liebt sie reiner und inniger, und zudem in diesem Lande der Dichtung, an diesem blühenden, duftenden Ufer, wo noch Natürlichkeit, Treue und Sittlichkeit herrscht. Aennchen hatte noch nie geliebt, und vielleicht gerade deshalb hatte sie so vieles von Gretchen. Was fiel nur dem reizenden Naseweis ein, das arme Gretchen unwillkürlich in allem zu fopiren? es wurde ihr Leid und das meine.
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Klein
Herzchen wogte es auf und ab, wie ein inbrünstig heißes Gebet. Dann fährt sie auf wie aus langem entsezlichen Traum und starrt hinaus in das Dunkel der Nacht. Vielleicht war es Reue, daß sie schluchzte?
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vielleicht ein
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Entschluß?
Den folgenden Abend stand ich wieder in Chillon ; es war ja ein leichtes Gewitter gewesen, dem Sonnenschein folgte und der Regenbogen der Versöhnung. Vergib mir, Kind, ich war nicht gut, aber du weißt, daß ich dich liebe."
Aber das Mädchen wich aus wie vor einer Natter am Wege; so ernst war sie noch nie-: ,, Glaubst du an Gott ?" Ich lachte ihr hellauf ins Gesicht, so sehr belustigte mich der Ernst und der ungewohnte Ton der Kleinen.
,, Glaubst du an Gott ?" fragte es noch einmal und gedehnter; ihre Augen sind nicht mehr die liebenden, sanften; es war als leuchte ein prophetischer Zorn, ein schmerzliches, aber entschlossenes Entsagen daraus so kalt und so stolz.
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Das war meine Anny nicht mehr, war nimmer das leichtsinnige, singende Liebchen mit dem schelmischen, silberhell tönenden Lachen. Ein Befremden wandelte mich an. War das ,, mon bébé mon mimi Mignonne" Mignonne" die selbst mich die süßesten Schmeichelnamen der Liebe gelehrt? Ich hatte ihr auf die wiederholte Frage nicht geantwortet, ich mochte nicht lügen; Anna schien darauf vorbereitet zu sein, denn sie reichte mir furz die Hand:„ Adieu, du wirst mich nicht mehr sehen" und im Schloßtore war sie verschwunden. Alle Abende führten mich zum einsamen Schlößchen heraus; die Wolfen jagten wie einstmals am Himmel, die grauföpfigen Savoyarden starrten mich höhnisch und teilnahmlos an, und die Wellen, die Wellen schlugen dumpf an den Fels und die Mauern. Oft war mir, als tauche ein liebliches Niyengesicht aus der Flut, als huscht es wie Schatten, als winkt es und lodt es, wenn auf Minuten das Mondlicht auf See und Schloß fich ergoß.
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Kein Aennchen erschien. Die Stunden vergingen mit fiebernder Hand, nicht wissend was ich tat, pochte ich ans Tor. Auch drinnen bliebs still, alles still. In einem Erfertürmchen ist noch ein matter, erlöschender Schein jezt dunkel auch dort. Und ich fluche dem Wahn, und ich fluche den Priestern, die das Heiligtum der jugendlichen Seele vergiftet, und die Zwietracht gesäet in die Liebe und es tobte und bebte mein Herz, als wäre ihm ein zweiter und schönerer Frühling verblüht.
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Jahre vergingen; mein Schicksal hatte mich wieder nach Montreug und zum, Léman geführt. Mit der alten heimlichen Stätte war auch meine Sehnsucht nach Aennchen von neuem erwacht; ich mußte sie sehen.
Schloß Chillon war vereinsamt und leer; der Alte gestorben. Rose Gouvernante in Genf . Von Annette wußte man nichts. Ein neuer Kastellan hauste im Schloß; was kümmerte den das Alte, Vergangene?
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Und doch war der Zauber nicht geschwunden das Schloß stand noch da, wie dereinst, und das graue geborstene Tor und die Bank, und der Fels und der See
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Ich hatte in der kurzen Zeit schon so mich an Aennchen gewöhnt, daß ein Abend, den ich anderswo als in Chillon verbringen mußte, Nur die Nige war tot, für mich tot. verloren war. Ihr liebes Geplauder, ihr offener argloser Sinn, und die Achtung, die ich vor ihr haben mußte das alles hatte ein Nez Jm ,, Théâtre des Variétés " hatte man ein reizendes, neues Ballet um mich geworfen, ein Zaubernez, das mich mit tausend unzerreißbaren aufgeführt; Paris , das frivole Paris , war entzückt von der Prima- Ballerina Fasern des Stückes Annette war ein armes Mädchen, ein Debüt! Eine Debüt im Teater, wo Nana auftrat, an das Mädchen fesselte. fie war nicht gebildet", hatte auch die„ Penfion" nicht durchgemacht, wo Venus noch heut triumphirt, in den Hallen des Taumels, der Sinnwie unsere jungen Damen, und spielte nicht Klavier. Die Dorfschule lichkeit; also ein schönes, ein prächtiges, göttliches Weib. Und sie war des benachbarten Bey aug war eben keine Lausanner Pension es, gewiß; schlank, graziös. Die Schultern von Marmor, der zarte war ,, nur so ein Mädchen aus dem Volke". doch ungestüm wogende Busen, die schwarzen wildflatternden Locken, die Augen so dunkel, so groß und so heiß nur etwas bleich schien das Weib, nur etwas leidend und müde; doch das ist„ piquant". Und ich kannte das Weib, und sie kannte mich, ja sie fannte mich wieder, als ich zu ihr trat, und sie faßte stumm meine Hand. Annette!
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sie
Eins hatte ich an ihr nie beobachtet: sie war tindlich fromm; und unser einziger Gegensaz sollte auch das Ende unseres Märcheng werden. Wir jaßen, wie immer, auf der traulichen Steinbant; Anny hatte ihr Lieblingsliedchen vor sich hingetrillert, es war die Arie aus ,, Glocken von Corneville": ,, En tous voyages"
den
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Plözlich
hielt sie inne, ihr beweglicher Gedankengang war mit einemmale zu einem ernſteren Tema übergesprungen, denn sie sah mich lange an, dann fragte sie nachdenklich und zögernd, als ahnte sie die Folgen dieser Frage: glaubst du an Gott ?"
Es war ein
Warum hatte ich auch die Kleine nicht früher über das ,, Tema" ausgefragt? warum vergaß ich, daß ein so reizendes, schelmisches Geschöpfchen noch nicht den Sonnenschein unseres Jahrhunderts ertrug? Dank der Ortodoxie und beschränkten Erziehung. Fehler, der nie mehr gut zu machen war.. - Meine Antwort hatte sie überrascht und bestürzt; ihre Arme, die sich um meinen Naden ge schlungen, lösten sich schnell und es schien, als traten ihr Tränen ins
Auge
Du mußt beten, Geliebter, es gibt einen Gott!"
Mein
leichtfertiger Spott hatte sie tief gekränkt; die Szene wurde leidenschaftlich. Weshalb die Aufregung über Sachen, die gar nicht auf unsere Steinbant, in unser Märchen gehörten? Ich wurde heftig; ließ sich ja das naivere Gretchen belehren, warum Aennchen nicht?
Erregt verließ ich sie; ihre Augen standen voll Tränen, fie griff Inach meinen Händen, sie bat mich, das törichte Kind, sie bat mich u beten!" Versprich, daß du beteſt!"- " Ich kann dich nicht lieben ohne das, und
fah mich flehend an.
ich will nicht."
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Mennchen aber stand noch lange an das alte gespenstige Schloßtor ge
Ich versprach es ihr nicht, und kehrte trozig zurück.
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er
Aber sie fragte mich nicht mehr:" Glaubst du an Gott ?" schöpft sant sie vor mir nieder, und barg schluchzend das Gesicht in den Händen, die Stimme erstickt von den Dualen der Reue:
" Bergib mir ich glaube nicht mehr-"
Spießbürger.( Illustration s. S. 309.) Philister im Sonntagsröcklein spaziren durch Wald und Flur; Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein, Begrüßen die schöne Natur. Betrachten mit blinzelnden Augen Wie alles romantisch blüt; Mit langen Ohren saugen Sie ein der Spazen Lied." Diese Heineschen Strophen geben den besten Kommentar zu unserem Bilde. Ursprünglich die im Gegensaz zu den Patriziern nur mit Spießen bewaffneten Bürger bezeichnend, nahm das Wort Spießbürger allmälig die Bedeutung an: fleinlich, hausbacken, beschränkt, philisterhaft. Der Horizont des Spießbürgers erstreckt sich nicht weiter als bis zu den Grenzpfählen seines Dörfchens oder Städtchens, dessen Kirchturm ihm den Mittelpunkt der Welt bedeutet. Eine Probe echt spießbürgerlicher Gesinnung geben uns die beiden Bürger in Goethes Faust; der eine sagt:" Nichts besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, Wenn hinten, weit, in der Türkei , Die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus, Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten; Dann kehrt man abends froh nach Haus Und segnet Fried und Friedenszeiten.", worauf der andere erwidert:
lehnt, das Köpfchen gesenkt, die Hände gefaltet, und in ihrem kindlichen Herr Nachbar, ja! so laß ichs auch geschehen: Sie mögen sich die