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darauf ertappten, daß er, wo er ging und stand, die Frauen, denen er begegnete, so aufmerksam prüfend ansah, als suche er unter ihnen nach einer, deren Verschwinden ihn tiefer berührte, als er zu offenbaren für gut fand. Jeder blonde Frauenkopf, jede schlanke, hochgewachsene Gestalt schien ihn auf einmal zu interessiren. Und als er nun gar kein Hehl daraus machte, wie eifrig er bemüht war, überall nach einem Mädchen zu forschen, deren Namen er nicht einmal fannte, die er seinen Freunden nur so obenhin zu schildern wußte, ohne ihnen einen Grund für die Teilnahme anzugeben, welche er offen für sie an den Tag legte: waren die Freunde steif und fest überzeugt, daß diesem veränderten Benehmen Burghardts eine Herzensgeschichte zugrunde liege.

Darin irrten sie nun aber durchaus. Burghardt war weit davon entfernt, für das blonde Mädchen, dem er so eifrig nach­forschte, die Gefühle zu hegen, die seine Freunde ihm andichteten. Nur waren die Umstände, welche die erste und einzige Begegnung der beiden begleitet hatten, so eigener Art gewesen, daß er nicht umhin konnte, eine lebhaftere Teilnahme für dieses Mädchen zu empfinden, als ihm noch je ein Weib eingeflößt hatte.

Es war an einem kalten, stürmischen Dezemberabende ge­wesen. Der Wind fegte über die Erde und wirbelte Staub­wolken in die Höhe, daß man kaum die Augen offen halten konnte. Dabei war die Luft so kalt und schneidend, daß die wenigen Fußgänger, die in der späten Abendstunde noch auf den Straßen zu sehen waren, sich fröstelnd tiefer in ihre Mäntel hüllten und sich beeilten, das schüzende Zimmer zu erreichen.

Burghardt, damals noch ein junger, wenig bekannter Arzt, dessen Patienten der Mehrzahl nach den ärmern Volfsklassen angehörten, hatte nach einem Tage angestrengter Beschäftigung einen freien Augenblick benuzt, um einen Freund aufzusuchen, den er lange nicht gesehen hatte. Der Freund besaß in einem der belebtesten Stadtteile Berlins   ein blühendes Fabrikgeschäft, und hatte mit Frau und Kind in dem ersten Stockwerk des­selben Hauses, in welchem die Fabrikräume gelegen waren, sein Heim aufgeschlagen. Dorthin hatte sich Burghardt gewandt, um sich nach all dem Trüben und Traurigen, das er heute vor Augen gesehen, an dem Anblick eines glücklichen Familienlebens zu weiden.

So hatte er denn eine halbe Stunde etwa an dem traulichen Familientische gesessen, über welchen die große Hängelampe ihr mildes Licht ausströmte und hatte es sich ein Weilchen wohl sein lassen inmitten des ruhigen Behagens, das aus jedem Winkel des mit raffinirtem Komfort ausgestatteten Zimmers sprach. In dem Kamin prasselte ein helles Feuer. Der Tee­tessel summite seine leise, einschläfernde Melodie. An dem sauber gedeckten Tische, auf welchem Gläser und Teller freundlich blinkten, saß die Wirtin, ein heiteres, anmutiges Frauchen von behaglicher Rundung, mit ruhigen Zügen, die von keiner Leiden­schaft je getrübt worden waren. Neben ihr das einzige Töchter­chen des Hauses, seelenvergnügt mit ihren Puppen und Spiel­sachen beschäftigt dabei mit übermenschlicher Anstrengung gegen den Schlaf ankämpfend, der die kleinen, schweren Augen­lider immer wieder zusammendrückte. Sie hatte es sich als besondere Gunst ausgewirkt, bis zum Aufbruch des Onkel Doktors wach bleiben zu dürfen und hätte nun nicht um die Welt ein­gestehen mögen, wie müde sie war.

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Der Freund hatte das Zimmer verlassen. Es hatte ihn jemand zu sprechen verlangt. Dann war er nach wenigen Minuten zurückgekehrt, einsilbig und verstimmt, mit einer Wolfe auf der sonst so heitern Stirn. Burghardt hatte ihn nach dem Grunde dieser auffallenden Verstimmung gefragt. Und so hatte ihm denn der andere, halb ärgerlich, halb lachend über seine eigene dumme Sentimentalität, wie er es nannte, gestanden, wie schwer es ihm manchmal werde, sich in geschäftlichen An­gelegenheiten nicht durch allerlei sentimentale Nebenrücksichten beeinflussen zu lassen. Da sei beispielsweise draußen ein Mäd­chen gewesen, die ihn jezt, in später Abendstunde, um Arbeit gebeten habe. Er habe das Mädchen heute zum erstenmal gesehen, ein blasses, abgehärmtes Ding mit einem Kinde auf

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dem Arme. Es gehöre kein besonderer Scharfblick dazu, um aus dem Gesicht der jungen Mutter, das troz der Verwüstungen, die Kummer und Not darin angerichtet, noch immer schön zu nennen war, und aus der leidenschaftlich ausdrucksvollen Geberde, mit welcher sie das Kind an sich gedrückt habe, ihre Lebens­schicksale zu erraten. Und in seiner Weichmütigkeit sei es ihm wirklich nahe gegangen, dem armen Mädchen einen abschlägigen Bescheid zu geben. Aber die Zeiten seien so schlecht, daß es ihm ohnehin schwer falle, den alten Bestand der Fabrik aufrecht zu erhalten. Kaum daß er alle die Arbeiter beschäftigen könne, die er nur nicht gehen lassen wolle, um sie nicht dem Elend preiszugeben. Als er dann gesehen habe, mit welch erschüttern­dem Ausdruck wilder Verzweiflung das Mädchen seinen ab­schlägigen Bescheid aufgenommen, habe er ihr eine kleine Summe Geldes angeboten, um sie nicht ganz ohne Trost von sich gehen zu lassen. Aber sie habe das Geld zurückgewiesen und sei davongegangen, ohne ihre Bitte auch nur zu wiederholen.

Diese wenigen Worte hatten die friedliche Stimmung ver­scheucht, die noch vor wenigen Minuten in dem Zimmer geherrscht hatte. Und wie sehr der Wirt, der sonst den Ruf eines heitern, anregenden Gesellschafters genoß, auch bemüht war, seine Verstimmung zu überwinden und das Gespräch wieder in Fluß zu bringen die gute Laune aller war unwider­bringlich dahin.

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Burghardt empfahl sich bald. Er fühlte sich durch die Er­zählung des Freundes von der Menschheit ganzem Jammer angefaßt. Nicht daß er dem Freunde einen Vorwurf aus seinem Tun gemacht hätte. Er war sich des unlöslichen Widerspruchs wohl bewußt, welcher in der heutigen Ordnung der Dinge, in den brutalen Formen, die der Kampf ums Dasein in dem wirt­schaftlichen Leben der Gegenwart angenommen hat, zwischen dem Selbſterhaltungstriebe des Einzelnen und den Forderungen der Humanität besteht. Er wußte, daß der einzelne sich der Gesez­mäßigkeit nicht entziehen kann, mit welcher das herrschende System über tausende und aber tausende von Leichen hinweg seine wilde Jagd nach dem vermeintlichen Glück verfolgt. Und wie wenig die augenblicklichen Erfolge der anderen ihn auch in seiner Ueberzeugung von dem endlichen Siege des Guten und Schönen über die leidenschaftlichen Irrtümer der Gegenwart beirrten, so beschlich ihn doch eine tiefe Trauer, wenn er immer wieder gewahr wurde, wie viele Menschenleben täglich und stündlich diesem unseligen Irrtum zum Opfer fielen.

Er war die hellerleuchtete Treppe hinabgestiegen und schritt nun an den dunkeln Häuserreihen vorbei, die Straßen entlang. Dabei sah er sich aufmerksam nach allen Seiten um, ob er nicht doch vielleicht dem armen Mädchen begegnen werde, von dem der Freund ihm erzählt hatte und für welches er das wärmste Mitleid empfand. Aber in dem ruhigen Licht, mit welchem die Sterne in die einsamen Straßen herniederfunkelten und das im Vereine mit den Gasflammen, welche die Kälte bitter zu empfinden schienen und schier widerwillig brannten und leuchteten, die Dunkelheit nur spärlich erhellte, war niemand zu sehen. So gab er die Hoffnung auf, dem Mädchen noch heute zu begegnen und trat verstimmt den Heimweg an. Als er sich dabei umwandte und um die Ecke bog, sah er auf einmal eine weibliche Gestalt vor sich, in welcher er ohne sonderliche Mühe die Gesuchte erkannte. Sie ging langsamen Schrittes vor ihm her, den Kopf gesenkt, die Augen unverwandt zu Boden ge­richtet. Von dem kleinen Wesen, das sie im Arme trug, war nichts zu sehen als das blasse Mündchen, das sich in tiefen Atemzügen gleichmäßig hin und her bewegte, wie im Schlafe. Sie hatte das Kind sorglich in ein Tuch eingehüllt, um die schneidende Kälte von ihm fern zu halten. Sie selbst war fast ohne Schuz der eisigen Kälte preisgegeben. Und obschon der Wind um sie her unerbittlich pfiff und tobte und ihr die blonden Haare in das Gesicht peitschte, schien sie die Kälte kaum zu empfinden. Dann wieder beschleunigte sie ihre Schritte, halb willenlos, wie im Banne eines Gedankens um nach wenigen Augenblicken schon erschöpft wieder in ihre langsame Gangart zurückzufallen.

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