Kerl Schiller, Goethe, Humboldt, Newton, Darwin und alles, was sonst in der wissenschaftlichen, literarischen oder Kunstwelt einen geachteten Namen hat, etwas sagen, woran der betreffende Geistesheros in seinem Leben nicht gedacht, oder dessen Gegenteil er auf das unzweideutigste ausgesprochen und vertreten hat. Ein Beispiel für viele.
Nicht ein ordinärer Zeitungsschmierant, sondern ein Mann der Wissenschaft hat vor kurzem in einer allgemeingeachteten naturwissenschaftlichen deutschen Zeitschrift eine recht lesenswerte naturwissenschaftliche Abhandlung veröffentlicht. So naturkundig der gelehrte Herr ist, so unkundig scheint er nun in einzelnen Gebieten unserer schönen Literatur zu sein; denn er zitirt zwar Goethe, beweist aber, daß er da, wo er in Goethe einen Gewährsmann für eine seiner Ansichten gefunden zu haben glaubt, den Altmeister deutscher Poesie gar nicht verstanden, ja sogar sicherlich gar nicht einmal selbst gelesen hat.
Der gelehrte Herr schreibt nämlich:" Sehr richtig sagt schon Goethe: Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist.""
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Als ich das las, zupfte ich mich sehr energisch an der Nasenspize, um mich zu überzeugen, ob ich wachte oder träumte. Ich wachte wirklich.
Das Ding ist zu komisch. Goethe sagt in dem bekannten kleinen Poëm, das die Ueberschrift trägt:" Dem Physiker"- ein ein Physiker ist auch der Mann, der den erschrecklichen Bock, welcher in der eben angeführten Zeile liegt, gemacht hat folgendes: " Jns Innre der Natur"
O du Philister!
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Dringt kein erschaffner Geist."
Mich und Geschwister
Mögt Ihr an solches Wort
Nur nicht erinnern.
Wir denken Ort für Ort
Sind wir im Innern.
,, Glückselig, wem sie nur
Die äußre Schale weist!"
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Das hör ich sechzig Jahre wiederholen,
Ich sluche drauf, aber verstohlen;
Sage mir tausend, tausendmale,
Alles gibt sich reichlich und gern: Natur hat weder Kern
Noch Schale,
Alles ist sie mit einemmale;
Dich prüfe du nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist.
Wir kennen dich, du Schalk!
Du machst nur Bossen;
Vor unsrer Nase doch
Ist viel verschlossen.
Ihr folget falscher Spur; Denkt nicht, wir scherzen!
Ist nicht der Kern der Natur Menschen im Herzen?
Wie kommt nun jener physikalische Unglücksmensch um alles in der Welt dazu, einen Gedanken, den Goethe verspottet und bekämpft, als Goethes eigenen,„ sehr richtigen" Gedanken auszugeben.
Aus purem Leichtsinn, der sich bei dem in seinem Fache sorgsam forschenden Physiker dem nicht ins Fach Schlagenden gegenüber gerade so sehr geltend macht, als bei dem großen Haufen. Irgendwo hat er die Verse:" Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist, Glückselig, wem sie nur die äußre Schale weist", gehört oder gelesen, hat auch den Namen Goethe dabei gehört oder gesehen, flugs hat sich die Ueberzeugung in ihm festgesezt, diese köstliche Gedankenperle müsse Goethe selbst zu verdanken sein.
"
Goethe aber flucht darauf, daß er diese selben Verse schon sechzig Jahre lang hört; Goethe entgegnet dem versemachenden Physiker", der ihr wirklicher Vater ist, Albrecht von Haller , so energisch wie möglich darauf, indem er die ganze Zwiespaltung der Natur in Kern und Schale als unstatthaft und philisterhaft zurückweist trozdem und alledem muß Goethe sich gefallen lassen, von einem Physiker unsers so herrlich weit vorgeschrittenen Jahrhunderts als Vater des von ihm verworfenen und verlachten Gedankens vorgeführt und gefeiert zu werden. Das ist doch wahrhaftig toller als toll.
Und solche Leichtsinnigkeit im Behaupten und Fürwahrhalten ist allerwegen die Regel, ernstes Prüfen, vorsichtiges Untersuchen dessen, was als richtig vom Alten sich darstellt und vom Neuen auf den Markt gebracht wird, ist die seltene Ausnahme bei Gebildeten und Ungebildeten, bei Lernenden und Lehrenden.
Demnach ist im Untersuchen und Prüfen allein unser Heil, im Nachschwäzen und auf Treu und Glauben Hinnehmen und Weitergeben aber steckt alle Torheit, sprudelt die Duelle alles Gezänks und Haders,- daran denke jeder und jede immerdar.
Und im„ Ultimatum" wiederholt Goethe dieses sein Achte die Meinung jedes andern, aber mache sie nicht unbe
Glaubensbekenntnis:
Und so sag ich zum leztenmale:
Natur hat weder Kern
Noch Schale;
Du prüfe dich nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist.
sehen, nicht anders zu der deinen, als so erforscht, wie es dir deine eignen oder die dir zugänglichen geistigen Mittel irgend erlauben, das ist aller Weisheit Anfang und auch der Anfang vom Frieden auf Erden und aller Menschen Wohlgefallen, mit andern Worten aller Menschen Erdenglück.
Ach, noch einmal diese Töne, Die mir Flügel in das schöne Zauberland der Jugend sind! Laß sie schwellen voll und leise! Diese Weise
Sang einst deine Mutter, Kind.
Voetische Aehrenlese.
Nach langen Jahren.
Am Klavier dort in der Nische Saß sie, wenn des Abends Frische Klar ins offne Fenster drang; Golden wob's um ihre Locken Und wie Glocken Schwebte wogend ihr Gesang.
Grau jezt, mit gedämpftem Feuer Kehr ich wieder; die mir teuer Gingen alle fast zur Ruh;
Sie auch schläft, die süße Rose, Unterm Mose ,
Doch ihr Ebenbild bist du.
Ach, das war vor langen Jahren, Eh' ich in die Welt gefahren;
Hoch im Sturm noch trieb mein Herz; Aber stets bei ihrem Liede Kam ein Friede
In des Jünglings Lust und Schmerz.
Singe, Kind, und in die blauen Augen laß mich tief dir schauen! Jugendheimwärts träumt mein Sinn, Und von längst entschwundnen Lenzen Zieht ein Glänzen
Durch die müde Brust dahin.