marische von 1619 ein; und er würde sich weiter Bahn ge­brochen und das deutsche   Volk wahrscheinlich rasch in der Kultur gefördert habeu, wenn der unselige dreißigjährige Krieg nicht über dasselbe hereingebrochen wäre.

Was dieser fluchwürdigste aller Kriege das deutsche   Volk gekostet hat an Blut und Leben, an materiellem und geistigen Gut, an intellektueller und moralischer Kraft ist unbeschreiblich und unberechenbar, man mache sich getrost die aus­schweifendsten Vorstellungen, deren man fähig ist, von der Einbuße, die unsere Vorfahren und wir und die nach uns kommenden Geschlechter durch dieses dreißigjährige Schlachten und Verwüsten erlitten haben, und man kann sicher sein, daß man hinter der Wirklichkeit noch zurückgeblieben ist.

Daß heut noch ein Deutschland   existirt, daß es weder zerfezt und zu den Nachbarstaaten geschlagen, noch mehr in tausend Fezen und Flicken zerrissen ist, daß das deutsche   Volf nicht, wie z. B. Esthen und Letten in den russischen Ostseeprovinzen, zu Heloten glücklicherer Nebenvölker degradirt ist, daß es endlich sogar ein deutsches Geistesleben gibt, welches dem aller andern Kulturvölker ebenbürtig ist, dies alles und noch vieles andere beweist zur staunenden Genugtuung des Kulturforschers die unverwüstliche Kraft des Menschengeistes im allgemeinen und die ausgezeichnete physische und psychische Beanlagung der ger­manischen Rasse im besondern.

Mit dem dreißigjährigen Kriege, zumteil allerdings auch schon vorher, aber erst nach ihm mit verderbenbringender Gewalt, brach eine neue Gefahr über die deutsche Sprache herein, welche eben erst den Kampf wider jene die selbständige Geistesentwick lung unsers Volkes niederhaltende Uebergewalt des Lateinischen mit einiger Aussicht auf Erfolg begonnen hatte.

Diese Gefahr kam von der allgemeinen Verbreitung fremder und vorzugsweise französischer Sitte und Sprache in den vor­nehmen und nicht zum mindeſten auch in den gelehrten Kreisen.

Zunächst begannen die protestantischen Höfe französisch zu reden, während die katolischen zu italienischen und spanischen Gewohnheiten und Sprache sich hinneigten; von den erstern drang die fremde Zunge in den gesammten mit einer Art Bildung sich brüstenden Adel und vornehmlich auch durch die seit Luthers   Zeit von der Höhe ihrer Entwicklung wieder rasch hinabsinkende Kanzleisprache in den übrigen schriftkundigen Teil des Volkes.

Binnen furzem, um die Mitte des 17. Jahrhunderts, war der Gipfel des Sprachverderbnisses erreicht. Ihr vollgerüttelt und geschüttelt Maß hatte die unglückselige Zunft der Zeitungs­schreiber, mit alleiniger Ausnahme derer von der frankfurter halbjährigen Zeitung, dazu beigetragen, eine Sorte von Volks­bildnern", welche sich auch heute noch auf nichts besser verstehen als auf Sprachverhunzung.

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Eine 1644 zu Straßburg   erschienene Schrift, Der Teutschen Sprach Ehren- Krang", äußerte sich darüber folgendermaßen:

Der Sprachverderber*) ist nicht ohne Vrsach auch vber die Zeitungschreiber entrüstet, daß sie so vngezwungen vnd vnge­trungen die teutsche Sprach mutwilligerweiß verderben. Dann, lieber, wem schreiben sie die zeitungen zu lesen? Nicht den Franzosen  , dann sie das teutsche, so darinnen, in ihrer Sprach nit leiden, massen ihnen alle zeitungen ganz französisch seyn müssen, nicht den Italiänern, nicht den Spaniern; sondern es geschicht dem ehrlichen Teutschen zulieb! Aber was iſt des, da so viel Französisch, Italienisch, Spanisch darinnen, daß solches tein Teutscher verstehen kan, vnd ist gewiß, welcher nicht auch in Französischem oder Italiänischem weiß, daß derselbe keine Zeitung verstehen kan."

Daher ist nicht verwunderlich, daß Johann Fabrizius vou Gilden, ein berner Arzt, in der Vorrede zu seinem Spiegel menschlichen Lebens" flagen konnte:

" Vnsre teutsche Sprach ist nicht dergestalt arm und baw­fällig, wie sie etliche naßiveise nunmehr machen, die sie mit

*) Das ist der Titel eines damals erschienenen, heute nicht mehr

vorhandenen Buches.

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Französischen   und Italiänischen plezzen also flicken, daß sie auch nicht ein kleines Briefflein fortschicken, es seye denn mit anderen Sprachen dermassen durchspickt, daß einer, der es will verstehen, fast in allen Sprachen der Christenheit bedörfft erkantnuß haben, zu grosser schande vnd nachtheil vnserer teutschen Sprach, die in ihr solch vollkommenheit hat, doß sie auch alles, was da könnte fürfallen, gar wol kan andeuten vnd verständlich gnug ohne zuthuen anderer Sprachen zu verstehen geben."

Klagen konnte man überhaupt genug hören während des ganzen 17. Jahrhunderts über den jammervollen Zustand der deutschen Sprache, Klagen und Spott und auch viel großtuige Versuche zu helfen, aber die Kraft und der Erfolg fehlte überall.

Deshalb brauche ich der vielen Vereinigungen nicht ein­gehender Erwähnung zu tun, die nach dem Muster und in dem Geiste der Fruchtbringenden Gesellschaft   eingerichtet wur­den, welch leztere auch den Namen des Palmenordens führte und 1617 in Weimar   von durch Ratichius   angeregten Männern gegründet wurde. Sie hemmten bestenfalls um ein weniges das Verderben und hielten in etlicher Leute Kopf ein kleines Pläzchen offen für die Muttersprache, im Grunde aber war ihnen doch die Beschäftigung mit derselben nur eine Art Sport und eine willkommene Gelegenheit zu leerem Wichtigtuen und kindischer Ordensspielerei.

Dies alles zusammen: die geistige Hohlheit und das Wichtig­tun, die Vorliebe für den faden Krimskrams oft haarsträubend geschmackloser Ordensnamen, Ordenstitel und Ordensstellungen, die häufig den Stempel der Albernheit tragenden Ergebnisse der sprachwissenschaftlichen Bemühungen-war übrigens nicht eine Schwäche, welche einzelnen Menschen oder bestimmten Ständen des deutschen   Volkes eigentümlich gewesen wäre, son­dern ein karakteristisches Kennzeichen des gesammten deutschen  Geistes damaliger Zeit.

Darum leisteten die hohen" Herren des Palmenordens, der 1 König, 3 Kurfürsten, 4 Markgrafen  , 8 Pfalzgrafen  , 10 Land­grafen, 19 Fürsten  , 60 Grafen, 35 Freiherrn   und 450 gewöhn­liche Adlige zu seinen Mitgliedern zählte, nicht mehr und nicht weniger, als die lange nicht so vornehme Aufrichtige Jannen­gesellschaft" des Rumpler von Löwenfels oder die Deutsch­ gesinnte Genossenschaft  " Philipp von Zesens, oder Hars­dörffers Blumenorden an der Pegnitz  ", Rists Elbschwanen­orden" u. s. w.

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Bei allen war der Wille ganz gut, zumteil die Erkenntnis auch garnicht übel, wie bei Zesen, der seinen erbitterten Krieg gegen den Fremdwörterballast führte, und bei Harsdörffer  , welcher dem Fürsten   unsterblichen Ruhm verhieß, der zuerst einen Professor der deutschen Sprache an seiner Universität anstellen werde, aber das Fleisch, oder vielmehr der Geist, die Schaffenstraft war viel zu schwach für das schwere Beginnen, der deutschen Sprache in Deutschland   Anerkennung und die ihr gebührende Herrschaft zu erobern.

Auch die deutschen   Grammatiken, welche im 17. Jahrhundert erschienen, ändern an diesem Urteil nichts. Ihre Verfasser, die Guein, Girbert, Schottelius, Stieler, Morhof, Bödiker, Frisch und wie sie sonst alle heißen mögen, ließen zwar die durch Ratichius aufgenommenen Bemühungen nicht einschlafen und vergessen werden, aber sie brachten sie um keinen wesentlichen Schritt vorwärts, sodaß derjenige Grammatiker, von dem man die neueste Epoche in der wissenschaftlichen Behandlung der deutschen Sprache datiren kann, niemand anders ist, als der um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seines Ruhms angelangte leipziger Professor Gottsched  , ein Mann, der ebenso ungerechtfertigt anfänglich hochberühmt als später schmählich verspottet, verhöhnt und verachtet worden ist.

Gottsched   war einer von den Menschen, die in ihrer Jugend mit ihrer Zeit fühlen und denken, Verständnis für sie und ihre geistigen Strömungen und Bedürfnisse haben, von Ehrgeiz sowohl als starkem Wollen getrieben und getragen, sich kecklich allen Vorsichtigeren voran in die Fluten der Zeitbewegung stürzen und vorerst nicht nur vornweg, sondern auch obenauf zu schwim