Burana", d. i. Beuerner Gedichte, erschien ein Abdruck der ganzen Handschrift 1847 zu Stuttgart : herausgegeben hat sie Schmeller , der bekannte Germanist und Schulmann, der, wie die Leser der N. W." wissen, Meister Pestalozzis Lehren dereinst sogar ins ferne Spanien trug.

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Wir können diesen glücklichen Fund nur mit Freuden be grüßen, da das Leben der mittelalterlichen Klöster und ihrer Bewohner eine ganz neue Beleuchtung erhält, die aus den offiziellen Schriftstücken nun und nimmermehr gewonnen werden fonnte. Troz allem Singen und Beten, Fasten und Wachen konnte der alte Adam" eben doch nicht so gänzlich ersäufet werden", daß er nicht manchmal gar tolle Sprünge machte, die in einem eigentümlichen Gegensaze standen zur mönchischen Kutte und Kapuze. Von gutem Trunk, von Schach und Würfelspiel, von weltlichem Gesang und Tanz reden zwar genugsam die zahlreichen Geseze und Ordnungen, so erlassen wurden von Fürsten und Herren, Bischöfen und Päbsten: hier aber, in unserm alten Liederbuche, wird uns ein unmittelbar aus der Wirklichkeit herausgeschnittenes Bild entrollt, welches an Deut­lichkeit der Umrisse und an Kraft der Farben nichts zu wünschen übrig läßt.

Die beste Gelegenheit nun, allerlei Seitensprünge zu machen, hatte obgedachter alter Adam auf Fahrten und Reisen, welche Mönche und Klosterschüler zu bestehen hatten, erstere, wenn sie von den Oberen beurlaubt zu besonderen Zwecken auszogen, leztere, wenn sie die fröhliche Ferienzeit zum Lustwandern ver­wendeten. Das Reisen war damals für die Kleriker, gleichviel ob Mönch, ob Schülerlein, ungleich billiger wie heutzutage für den größten Teil der deutschen Geistlichkeit. Erstens konnten sie in jedem Kloster und Stift oder an jedem geistlichen Hof, bei jedem Standesgenossen das Handwerk grüßen, und zweitens glaubte jeglicher Mann vom Laienvolf sich eine Stufe in den Himmel zu bauen, wenn er diesen Wandervögeln Azung und Unterschlupf bot oder ihnen anderweit durch Habe und Gut förderlich und dienstlich war. Außer Beten und Messelesen leisteten die also Beschenkten dem gütigen Geber oft auch anderlei Gegendienste. Ihr christliches und weltweises Wissen, ihre rechtlichen und medizinischen Kenntnisse, ihre künstlerischen Fähigkeiten im Dichten und Singen und tausend andere Künste machten sie zu meist willkommenen Gästen.

Was das Singen anlangt, so wurden oft gar weltliche Worte und Weisen von wandernden Geistlichen vorgetragen, die so den Minnesängern Konkurrenz machten. Dem Domherrn Peire Rogier ward zu eng in seinem Kapitel, und so wallte er, ein geistlicher Troubadour, mit dem Wanderstab durch das Land, und zog sich die Rüge zu, es zieme ihm besser, den Psalter, als Liebeslieder zu singen.

Der Mönch von Montauban besuchte in gleicher Weise, wenn ihm seine Amtsarbeiten als Prior es erlaubten, die Höfe um als Sänger sich hören zu lassen. Da er den also erwor benen Sold aber der Kasse seines Klosters auslieferte, nahm man es ihm nicht übel, wenn er als die vier schlimmsten Dinge bezeichnete: einen Mönch mit langem Barte, einen eifersüchtigen Ehemann, ein klein Stück Fleisch in großem. Kessel und viel Wasser in wenig Wein.

Später, als neben den Klosterschulen die freien Schulen mit ihrer ungleich lockreren Verfassung entstanden, da ward die Zahl der fahrenden Schüler bedeutend verstärkt und die Wanderzeit beschränkte sich durchaus nicht nur auf Urlaubs- und Ferienfrist. Lehrer und Schüler machten einfach Schicht nach freiem Er­messen, wenn es ihnen gut und nüzlich schien. Mangel an passenden und behagenden Lehrern, die Lust mehr oder an= deres bei anderen Magiftern zu lernen, oft bloße Wanderlust und noch öfter Liebe zum süßen Nichtstun und dem ungebun­denen Leben, ja zuweilen wohl auch der Wunsch, dem Arm der Gerechtigkeit sich zu entziehen, waren Gründe für die Schüler, auf die Fahrt" zu gehen. Unberechenbar ist der Gewinn, den die Verbreitung von Wissen und Aufklärung, sowie einer freieren Lebensanschauung auf die Gesammtbildung des ganzen Volkes ausüben mußte, da so die Wissenschaft selbst auf Reisen ging.

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Dadurch, daß lernlustige Leute unter Teologen, Rhetoren und Juristen an einem Orte sich zusammentaten und, wie die Handwerker, ihre zunftmäßig geschlossene Körperschaft bildeten, entstanden eben Schulen und Universitäten, die mit eigenen Gesezen und Gerechtsamen ausgestattet und mannichfach begabt und beschenkt wurden. Die Schulen und ihre Schüler lebten zum größten Teil in den Städten von den milden Gaben der Bürger, welche oft mit Stolz auf eine vielbesuchte Anstalt in ihren Mauern schauten. Achtung vor höherem Wissen kam hinzu zu der althergebrachten Ehrfurcht gegen alles Geistliche. Um mehr Teilnehmer heranzuziehen, sezte man das Schulgeld für Fremde auf die Hälfte herab, als Entgelt mußten sie Kalfaktor­dienste tun: die Räume reinigen, heizen und Ruten schneiden! An durchwandernde Schüler zahlten Kloster- und Schulvorstände, sowie Stadträte Unterstützung propter deum: um Gottes Willen. Auch heischen gehen" gleich den Einheimischen durften die Fremden, wenn sie am Ort blieben und fleißig die Schule besuchten; Nürnberg schob sie ab, wenn sie innerhalb dreier Tage Frist nicht zur Schule gingen oder sonst ordnungswidrig sich betrugen.

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Manches arme Schülerlein gewann auch durch besondere Aufmerksamkeiten und anstelliges Wesen aller Art eines Bürgers Gunst und erfuhr dann besondere Wohltaten; manch einer sattelte sogar bei dieser Gelegenheit um" und ergriff ein Handwerk, um erst später oder gar nicht wieder zur Wissenschaft zurückzukehren, wofür mehrere Beispiele überliefert sind.

Die schöne Tugend der Gastfreundlichkeit, welche jedem ge­mütsreichen, warmfühlenden Volke, also auch dem deutschen, eingeboren ist, und der kirchlich gepflegte Wohltätigkeitssinn zeigen uns im Mittelalter, namentlich in der Zeit der auf­blühenden Städte eine jener gesellschaftlichen Erscheinungen, welche mir verehrenswert scheinen: ich meine die umfangreiche Armenpflege.

Die Armen wurden in Klöstern und Städten gespeist, ge­tränkt und gekleidet. Auch waren die städtischen Bader, d. h. Halter von öffentlichen Bädern, an manchen Orten gesezlich gebunden, den Armen ihres Viertels ein oder zweimal wöchent­lich freien Besuch ihrer Warmbäder zu gestatten. Es ist rührend, wie der wohlwollende Bürgersinn sich bei allem noch Schwanken­den des Gesellschaftsgefüges äußert in den ausführlichen Bettler­ordnungen mit all ihren nüzlichen Bestimmungen. Und hierbei waren die Schüler, fahrende wie seßhafte, mit einbezogen. Es lohnte sich der Mühe, alles hier Einschlägige zusammenzustellen, zu sichten und ein treues Gesammtbild dieses ganzen Wesens zu schaffen, was, soviel ich weiß, bis jezt noch nicht geschehen ist. Es wäre mir eine Herzensfreude, dem landesüblich und leider vielfach mit Recht so finster gehaltenen Bilde des Mittel­alters ein paar wohltuende Lichter aufgesteckt zu sehen!

Freilich hat auch unser Gegenstand seine Schattenseiten. Wo fehlten diese wohl überhaupt! Jeder Brauch hat neben sich den Mißbrauch. So auch hier. Von der sittlichen Wirkung will ich gar nicht reden, so daß der Wohltäter sich unbillig über seinen Schüzling erhebt, daß der leztere sich immerhin etwas gedrückt und unfrei fühlt. Wichtiger aber ist folgendes. Wie oben schon berührt, wurden leicht aus den Fahrenden, oder wie sie lateinisch hießen, Vaganten, etwas ähnliches wie Vagabunden im schlimmen Sinne des Wortes. Was guter Wille gab, das erschien bald den Herren Schülern als eine einzufordernde Pflichtgabe und Steuer. Dieser Mißstand rief bald Gegenmaßregeln hervor. Im mainzischen und trierschen Sprengel verordneten die Provinzialsynoden wiederholentlich ( 1259 und 1261) die Vaganten nicht zu unterſtüzen, auch nicht zu belohnen für das Singen bei Messe, Sanctus und Angelus, welches für Landstreicher und fahrende Schüler unziemlich und also überhaupt unzulässig sei.

Das Konzil zu Salzburg ( 1274) bestimmt für diese Provinz, daß den sogenannten fahrenden Schülern, welche den Armen­kassen zur Last fielen und so den wahren Armen Abbruch täten, nach Verlauf zweier Monate keine Unterſtüzungen mehr gewährt werden sollten, da sie mit diesen Mitteln nur ein ärgerlich