Leben führten. 1291 wird in einer neuen Synode wieder gegen das Lotterleben der Vaganten geeifert, die früher schon wegen ihrer reichlichen Bacchusopfer auch mit einem Wortspiel Bacchanten benamset wurden.„ Niemand soll," heißt es in dem neuen Erlaß, in die verworfene Sekte der fahrenden Schüler eintreten noch darin verbleiben, auch soll der ganzen Gesellschaft jedes geistliche Privilegium und Vorrecht genommen sein, zur Bestrafung eingeliefert werden sollen die, so sich ein solch sanmaßen."
Als eine besondere Körperschaft*) fühlten sich die fahrenden Schüler frühzeitig schon, wenn sie auch nicht eben sonderlich exklusiv waren. Darüber singt ein feines Lied im benediktbeurener Liederbuch:
Wir sind an Barmherzigkeit Echte Religiosen,
Denn wir nehmen alles auf, Kleine sammt den Großen. Nehmen auf den reichen Mann Wie den arm- und bloßen, Den die frommen Klosterherrn Von der Schwelle stoßen. Nehmen ferner auf den Mönch Mit rasirten Haaren, Pfarrer sammt der Hausnerin In gesezten Jahren,
Lehrer mit der ganzen Schul, Herren in Talaren,
Einen Schüler doppelt gern,
Fehlts ihm nicht am Baaren.
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Reiner stehle nüchtern sich Fort von seinem Humpen: Wenns ihm an Moneten fehlt,
Muß er eben pumpen!
Heckt ja doch ein Pfennig oft
Geld in schweren Klumpen,
Wenn am Spieltisch sich das Glück
Sezt zu einem Lumpen.
Unbedingter Frohsinn und nicht zu beugender Lebemut sind
erste Erforderniſſe:
Nur feine Armeleutgesicht
Als wie drei Tag Regen!
Denn auf Trübsal und Beschwer
Folgt der schönste Segen.
Ja, das sind weinfeuchte Lieder, wie sie der Bruder Studio der späteren Jahrhunderte auch nicht toller singen konnte. Aller Trinksänger Vor- und Musterbild aber war jener Nikolaus, der einstmals, von Bonn herkommend, am Klostertor zu Heisterbach anklopfte, krank und schwach und angetan mit zerschlissener Kutte und todwunden Schuhen. Auch innerlich sah es mit dem armen Fahrenden nicht zum Besten aus; spukte es doch wie Neue und Leid und Bußetun in ihm: war ein Trauerbild! Als aber ezliche Wochen ins Land gangen und Leib und Seel und Rock und Schuh wieder ganz und gesund waren, hub sich der Genesene auf und vergaß des hochteuren Gelübdes, so er getan, seines Lebens schönen Rest beschaulich im Kloster zu verbringen, und vor dem Tor warf er die mönchische Kutte hinter sich und schüttelte den Staub von den Schuhen, um das alte Wander-.
( Die Bursche sind sogar international, denn es heißt weiter: leben wieder aufzunehmen. Und das darf uns nicht wunder
Deutsch und welsch und slavisch Blut,
Türken oder Heiden!)
Auch die Regeln dieses neuen Ordens werden mitgeteilt und sie sind in der Hauptsache recht wenig geistlicher, sondern start epifuräischer, genußfreudiger Natur:
Eine Messe widerstrebt
Unsres Ordens Ziele,
Aus den Federn flüchten wir
Uns sofort ins Kühle,
Hegen da bei Huhn und Wein Herrliche Gefühle:
Hier spukt höchstens, wenn es spuft, Das Hasard im Spiele.
Rock und Mantel fahren hin beim altererbten deutschen Laster der Spiellust, denn:„ Kleiderluɣus widerstrebt unsres Ordens Lehren" heißt es darüber. Und ferner:
Alles, was vom Leibe gilt,
Gilt auch für die Beine:
Wer ein Hemd hat
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Trag er dies alleine;
unbehost
Fällt ihm ein Paar Stiefel zu- Hausschuh halt er keine, Denn wer solches übertritt, Muß aus der Gemeine!
*) Diese Fahrenden als fidele lebenslustige Gesellen und gelehrt lateinisch singende Dichter, welche namentlich an geistlichen und an den höher d. i. lateinisch gebildeten weltlichen Höfen sangen, führten auch einen Koterie- oder Gesellschaftsnamen. Wie der Bauernstand Bruder Kunz oder Karsthans sich nannte und genannt wurde, wie die Landsknechte den zusammenfassenden Namen Bruder Veit führten, so nannte man diese lateinischen Fahrenden Goliarden, wahrscheinlich in Anlehnung an gola, was die Schlemmerei bedeutet. Wegen des ähnlichen Klanges wählten sich die Goliarden als Schuzpatron deu Golias oder Goliath, jenen gar gefährlichen Mann, wie Matthias Claudius singt; das mag daher kommen, daß die Goliarden ebenso wie die Spruchsinger, ebenso wie jedes Winkelblättchen unserer Tage, das eben auch zur sechsten Großmacht, der„ Presse" gehört, ihre Bedeutung im öffentlichen Leben fühlten und dazu auch noch sich über die eben genannten deutsch singen somit über die ganze Gesellschaft von Bedeutung. Etwas von diesem den Minnesänger und Spruchsprecher unendlich erhaben fühlten und Uebermut ist den Studenten unserer Tage noch geblieben, der ja gern über den„ Philister" erhaben hinwegsieht. freilich zumeist ohne sonderlich viel Fug und Recht dazu zu haben. Dabei ist ihnen eben aus dem Gedächtnis entschwunden, daß der alte Schuzpatron ihrer Vorfahren eben der Goliath, jener größte Philister gewesen ist, dessen Wahl freilich in Anbetracht der Rolle, die er in der jüdischen Sage spielt, eine nicht eben glückliche zu nennen ist.
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nehmen: jener Nikolaus war derselbe, den sie den Archipoeta nannten, und der konnte freilich nicht im Kloster sterben, dagegen spricht sein eigenes hochberühmtes Lied: Mihi est propositum in taberna mori!
Mein Begehr und Willen ist In der Kneipe sterben! Nah den Lippen sei der Wein Eh sie sich entfärben,
Und der Englein Sterbechor
Möge für mich werben:
,, Laß den wadern Zechkumpan, Herr, dein Reich ererben."
Und weiter heißt es in diesem lustigen Testament:
Jeder Zecher gehet ein
Zu des Himmels Toren!
Endlich mahut unser Erzsänger in den folgenden Versen: Leib und Leben laßt dem Wein
Uns, dem guten, weihen,
Sintemal er innerlich
Schafft ein gut Gedeihen!
Bringt man uns nur Wein genug,
Wann wir darum schreien,
Wolln in deinem Himmel wir,
Herr, dich benedeien.
Für die Kirche nicht so sehr
Ist mein Herz erglommen, Doch die Kneipe war mir stets, Bleibt mir stets willkommen, Bis dereinst die Engel nahn, Bis mein Ohr vernommen Ihren Lustgen- Bruder- Gruß: ,, Ew'ge Ruh dem Frommen!"
Der gelehrte Cisterciensermönch Cäsarius , der griesgrämlich und geärgert die Historia erzählt, hätte sich weniger gewundert und entrüstet, wenn er gewußt hätte, daß der Verfasser dieses wackeren Liedleins eben jener„ undankbare" Nikolaus war. Billiger vergleichen wir diesen, dem Altmeister Jakob Grimm und die alten freien Triebe erwachen fühlt und aus dem Gehege folgend, mit einem gezähmten Wild, das in sich die alte Natur
wieder hinausläuft in den Wald.
Wo Bacchus weilt, ist Venus auch nicht fern.
In ihren Orden wollen unsere Fahrenden aufnehmen, wie wir oben schon sahen, was da kommt. Unter anderem heißt es in demselben Sang :