war das Urbild eines Musterbürgers und Untertans; er zahlte pünktlich seine Steuern, ging regelmäßig in die Kirche, trant bei allen Fest- und Zweckessen mit loyaler Begeisterung auf die Gesundheit seines Souveräns, des Königs Georg von England, und war ein treuer, gehorsamer Ehegatte. Seine Nachbarn behaupteten, er stünde unter dem Pantoffel, allein das war pure Verläumdung, und wenn es auch dann und wann einmal vor fam, daß seine Frau ihn mit ihren Händen und Nägeln bearbeitete, so geschah dies doch nur aus Liebe und Zärtlichkeit, nach dem Grundsaz des Bibelworts: Wen Gott lieb hat, den züchtigt er. Die gestrenge Madame van Winkle war eben Rip van Winkles Gott, oder richtiger seine Göttin.
Die Kinder und sie folgten einander wie die Orgelpfeifen tollten in Haus, Garten und Feld herum, und Rip van Winkle , dem seine Frau das würdige Amt eines Kindermädchens übertragen hatte, würde seine Zeit vom Morgen bis Abend dieser angenehmen und nüzlichen Beschäftigung zu widmen gehabt haben und obendrein auch noch den besten Teil der Nacht-wenn es ihm nicht gelungen wäre, seiner Frau begreiflich zu machen, daß er mitunter sehr dringende Geschäfte auswärts zu besorgen hätte. Diese dringenden Geschäfte bestanden darin, daß der biedere Rip van Winkle mit seiner Steinschloßflinte und seinem Hunde Wolf in die benachbarten Kaatstillberge spazieren ging, ein paar Eichhörnchen schoß und sich hernach niederlegte, den Himmel anblickte, und, indem er seine wohlgefüllte Feldflasche leerte, seinen Gedanken nachhing.
Leider kam Madame van Winkle dahinter, daß die auswärtigen Geschäfte ihres Mannes nicht sonderlich solider Natur waren, und wenn er von einer solchen Geschäftsreise zurückkehrte, hatte er, nebst seinem Hunde Wolf , mehr und mehr unter Anfällen ehelicher Zärtlichkeit zu leiden.
Natürlich wurde durch diese Anfälle die Neigung Rip van Winkles zu auswärtigen Geschäften nur vermehrt.
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Eines Tages es war ein herrlicher Herbstmorgen zog er wiederum mit wohlgefüllter Feldflasche, der alten Stein schloßflinte und dem unzertrennlichen Wolf nach den Kaatskillbergen und legte sich an seinem einsamen Lieblingspläzchen nieder. Da hörte er plözlich in der Nähe Fußtritte; ein Fremd ling in altertümlicher holländischer Tracht stieg herauf und rief ihn zu seinem Erstaunen beim Namen. Rip van Winkle , der sehr dienstfertig war, eilte herbei und sah nun, daß der Fremde ein schweres Fäßchen, dem ein verheißungsvoller Duft entstieg, den Berg hinaufschleppte und dazu seiner Hilfe benötigt war. Mit vereinten Kräften wälzten beide das Fäßchen bergauf bis an eine Schlucht, aus der das Geräusch rollender Kegelkugeln und fallender Kegel hervortönte. Rip van Winkle , der niemals Menschen in diesen abgelegenen Gegenden gesehen hatte, war sichtlich verwundert; indes er ging mit, und als er sich mit einemmale inmitten einer Gesellschaft altertümlich gekleideter Herren sah, die eifrig Kegel spielten und ihn zum Mitspielen einluden, schüttelte er zwar verwundert den Kopf, nahm aber die Einladung an, spielte mit und trank mit aus dem Fäßchen, welches er den Berg hinauf hatte schleppen helfen, und das den köstlichsten alten Schiedam enthielt.
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Im Gespräch mit seinen Spielgenossen, beim Kegelspiel und beim Schiedam vergaß er seine häuslichen Sorgen, die Zärt lichkeitsanfälle der Madame van Winkle und die Heimkehr. Namentlich der Schiedam bereitete ihm viel Vergnügen, und noch ehe die Sonne unterging, war Rip van Winkle in einem solchen Zustand der Seligkeit, daß er sich auf das Gras niederstreckte, seinen Gedanken nachhing und einschlief.
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Er schlief den Schlaf des Gerechten den Schlaf des Musterbürgers und Untertans.
Er schlief und schlief.
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Endlich wachte er auf. Er rieb sich die Augen. Es war heller lichter Tag. Er wollte sich erheben die Glieder waren müde und steif. Er griff nach seiner Steinschloßflinte fie war verrostet, der Schaft von Würmern zerfressen. Er pfiff seinem Hund ein alter lahmer Köter, in dem er seinen Wolf kaum wiedererkennen konnte, wankte schweiswedelnd heran.
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Er rieb sich die Augen rieb sich die Stirne. War es möglich, daß er zu tief ins Glas, oder genauer, ins Fäßchen Schiedam geguckt?
Er begriff nicht. Doch oben auf dem Berge konnte er nicht bleiben. Kopfschüttelnd trat er den Heimweg an. Anfangs fand er sich noch zurecht. Weiter unten jedoch war alles verändert. Doch vor ihm lag ja das heimische Dorf. Freilich auch es schien verändert, viel größer, die Häuser breiter, höher und schöner. Er rieb sich die Augen. Da war die Straße ins Dorffein Zweifel. Die Leute, die ihm begegneten, sahen so sonderbar aus, der Schnitt der Kleider so ungewohnt, und keiner kannte ihn und er kannte keinen.
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Mühsam fand er den Weg nach seiner Wohnung sie war sonderbar verfallen und niemand schien zuhause. Zitternd überschritt er die morsche Schwelle, jeden Augenblick einen Zärt feine lichkeitsanfall der Madame van Winkle erwartend Madame van Winkle war zu sehen und zu hören. Er ging durch die Zimmer durch die Zimmer alles öde und verfallen.
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Kopfschüttelnd entfernt er sich. Und jezt sucht er nach der Dorffneipe, dem König Georg", wo er so manche fröhliche Stunde verbracht. Sie ist verfallen, das alte Schild hängt modernd herab, vom Wind hin und her geweht. Gegenüber aber erhebt sich ein prächtiges Gebäude ein„ Hotel ", und der Name des Wirtes, in goldnen Riesenbuchstaben angeschrieben, ist der Name des alten Dorffneipwirtes van Bummel. Rip van Winkle tritt zögernd und sich die Augen reibend in das„ Hotel ". Er befindet sich unter Fremden, die ihn ebenso erstaunt ansehen, wie er sie. Keiner der wohlbekannten Kneipkameraden ist anwesend. Verlegen fragt er endlich nach diesem, nach jenem. Niemand kann ihm Bescheid geben. Aber das ist doch das Dorf-?"" Der Name stimmt, nur iſts kein Dorf, sondern eine Stadt."" Und kennt mich denn niemand hier? Ich bin Rip van Winkle !"
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" Rip van Winkle ?" Alles zuckt die Achseln.„ Wir kennen feinen Rip van Winkle ."
Halt da drängt sich ein alter Mann hervor. Ja, ich habe vor zwanzig und mehr Jahren einen Rip van Winkle gekannt. Er machte eine auswärtige Geschäftsreise und ist nicht wiedergekommen. Man vermutete, er habe seiner Frau durch
brennen wollen."
" Der Rip van Winkle bin ich! Ich bin aber nicht vor zwanzig Jahren weggegangen, sondern erst gestern Morgen, und ich habe meiner Frau nicht durchbrennen wollen. Gewiß nicht. Ich habe oben in den Kaatskillbergen mit einer Gesellschaft von Herren Kegel gespielt, Schiedam getrunken, und da bin ich!" Allgemeines Kopfschütteln.
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" Ist das nicht der alte, König Georg'?"
" König Georg? Wir haben keinen König Georg' mehr. Haben Sie die Inschrift des Hotelschilds nicht gesehen? Jezt haben wir den, General Washington ."
" Washington ? Washington ? Wer, was ist Washington ?" murmelt verblüfft der arme Rip van Winkle . Die Umstehenden blicken einander bezeichnend an, deuten sich nach der Stirn.
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ich bin ganz vernünftig. Aber erzählt, erzählt! Ich muß lange und fest geschlafen haben."
Und sie erzählten ihm, wie die Kolonisten sich empört, und nach langen, langen Kämpfen sich die Unabhängigkeit errungen hatten, und daß die englischen Kolonien jezt die Vereinigten Staaten von Nordamerika wären und die Untertanen des Königs Georg freie Bürger der jungen Republik.
Rip van Winkle hörte, und begriff nicht; und je mehr er hörte, desto weniger begriff er.
Nur soviel wurde ihm flarer hatte zwanzig Jahre lang geschlafen, und den großen Unabhängigkeitskrieg und die Geburt der transatlantischen Republik verschlafen.
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