sich drei gewölbte Zimmer von etwa 20 zu 55 Fuß, welche zusammen mit dem anstoßenden von gleicher Tiefe bei 50 Fuß Länge gegenwärtig den Namen Stanzen tragen, obschon diese Bezeichnung in Wahrheit eigentlich nur den drei kleineren Kammern zukommt. Zu den Wohnräumen des Pabstes gehörig, wenn auch durch ihren Kunstschmuck vom gemeinen Werktags­gebrauch ausgeschlossen, sind die Stanzen oder Kammern niemals in dem gleichen Maße zugänglich gewesen, wie Kirchen und Kapellen. Daß an ein Kunstwerk die ganze gebildete Welt gleichsam ein natürliches Anrecht besize und jenes der Deffent­lichkeit nicht vorenthalten werden dürfe, von diesem Geseze wußte die Renaissancezeit nichts, und sie brauchte auch nichts davon zu wissen. Denn die Fülle der Kunstschäze war so unerschöpf lich, daß mit ihrem Verbrauche nicht gekargt zu werden brauchte, dieselben also auch dem privaten Genusse sich überaus zahlreich darboten. Ueberdies bestand zwischen öffentlichem und privaten Leben keine so schroffe Trennung wie in späteren Jahrhunderten. Noch eine andere uns geläufige Scheidung wurde damals nicht streng durchgeführt. Was wir als monumentale Kunst preisen und als Selbstzweck auffassen, diente damals oft nur zur Deko­ration. Aber eben diese Tatsache erscheint am besten geeignet, die ganz einzige Kunstblüte der Renaissanceperiode in ein helles Licht zu stellen. Nicht allein, daß die Kunst einen wesentlichen Bestandteil der Lebenslust aller Gebildeten ausmachte und in die weitesten Kreise und selbst in tiefere Schichten der Gesell­schaft drang, so war selbst für untergeordnete Zwecke das Beste eben nur gut genug.

Das zuerst in Angriff genommene Gemach ist das zweite in der Reihe und trägt den Namen Stanza della Segnatura. In diesem Raume hat Raffael die gesammte geistige Anschauung seiner Zeit in einer Weise zur Erscheinung gebracht, wie es niemals vor oder nachher einem Künstler gelungen ist; ohne Vorgang und Beispiel blieb die tiefsinnige Gliederung des großen Gedankenstoffs wie die Anordnung, welche von der vollständigen Beherrschung der geistigen Welt Zeugnis ablegt. Auf den vier großen in Rundbogen geschlossenen Wänden stellt er die Mächte dar, welche nach der Anschauung seiner Zeit das geistige Leben beherrschen: die Teologie, Philosophie, Poesie und Juris prudenz. In den vier allegorischen Gestalten des Kreuz gewölbes gab er gleichsam die Ueberschriften zu den darunter befindlichen Bildern; sie fassen kernhaft in einer allegorischen Gestalt zusammen, was an den Wänden mit breiten historischen Zügen geschildert wird. Wir müssen uns über diese eine Welt im kleinen darstellenden Schöpfungen nur kurz fassen, da eine eingehende Schilderung ein ganzes Buch füllen würde. Das erste Bild, welches die Reihe eröffnet, und das als Disputa bezeichnet wird, ist der Teologie gewidmet. Bewegte sich diese auf dem Boden mittelalterlich- kirchlicher Anschauungen, so führt der Künstler in dem zweiten, der Poesie gewidmeten Wand­bilde auf die sonnigen Höhen der Renaissancezeit. Der Parnaß, wie dieses Bild genannt wird, erhielt einen Plaz an einer der durch ein Fenster durchbrochenen Außenwände des Zimmers. Diese scheinbare Ungunst des Raumes wußte Raffael mit hoher Genialität so geschickt für die Komposition zu verwerten, daß jeder Zwang vergessen ist und alles sich völlig frei gestaltet zu haben scheint. Wir sehen in der Mitte die Höhen des Heli­kon, von welchem die Hippokrene herabrauscht. Auf wonnigem Rosensize, unter schlanken Lorbeerbäumen von der Schaar der Musen umgeben, front die Gestalt des sangeskundigen Gottes Apoll , nur leicht mit einem roten Mantel bekleidet, so daß die edlen Formen des jugendlichen Körpers fast unverhüllt erscheinen. Unvergleichlich hat Raffael schon in den Gestalten der neun Musen die verschiedenen Stimmungen von feuriger Ergriffenheit bis zu schwärmerischem Verzücktsein geschildert. Um aber die architektonische Symmetrie in freies Leben aufzulösen, fügt er die herrliche Gestalt Homers hinzu, der mit feierlich gehobenem Gestus den rytmischen Fall seiner Worte begleitet. Ihm lauschen Dante und Virgil und mit noch erregterer Spannung ein be­geisterter Jüngling, der auf einem Fels ſizend, die Worte des Sängers aufzuzeichnen im Begriff ist. Mit großem Geschick

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hat Raffael ferner neben dem Fenster eine tiefere Felsterrasse angeordnet, auf welcher im Vordergrund die Dichterin Sappho mit Lyra und Schriftrolle plazgenommen hat. Sie wendet sich zu einer prachtvollen Gruppe von vier Lorbeergekrönten Dichtern, worunter Petrarka . Ihr entspricht auf der anderen Fensterseite die ebenfalls sizende Gestalt des ehrwürdigen Pindar, der mit Horaz ein erregtes Gespräch beginnt, während ein dritter hinter ihnen stehender Dichter den Zeigefinger nach­sinnend an die Lippen legt. Weitere fünf lorbeergeschmückte Gestalten füllen den Hintergrund. So ist das Ganze, sagt Lübke, das köstlichste Bild erhöhter Daseinslust, edlen Lebens­genusses auf den sonnigen Höhen der Renaissancebildung, würde­voll und anmutig zugleich, strahlend in rein menschlicher Schön­heit, eine der feinsten Blüten des italienischen Humanismus. Unter dem Parnaß malte Raffael zwei Darstellungen, in welchen die Wertschäzung der Poesie gleichsam historisch bezeugt wird: Alexander der Große läßt die Gedichte Homers in das Grab des Achill legen; Kaiser Augustus hindert die Verbrennung von Virgils Aeneide. Noch tiefer dringt Raffael in dem folgenden großen Wandgemälde, das unter dem Namen der Schule von Athen die Philosophie darzustellen hat, in den Geist des klas­sischen Altertums ein. Kaum läßt sich ein Stoff denken, der sich spröder gegen die künstlerische Darstellung verhielte, als die abstrakte Philosophie; aber die gestaltende Kraft Raffaels war so groß, daß keine Spur trockner Abstraktion vorhanden, viel­mehr alles in höchste Schönheit lebensvoller Karakteristik, in freies Zusammensein großartiger Gestalten umgebildet ist. Wäh­rend in der Disputa der Himmel mit seinen Geheimnissen sich auftut, während wir im Parnaß das wonnige Weilen auf lor­beerbeschatteter Waldhöhe genießen, laden uns hier die majestä tischen Hallen eines herrlichen Kuppelbaues zum Verweilen ein. Wie ein Areopag erlauchter Geister füllen diese Hallen zahl­reiche Gestalten, in denen wir die Philosophen, die Weisen und Gelehrten des Altertums erkennen. Keine Seite des gelehrten Wesens ist vergessen, selbst das nicht, was von je den Philo­sophen die Geißel des Spottes zuzog: der Starrsinn der Halb­klugen, der Eifer der Anhängermacherei, das gläubige Schwören auf des Meisters Worte. Wenn etwas die Bewunderung des Raffaelschen Genius noch steigern kann, so ist es neben der geisterfüllten Schönheit, der lebensvollen Karakteristik, der uner­schöpflichen Mannigfaltigkeit der Gestalten die unvergleichliche Kunst, mit der er verstanden hat, diese unabsehbare Fülle mar tigen Lebens so zu gruppiren und zu gliedern, daß das Auge immer wieder zu den beiden Hauptgestalten im Mittelgrunde der Halle als zum dominirenden Zentrum des Ganzen zurück­kehren muß. So viel Herrliches von würdevollen Greisen, ernsten Männern, blühenden Jünglingen über das Ganze aus­geteilt ist, so ruht doch der geistige Schwerpunkt in diesen beiden unvergleichlichen Gestalten: Platon und Aristoteles , in denen die beiden großen geistigen Prinzipien, welche alles Erkennen beherrschen, verkörpert sind. Aristoteles , ein Mann in der Voll­Kraft der Jahre, die schlanke Gestalt in einen reich drapirten Mantel gehüllt, hält mit der Linken seine Etik gegen den Schenkel gestüzt und weist mit der Rechten gebieterisch auf die Welt der Erscheinungen. Mit geistreicher Prägnanz ist dadurch jene Richtung bezeichnet, welche von der Beobachtung des ein­zelnen ausgehend auf induktivem Wege zu den Gesezen des Weltalls aufzusteigen sucht. Im Gegensaz zu ihm weist die ehrwürdige Greisengestalt Platons, der in der Linken seinen Timäus hält, nach oben, die Richtung verkörpernd, welche aus der Idee die Erscheinungswelt zu fonstruiren sucht. gleicher Weisheit und Kunst ist auf der vierten Wand die Jurisprudenz in drei Bildern dargestellt. Außer den vier allegorischen Deckenbildern, von denen bereits die Rede war, brachte Raffael in den untern Zwickelflächen vier kleinere Bilder an, welche mit dem Grundgedanken der vier Hauptdarstellungen in enger Beziehung stehen. Der Teologie wurde der Sündenfall beigegeben, der Poesie die Krönung Apollons und Bestrafung des Marsyas, der Philosophie die Figur der Astronomie und der Jurisprudenz Salomos Urteil.

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