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O fomm mit mir.( Illustration G. 429.) Liebende verraten nicht gern ihre Geheimnisse, wir wissen also nicht genau, was unser Pärchen so nachdenklich macht. Wollens die Eltern nicht leiden, daß die beiden fich heiraten? Oder hat der junge Mann, der im übrigen recht unter­nehmend aussieht, keine Aussicht auf ein genügendes Auskommen? Etwas derartiges ists; da wir aber etwas neugierig sind und unsere Leserinnen jedenfalls auch so müssen wir uns schon aufs Erraten legen. Die junge Marie, die wir vor uns sehen, ist nämlich die Tochter eines Fischers und in der ganzen Stadt die freilich nicht allzugroß iſt- bekannt als die schöne Fischerin. Das Mädchen ist schlank aber auch kräftig gebaut; eine schwächliche Tochter kann der alte Kurt, Mariens Vater, auch nicht brauchen, denn gar häufig muß sie mit ihm hinaus auf den stürmischen und wogenden See, um dem Vater beim Fischfang hilfreich an die Hand zu gehen. Daheim hat sie genug zu tun, um die Haushaltung zu führen denn ihre Mutter ist schon lange tot und die Neze auszubessern. Die verborgen blühende Rose in der stillen und kleinen Fischerhütte ist bald bemerkt worden und viele Schmetterlinge haben sie umgaufelt. Aber sie ist eine stolze und unnahbaie Jungfrau, und wen ihre Kälte nicht abgeschreckt, den hat Bater Kurt verscheucht mit seinen derben Fäusten und seiner seemänni­schen Grobheit. Endlich ist aber doch der Rechte gekommen, nämlich eines Kaufmanns Sohn, der schmucke Arnold, der die Rechte studirt. Er hat den Weg zum Herzen schön Mariens zu finden gewußt, und daher kommt es auch, daß die Fischerstocher nun plözlich noch mehr in der Haushaltung zu tun und Neze zu fliden hat, als vordem, und nur jelten mit dem Vater auf den See hinausfährt. So auch heute, und während Bater Kurt den Hechten und Lachsen nachstellt, kost der junge Arnold mit schön Marie. Er meint es ehrlich; aber werden seine hoch= mütigen Eltern in die Heirat mit der Fischerstochter willigen? Wird der alte Kurt, der Eisenkopf, den studirten Zierbengel" als Schwieger­sohn wollen, er, dem ein tüchtiger Fischer immer als die Perle aller Schwiegersöhne erschienen ist! Das ists, was die jungen Herzen be­engt. Es wird viel Mut dazu gehören, um die ihnen entgegenstehenden Vorurteile zu überwinden. Sie fühlen es, und wir wollen ihnen von Herzen wünschen, daß sie die nötige Tapferkeit und auch das nötige Glück haben.

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BI.

Die höchsten Denkmäler und Bauwerke der Welt.( Illustration S. 432-433.) Um den Franzosen von dem grandiosen Stil des Nibelungenliedes einen Begriff zu geben, schreibt H. Heine   in seinem Buche über Deutschland  ( De l'Allemagne):" Denkt euch, es wäre eine helle Sommernacht, die Sterne träten hervor am blauen Himmel und alle gotischen Dome von Europa   hätten sich ein Rendezvous gegeben auf einer ungeheuer weiten Ebene, und da käme nun ruhig heran­geschritten der Straßburger Münster  , der Kölner Dom  , der Glocken­turm von Florenz  , die Katedrale von Rouen   u. s. w. und diese machten der schönen Notre- Dame- de- Paris   ganz artig die Cour." Ein ähnliches Bild, wie des genialen Dichters humoristische Phantasie es entwarf, hat unser Zeichner mit seinem Stift geschaffen, nur zu einem andern Zwede: er will die höchsten Denkmäler und Bauwerke, welche die Menschenhand zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern gegen den Himmel aufgeschichtet und emporgetürmt, in einem sehr gefchidt gruppirten Ensemble vorführen. Gewiß eine glüdliche Idee, und die dreiundsechzig Nummern, die das Bild umfaßt, sind interessant genug, um uns die kleine Mühe, die das Orientiren unter denselben verursacht, nicht verdrießen zu lassen. Zunächst wird unser Blick von dem mächtigen Koloß gefesselt, der sich ungefähr in der Mitte des Bildes mit seinen beiden Türmen uns präsentirt und der an Höhe alle andern überragt. Wer kennt ihn nicht, den kölner Dom  , den Stolz deutscher   Gotik. Er wurde unter dem stolzen und mächtigen Erzbischof von Köln  , Konrad von Hochstädten, und nach den Plänen Meisters Gerhard von Rile   1248 begonnen, der Chor ward 1322 vollendet. Die steten Kämpfe zwischen den Erzbischöfen und der Stadt hinderten den Weiterbau; man nahm einzelne Anläufe, aber vom 16. bis in das 19. Jahrhundert ruhte der Bau, dessen Beendigung seit 1840 als Nationalangelegenheit betrieben wurde, so daß er kürzlich vollendet Einen ganz andern architektonischen Karakter zeigen die beiden vulkanförmigen Bauten, deren Gipfel zwischen den beiden Türmen des kölner   Doms sich zeigen. Es sind die ältesten Baudenk­mäler, welche die Erde aufzuweisen hat und sie gehören dem Wunder­land Egypten an. Riesenhafte Größe karakterisirt ganz besonders die egyptische Baukunst, welche den Eindruck des Erhabenen nur durch die Masse zu erreichen wußte. Erst in den Tempelbauten der Griechen ist die Architektur zu maßvoller Schönheit und einfacher Klarheit durch­gedrungen. Die egyptischen Herrscher, Pharaonen, wollten auch noch im Tode königlich wohnen, sie ließen daher für ihren kostbaren Kadaver ungeheure Grabmonumente, Pyramiden, erbauen, welche als künst­liche, frystallinisch geformte Berge eine kleine Grabkammer einschließen, die den Sarg mit dem einbalsamirten Leichnam enthielt. Der Aufbau der Pyramiden geschah durch die Anlage eines terrassenartigen Stufen­baus, der von unten nach oben sich entsprechend verjüngte. Das Material bestand fast einzig aus Quadern, selten aus Biegeln. Die drei größten Pyramiden liegen bei dem Dorfe Gizeh   in der Nähe von Kairo  , und unter ihnen ist die größte die des Cheops   oder Chufu  ( 1391-3067 v. Chr.). Sie hat jezt eine Länge von 227 Meter und

werden konnte.

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eine Höhe von 137,18 Meter( ihre ursprüngliche Höhe sammt dem dem Felsen angehörigen Sockel und der jezt weggefallenen Spize war weit beträchtlicher), und man könnte mit den Steinen, aus denen sie erbaut ist, eine Mauer um ganz Spanien   herumziehen. Nach Herodot   haben 360 000 Menschen zwanzig Jahre lang an dieser Pyramide gearbeitet. Neben dieser sehen wir die etwas kleinere Pyramide des Chefren oder Chafra  , Bruder des vorigen( 3067-3043). Zwischen den beiden Gipfeln dieser Pyramiden sehen wir die schlanke Turmipize der dem 13. Jahrhundert, der Periode des schönen gotischen Stils in Frank­ reich  , entstammenden Katedrale zu Rouen   hoch hervorragen. Einer späteren Zeit gehören die Obelisken an, deren wir auf unserem Bilde zwei erblicken und welche einen Bestandteil der egyp= tischen Tempel ausmachten, wovon die großarti sten Reste sich unter den Trümmern des hunderttorigen" Theben   befinden, der späteren Königsstadt der Pharaonen; es sind die Tempelpaläste beim heutigen Luxor   und Karnat. Mächtige Umfassungsmauern, schräg aufsteigend, schlossen den Raum des Tempels ringsum ab. Zu beiden Seiten der hohen, schmalen Pforte erhoben sich turmartige Gebäude, die sog. Pylonen, vor welchen ein paar Obelisken standen. Nach diesem Ein­gange führte eine lange Allee von Sphingen. Die Sphinx, dieses monströse Gebilde, eine aus gewaltigem Felsen gehauene, liegende männliche Gestalt mit Menschenkopf und Löwenleib, Symbol des Rätselhaften, war den Forschern selbst lange ein Rätsel, bis man in neuerer Zeit darauf kam, daß damit Harmachis, der Sonnengott beider Welten, versinnlicht wurde. Unser Bild führt uns die 1212 Meter hohe Sphing von Gizeh   vor. Die altindische Baukunst vertritt auf unserem Bilde die kolossale Pagode freistehender Tempel in Dichagger­nath, einem berühmten Wallfahrtsort der Hindus am bengalischen Meerbusen. Eine Probe römischer Baukunst gibt uns das Pan­theon in Rom  , das großartigste Denkmal der augusteischen Zeit, welche die edelste Glanzepoche des römischen Lebens bildet. Der bis auf unsere Zeit erhaltene Bau zeigt die in der altitalischen Kunst be­liebte Rundform. Die Giraldakirche zu Sevilla   repräsentirt die Kunst des Islam  . Der berühmte schiefe Turm zu Pisa  , auf welchem Galiläi manche für die Naturwissenschaft überaus ergebnis­reiche Experimente machte, ist im romanischen Spiel erbaut. Er ist angeblich schon während des Baus auf der einen Seite gesunken, worauf ihm die geneigte Richtung mit Absicht erhalten wurde. Er ist 1174 gegründet und von Bonnanus und W. v. Innspruck gebaut. Die Gotik, welche ihrer zum Himmel emporstrebenden, Vergeiſtung ausdrückenden Natur gemäß Bauten von immenser Höhe produziren mußte, ist auf unserem Bilde durch zahlreiche Kirchen, Katedrale, Münster  , Dome reich vertreten. Auch einen gotischen Profanbau er= blicken wir auf unserem Bilde: den Turm des im 15. Jahrhundert erbauten Brüsseler Rathauses. Der Baustil der vorzugs­weise in Italien   heimischen Renaissance konnte durch kein Werk wür­diger repräsentirt werden als durch die Peterskirche in Rom   mit ihrer mächtigen Ruppel. Die folossale fünfschiffige Peterskirche, von Konstantin dem Großen gegründet, mußte im 16. Jahrhundert dem Neubau weichen. Im Jahre 1506 wurde der Bau von Bramante   be= gonnen, in den folgenden Jahren von verschiedenen Meistern, worunter auch Raffael  , nach mehrfach verändertem Plane fortgeführt, bis endlich 1546 Michel Angelo   den Plan des riesigen Kuppelbaus entwarf, der auch nach seinem Tode eingehalten und bis 1667 zu Ende geführt wurde. Diese Kuppel ist ein Wunder der Baukunst, wie fein zweites solcher Art auf Erden zu finden, an Erhabenheit, Leichtigkeit und Schönheit der Form unerreicht, wie an Größe und Kühnheit der Kon­struktion. Burkhardt sagt von der St. Petersfuppel, daß sie die schönste und erhabenste Umrißlinie darbietet, welche die Baukunst auf Erden erreicht hat. Die von Christopher Wren   von 1675 bis 1710 erbaute Paulskirche in London   gehört zu den großartigsten Schöpfungen der Renaissance in England, wo diese erst spät die Gotik verdrängte. Neben diesen und anderen durch riesige Moße hervorragenden Werken der älteren Zeit begegnen wir auf unserem Bilde auch zahlreichen Denk­mälern und Bauwerken der neuen und neuesten Zeit, deren Bekannt­schaft wir bei unseren Lesern wohl voraussezen dürfen. Unter den ersteren fesselt uns besonders die erst vor wenigen Jahren errichtete hohe Figur der Freiheit bei New- York  , obgleich sie von dem Her­fules auf der Wilhelmshöhe   bei Kassel   überragt wird; denn bei ihrem Anblick steigt in uns der Wunsch auf: Möchte bald der Tag erscheinen, wo auch in Europa   der Freiheit ein Standbild errichtet wird. St.

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Amazonengruppe.( Illustration S. 437.) Nicht das moderne Zeit­alter allein kennt emanzipirte oder emanzipationssüchtige Frauen, schon das klassische Altertum weiß von Frauen zu erzählen, die aus der engen Sphäre, welche die Gesellschaft dem weiblichen Menschen anweist, hinausstrebend, selbst um denjenigen Lorbeer warben, den die männ­liche Kraft allein erringen zu können glaubt. Amazonen nennt eine Sage des Altertums ein nur aus Frauen bestehendes Volk, das feine Männer unter sich duldete, unter Anführung seiner Königin be­waffnet in den Krieg zog und einen kriegerischen Staat bildete. Mit den Männern benachbarter Staaten pflogen sie Gemeinschaft blos der Fortpflanzung wegen. Diesen sendeten sie auch die Knaben zu, welche sie gebaren, wenn sie dieselben nicht töteten. Die Mädchen aber er­zogen sie zum Kriege und brannten ihnen die rechte Brust aus, damit ihnen diese beim Spannen des Bogens nicht hinderlich sei. Der Name