-

Auch in anderen Beziehungen machte man sichs weidlich bequem. Statt des Morgens schrieb man einfach smorgens. Die Verneinung drückte man häufig durch ein vorn an das Verbum oder hinten an das diesem vorausgehende Wort ge= hängtes ne, en oder in aus, ih nemac heißt ich mag nicht, ihne vernam ich vernahm nicht, si enkam sie tam nicht. Dabei fam es auch auf eine Verneinung mehr oder weniger nicht an, 3. B. ih inwil   nimmer ich will nicht mehr.

Auch das Wörtchen zuo, ze zu, hing man häufig dem Worte, zu dem es gehörte, verkürzt vorn an, so schrieb man zeiner für zu einer, zeren zu Ehren. Ebenso machte man es noch mit einer ganzen Reihe kleiner Worte, wie du, er, ez, daz, in, diu, ist 2c. Man schrieb wiltu willst du, daventiure( diu aventiure) die Geschichte 2c. Ohne Verkürzung wurden auch ich, er, ez, im, inn, in, ir dem vorhergehenden Worte an­gefügt, z. B. gibich gebe ich.

Indessen fehlte es auch dem Mittelhochdeutschen nicht an allerlei unnötigem Kram. So wurde den Verben oft als Vorfilbe ohne allen besondern Zweck ge oder gi angehängt, geroufen raufen, giheilen für heilen, oder mit dem etwaigen Anfangsvokal zusammengezogen, gezzen essen, girren irren 2c. Wie in ge so geht auch sonst in Vorsilben das e oft in i über, 3. B. in be und er, bizaz besaß, irwecken erwecken.

Wir sehen in all dem Vorstehenden das Mittelhochdeutsche sowol als das Althochdeutsche mit lateinischen Lettern gedruckt, und die lateinische Schrift ist in der Tat auch diejenige, in welcher bei den nichtgotischen deutschen   Stämmen ganz allgemein geschrieben wurde. Unsere heutige sogenannte deutsche   oder auch sogenannte gotische Schrift ist nichts weiter als die durch die Schnörkeleien und Schlechtschreibereien von mittelalterlichen Mön­chen verhunzte lateinische Schrift, in die auch die Majuskeln, d. s. die großen Anfangsbuchstaben der Hauptwörter, als eben solcher Mönchsfirlefanz, jeden vernünftigen, denkenden und mit Kenntnis des Sprach und Schriftwesens ausgestatteten Men­schen störend und ärgernd, eingeschmuggelt worden sind.

Wie schon oben gesagt, währte die Blütezeit mittelhoch deutscher   Literatur und Sprache nicht lange. Die Kämpfe zwischen Kaiser und Pabst waren auf ihren Höhepunkt ange­langt und hatten an deutschem Gut und Blut im Uebermaße gezehrt. Der Hohenstaufe Friedrich II.   hatte im Jahre 1237 seiner Sache in Italien   den Sieg erkämpft, aber schon im nächst folgenden Jahre machte den mühsam errungenen Triumph die Niederlage vor den Mauern von Brescia   wett. Ganze Gewitter von Bannflüchen entluden sich über das Haupt des Kaisers, die Greuel der Anarchie suchte der Stellvertreter Petri über seinen Feind heraufzubeschwören, indem er seine Untertanen ihrer Pflichten gegen den weltlichen Gebieter ledig sprach. Selbst der Schrecken des Mongoleneinbruchs in Schlesien   einte die christliche Welt nicht einen Augenblick. Pfaffenkönige wurden eingesezt und gehezt wider den Kaiser, und als dieser vom Tode hinweggerafft wurde, bestieg sein Sohn Konrad den Tron, um sich als lezter König aus dem stolzen Geschlechte der Hohen­staufen im hoffnungslosen Kampfe um die Herrschaft in Italien  aufzureiben. Vierzehn Jahre nach ihm endete der lezte Spröß­ling der Hohenstaufen zu Neapel   unter dem Beile des Henkers. Mit ihm war das bedeutendste der deutschen Kaisergeschlechter vernichtet und das kaiserliche Ansehen so tief gesunken, wie es nur sinken konnte. Damit waren für die damalige Zeit der Volkskindschaft alle Banden der Ordnung aufgelöst, zumal infolge der Duldsamkeit seitens der Kaiser das Rittertum erstarkt und zum Raubrittertum entartet war, und seitens der Päbste, die sich in dieser Zeit von Nachfolgern Petri zu Stellvertretern Gottes avanciren ließen, in den Franziskanern und Dominifa­nern ganze Armeen geistlicher Bettelstrolche geschaffen wurden, die überall aufhezend und Sitten verschlechternd wirkten. Nichts war dabei natürlicher, als daß der kaum geborene Sinn für Wissenschaft, Poesie und Kunst wieder in die Brüche ging und mit ihm auch die gemeinsame Schriftsprache sich wieder auflöste in die Wirrnis der Volksmundarten.

Und wenn nun auch dadurch die Sprache wieder an Mannich­

365

|

faltigkeit und Wortreichtum zunahm, so ward sie doch auch wieder ungelenker und steifer und mußte schließlich zum Ge­brauche für die allgemach von neuem auflebende Wissenschaft des griechischen und römischen Altertums ganz untauglich er­scheinen. Dabei ist erklärlich, daß durch die über die ganze Christenwelt verbreitete und aus allen Landen derselben her­vorgegangene Geistlichkeit diejenige Sprache bevorzugt und verbreitet, wenn auch vielfach verballhornt und verstümmelt wurde, mit Hilfe deren sie sich untereinander verständigten, die tatsächlich die geistliche Muttersprache war, und das war auch die lateinische, deren Kenntnis für jeden auf eine Art von Bildung Anspruch erhebenden darum unerläßlich wurde, während andererseits von dem zweithöchsten der mittelalterlichen Stände, dem weltlichen Adel, wälsches Wesen und wälsche Sprache ge= pflegt wurde, da ja von Wälschland her sowohl das Rittertum als der lächerlich übertriebene, ungesund ekle Frauendienst nach Deutschland   gekommen war.

So war es denn bis um das Jahr 1500 der christlichen 3eitrechnung glücklich soweit gekommen, daß man in Deutsch­ land   sich die größte Mühe gab, die deutsche Sprache aus dem Bereich der Gelehrsamkeit und selbst der Schule ganz auszu­schließen. Auch die Schüler sollten nur Latein sprechen und schon in den untersten Klassen waren die Bemühungen der Lehrer darauf gerichtet, die deutsche Sprache aus dem Munde der Jugend gänzlich zu vertreiben, und der größte Aerger der Schul­männer war, daß die Jungen das verhaßte und verachtete Deutsch  überhaupt noch aus dem Elternhause mit in die Schule brachten.

Indessen begann sich doch gesunder Sinn wider solche Un­natur bald genug, wenn auch anfänglich sehr bescheiden, aufzu­lehnen. Während bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts das Deutsche   nur in den Elementarbüchern als Aschenbrödel neben dem Latein geduldet wurde und in die Grammatiken gar keinen Eingang fand, wo die lateinische Sprache mit lateinischen Kom­mentaren erläutert und gelehrt wurde, drängte es sich jezt auch in die Grammatiken in der anspruchslosen Form der Inter­lincarversion, der Zwischenzeilenübersezung, ein!

Dabei blieb es nicht lange. Der berühmte bairische Ge­schichtsschreiber Johannes Turnmayr, der nach damaligem Brauch von seiner Geburtsstadt Abensberg   den wissenschaftlichen Namen Aventinus herleitete, unter dem er hauptsächlich bekannt geworden ist, wagte es in den ersten Jahren des 16. Jahr­hunderts( München   1512), eine lateinische Grammatik heraus­zugeben, deren erläuternder Text zu einem größeren Teile deutsch  abgefaßt war. Der gelehrte Humanist war sich so sehr bewußt. daß es ein Wagnis war, was er unternahm, daß er sich in der Vorrede entschuldigte und allerlei praktische Gründe für sein Beginnen vorführte, vornehmlich den, daß damit der lateinischen Sprache selbst am besten gedient werde, dieweil dem An­fänger oft mit einem einzigen deutschen Worte klar zu machen sei, was ihm die lateinischen Umschreibungen nur immer mehr verdunkelten. Seine eigenen edlen Zöglinge hätten auf diese Weise in acht Monaten soviel von der lateinischen Grammatik gelernt, wie sonst kaum in drei Jahren ihr eigen geworden wäre. Ueberdies seien ihm in dieser Art der Benüzung der deutschen Sprache sehr gelehrte und angesehene Italiener   Muster gewesen, welche ihre Muttersprache ebenso zur Erleichterung des Unterrichts im Lateinischen   beiuzt hätten.

Kaum zwei Jahrzehnte nach des Aventinus Grammatik erschien ein Buch, welches der deutschen Sprache nach anderer Richtung hin Bahn brach. Es ist dies des Bunzler Bürgers und Magisters der freien Künste Fabian Frangt Anweisung zur deutschen   Schreiberei, welches nach einigen Anmerkungen über Rechtschreibung und Grammatik Formulare von Briefen und Verträgen bringt und Anreden, Titulaturen 2c. zusammen­stellt. Der auch die Sprache jener Zeit trefflich karakterisirende Titel lautet: Teutscher Sprach Art vnd Eygenschafft. Ortho­graphia, Gerecht, Buochstaebig teutsch zuschreiben. New Cangley, iet braeugicher, gerechter Practic, Formliche Missiuen vnd Schrifften an iede Personen rechtmessig zustellen, aufs kürzst be­griffen. M. Fabian Frangt."