Wenn Raffael an den Wänden der Stanza della Segnatura die ideale Kulturwelt schildert, die Gemeinden der Gläubigen, der Wissenden, der poetisch Begeisterten und der Rechtspendenden, so zeigt sich seine Schöpferkraft ganz besonders in formeller Hinsicht in ihrem höchsten Glanze. Alle früheren Schilderungen haben die einzelnen Personen geradezu zweigeteilt. Sie trennen ihre äußere Hülle von der Seele. Sie zeichnen die porträt: artige Erscheinung der Helden und daneben die geistige Macht, welche sie vertreten. Sie malen z. B. den Ptolemäus und daneben die Figur der Astronomie. Raffael dagegen sezt seine Helden in unmittelbare Aftion, er läßt sie handelnd auftreten, durch Geberde, Haltung und Bewegung das lebendig ausdrücken, was
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früher durch allegorische Figuren dürftig angezeigt ward. Wir erraten nicht erst mit Hülfe der allegorischen Gestalt, daß der unter ihr ſizende Mann den Vater der Geometrie vorstellen soll, sondern sehen ihn im Kreise der Schüler mit der Erklärung einer geometrischen Figur beschäftigt. Raffaels Helden sind, was sie bis dahin blos vorstellten; sie rufen nicht den rätsellösenden, das Abstrakte deutenden und erklärenden Verstand an, sondern wenden sich unmittelbar an die Phantasie. Diese seine Weise, große Gedankenkreise in dramatischer Form zu verkörpern und fernliegenden abstrakten Vorstellungen ein unmittelbares Leben einzuhauchen, ist seitdem das Vorbild der Künstler geworden, aber unerreicht geblieben.
Allerlei aus der Geschichte der deutschen Sprache.
Bon Bruno Geiser.
Nach Gottsched erschien als Führer der deutschen Grammatifer eine verbesserte Auflage Gottscheds- Adelung.
Wie Gottsched strebte Adelung nach Klarheit und Richtigkeit des Ausdrucks, sowie nach geschmackvoller Darstellung, und ebenso wie jener hielt er die meißnische Mundart für das echte und gerechte Hochdeutsch: wie die oberen Klassen Obersachsens sprächen und schrieben, so sei und müsse sein, was ganz Deutsch land als seine Schriftsprache zu respektiren hätte.
Dieser bedenkliche Irrtum führte Adelung konsequenterweise zu einem total falschen Urteil über die Bedeutung der verschiedenen Epochen unserer Literatur. Er, der mitten in der jenigen Zeit darinstand, welche die höchste Blüte der literarischen Leistungen in Deutschland gezeitigt hat, erkannte nicht etwa dieses lezte Drittel des achtzehnten Jahrhunderts, sondern das zweite Viertel desselben für die Schöpfungsperiode der Musterwerke deutscher Sprache, das ist also grade jene Zeit, um dessen Ende Lessing kaum zwanzig Jahre alt, Goethe eben erst das Licht der Welt erblickt hatte und Schiller noch nicht geboren war.
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Im Jahre 1785, sechs Jahre nachdem Goethes größtes Meisterwerk, die„ Iphigenie ", erschienen war, dreißig Jahre später als Lessings Literaturbriefe und nahezu zwanzig Jahre, nachdem die hamburgische Dramaturgie auch für die deutsche Sprache Epoche machte, umwallt von den hochgehenden Wogen der Zeit, die auch Klopstocks, Wielands, Herders und Goethes Schöpfungen gebar, war der sonst scharfsinnige und ungemein tüchtige Grammatiker imstande, kaltblütig in seinem Werk: ,, Ueber den deutschen Styl" zu erklären:
" In Ansehung der Wohlredenheit zeichnete sich besonders das zweite Viertel des gegenwärtigen Jahrhunderts aus, in welchem diejenigen guten Schriftsteller von Sachsen ausgingen, welche in furzem Muster für ganz Deutschland wurden."
Auch noch in mancher andern Beziehung irrte Adelung, ähnlich wie es Gottsched getan, dessen Irrtümer sogar übertrumpfend, hie und da selbst ins Ungeheuerliche vergrößernd.
So da, wo er sich über die Roheit und Ungeschlachtheit der dem angeblich so herrlichen zweyten Viertel" seines Jahrhun derts vorhergehenden Sprachepochen ergrimmt zeigt.
Trozdem er von der schon so hochentwickelten gotischen Sprache zurgenüge weiß, um sich ein richtiges Urteil bilden zu können, sagt er über die deutsche Sprache in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung:
„ Ein noch so ungebildetes Volk hat wenig und dazu größten teils nur sinnliche Begriffe, seine Sprache kann daher nicht anders als äußerst arm seyn. Es hat grobe und ungeschlachte Sprachwerkzeuge und kann daher die wenigen Begriffe, die es hat, nicht anders, als durch rauhe und ungeschlachte Töne aus
drücken."
Nicht viel weniger abfällig urteilt Adelung über die Dichter der Hohenstaufenzeit und selbst über Luther , der sich nach ihm zwar redlich Mühe gegeben habe, sich das" echte Meißnische" völlig anzueignen, es aber leider darin nicht allzuweit gebracht
( Schluß folgt.)
( Schluß.)
hat und sowohl in Ortographie als Grammatik noch ganz entsezlich viel Böcke schießt.
Troz seines falschen Standpunktes ist Adelung jedoch nicht nur als der produktivste Grammatiker seiner Zeit, sondern schlechthin als derjenige zu bezeichnen, der in der grammatischen und lerikalischen Behandlung der deutschen Sprache im ganzen vorigen Jahrhundert das größte und einflußreichste geleistet hat.
Sein 1774-86 in erster Auflage erschienenes„ Grammatisch- kritisches Wörterbuch der deutschen Mundart", seine„ deutsche Sprachlehre für Schulen", welche 1816 die sechste Auflage erlebte, das 1782 in zwei starken Bänden herausgegebene„ Umständliche Lehrgebäude der deutschen Sprache", endlich die vorher bereits erwähnte Schrift„ Ueber den deutschen Styl" haben auf die Fortentfaltung unserer Sprache nicht minder wie auf die wissenschaftliche Behandlung derselben tiefe Einwirkung bewährt und für die Schule bis weit in unser Jahrhundert hinein unmittelbare Bedeutung gehabt.
Einen größern Gegensaz zu Adelung und zu all den andern Grammatikern vor diesem kann man sich nicht denken, als ihn die Anschauungen desjenigen Mannes enthalten, der mit Recht heute als der größte aller deutschen Sprachforscher genannt wird, nämlich des just in dem Jahre, da Adelungs Buch über den Stil vor die Oeffentlichkeit trat, geborenen Jakob Grimm .
Wir können uns diesen Gegensaz nicht besser klar machen, als wenn wir in das Verständnis einer Stelle aus der Vorrede zu seinem großartigen Meisterwerk, der 1819-37 in vier Bänden erschienenen Deutschen Grammatif", einzudringen suchen, worin er selbst sein Verhältnis zu den Grammatikern vor ihm klarlegte.
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Seit man die deutsche Sprache grammatisch zu behandeln angefangen hat," sagt Jakob Grimm , der die Grammatik nicht wie viele andere seiner überaus zahlreichen Werke mit seinem ihm an Bedeutung nahestehenden älteren Bruder Wilhelm gemeinschaftlich bearbeitet hat, sind zwar schon bis auf Adelung eine gute Zahl Bücher und von Adelung an bis auf heute eine noch fast größere erschienen. Da ich nicht in diese Reihe, sondern ganz aus ihr heraustreten will, so muß ich gleich vorweg erklären, warum ich die Art und den Begriff deutscher Sprachlehren, zumal der in dem lezten halben Jahrhundert bekannt gemachten und gut geheißenen, für verwerflich, ja für töricht halte. Man pflegt allmälich in allen Schulen aus diesen Werken Unterricht zu erteilen und sie selbst Erwachsenen zur Bildung und Entwicklung ihrer Sprachfertigkeit anzuraten, eine unsägliche Pedanterei, die es Mühe kosten würde, einem wieder auferstandenen Griechen oder Römer nur begreiflich zu machen. Die meisten mitlebenden Völker haben aber hierin so gesunden Blick vor uns voraus, daß es ihnen schwerlich in solchem Ernste beigefallen ist, ihre eigene Landessprache unter die Gegenstände des Schulunterrichts zu zählen. Den geheimen Schaden, den dieser Unterricht, wie alles überflüssige, nach sich zieht, wird eine genauere Prüfung bald gewahr. Ich behaupte nichts anderes, als daß dadurch