aufdrängte und nicht weichen wollte, wie sehr sie sich auch da , gegen sträubte, begründet war. Es wurde ihr sehr schwer zu glauben, daß alles zu Ende sei und daß das Glück, welches sie bereits ihr eigen geglaubt und an ihr liebeatmendes Herz gedrückt hatte, als fönne es ihr nie wieder verloren gehen, vorübergezogen sein sollte wie ein flüchtiger Traum, der mit einer so schrillen, grausamen Dissonanz enden wollte. Eine große Unruhe bemächtigte sich ihrer. Sie hätte Gewißheit haben mögen und schrak doch ängstlich davor zurück, durch ein Wort, einen Blick herauszufordern, was sie am liebsten vor sich selbst geheim gehalten hätte.

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Die anderen erfuhreu nichts von den Gedanken, die sie ruhelos umhertrieben. Burghardt hatte den Freund in der lezten Zeit nur flüchtig gesehen. Er schien auch ihn zu meiden. Doch erfuhr er aus den Andeutungen Dritter von der Lebensweise seines jungen Freundes mehr, als zu hören ihm lieb war. Wiederholt hatte er versucht, Richard zu sprechen, ihm in das Gewissen zu reden Richard war ihm mit knabenhaftem Troz ausgewichen und ließ sich nun schon seit Wochen gar nicht mehr bei dem älteren Freunde sehen.

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So war der Sommer hereingebrochen. Am Spätnachmittage eines schönen Julitages-die Luft war ungemein mild und weich und auf den Straßen herrschte ein so munteres Leben, daß man sich fast versucht fühlte, die fieberhafte Aufregung, welche laut Zeitungsberichten alle Kreise der Gesellschaft er­griffen haben sollte, für eine müßige Erfindung sensationsbedürf­tiger Reporter zu halten hatte Hedwig ihr Tagewerk früher beendet, als dies sonst zu geschehen pflegte. Sie hatte ſeit vielen Wochen die Tante nicht aufgesucht, welche nach dem Tode des Bruders zu einer entfernten Verwandten gezogen war und noch immer mit großer Liebe an den Kindern hing, die unter ihren Augen herangewachsen waren. Die alte Dame war viel zu gutherzig und anspruchslos, um von ihren Pfleglingen eine Anerkennung ihrer Treue und Anhänglichkeit zu verlangen. Sie war nicht gewohnt, ihre Tätigkeit hoch anzuschlagen, und fühlte sich für alles, was sie an den mutterlosen Kindern getan hatte, hinreichend belohnt durch das Bewußtsein treuer Pflichts erfüllung. Aber gerade weil die gute Seele von ihrer Herzens­güte und Opferwilligkeit so wenig Aufhebens machte, drängte es Hedwig, ihr ihre Liebe und Dankbarkeit zu beweisen, obschon es ihr in ihrer jezigen trüben Stimmung nicht leicht wurde, einen Menschen aufzusuchen. Am liebsten hätte sie allen Ver­kehr mit der Welt abgebrochen und sich einzig und allein mit ihren Gedanken beschäftigt, die zwischen Furcht und Hoffnung unablässig hin und her schwankten.

Sie hatte den Weg zu der Wohnung der Tante in aller Eile zurückgelegt, ohne weiter auf ihre Umgebung zu achten. Sie gedachte ihren Besuch so viel als möglich abzukürzen, um inbälde in ihr einsames Stübchen zurückzukehren, wo sie nicht zu lächeln und eine Ruhe und Heiterkeit zu heucheln brauchte, die ihr fremd war. Wenn sie erst wieder in ihrem Stübchen saß, brauchte sie auch die Hoffnung nicht aufzugeben, Richard heut noch zu sehen, seinen stürmischen Schritt die Treppe hinan­kommen zu hören und durch einen Blick in seine Augen sich zu überzeugen, daß sie sich und ihm Unrecht tue mit dem Ver­dacht, der sich ihr immer unabweislicher aufdrängte. So, während sie eilig durch die Straßen schritt und sich immer weiter von ihrer Wohnung entfernte, mußte sie fürchten, daß inzwischen Richard bei ihr gewesen, und da er sie nicht zuhause gefunden, davon gegangen sein würde auf wer weiß wie lange Zeit.

Wenn er gewußt hätte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte, wie ungestüm sie danach verlangte, seinen braunen Lockenkopf wieder einmal zwischen ihre Hände zu nehmen und ihre zuckenden Lippen auf seine lieben, fröhlichen Augen zu drücken und seinen Mund, über welchen sich der dunkle Schnurrbart so keck kräuselte wie sie es früher getan, in jenen glücklichen Stunden, die nie und nimmer vergessen konnte, wer sie einmal durchlebt hatte! Sie hatte den Weg zurückgelegt und stieg die Treppe hinan, die zu der Wohnung der Tante führte. Im selben Augenblick fam eine junge Dame den zweiten Treppenabsaz herab, eine

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schlanke und zugleich üppige Gestalt in eleganter, von raffinirtem Geschmack zeugender Sommerkleidung. Sie hatte ein hübsches, pikantes Gesicht mit lebhaften Augen und schmollend aufgewor­fenen Lippen, deren verführerischer Reiz sicherlich nicht vermin­dert wurde durch den leichten Schatten über der etwas kurzen Oberlippe. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen und rief mit heller Stimme einem Herrn, den Hedwig nicht sehen konnte, da er hinter der jungen Dame herging, ein paar Worte zu, einen übermütigen Scherz. Dabei sah sie mit herausfordernder Koketterie zu ihm auf, der ihr elegantes, spizenbeseztes Sonnen­schirmchen in Händen hielt und ließ es lachend geschehen, als er ihren Kopf mit beiden Händen rückwärts neigte und einen flüchtigen Kuß auf ihre roten Lippen drückte.

Die beiden hatten keine Ahnung davon, daß sie nicht allein waren. Nun wurde die junge Dame auf Hedwig aufmerksam und lachte laut auf. Es war ihr augenscheinlich nicht viel daran gelegen, ihr Liebesglück geheim zu halten. Sie warf Hedwig einen flüchtigen Blick zu, halb neugierig, halb überlegen; dann flog sie an ihr vorüber, die Treppe hinab, während sie mit schmollender Stimme ihren Begleiter wegen seiner Langsamkeit ausschalt.

Hedweg mußte lächeln. Der kleine Zwischenfall belustigte sie sehr. Es reizte sie, die beiden zu sehen, welche sie zu so ungelegener Zeit gestört hatte. Daun wurde sie bleich wie der Tod und wäre umgesunken, wenn nicht Richard sie in seinen Armen aufgefangen hätte. Sie machte sich schaudernd von ihm los, der vor ihr stehen geblieben war und in tötlicher Ver­legenheit auf sie niedersah. Kein Wort kam über ihre Lippen. Sie sah vor sich nieder, stumm und regungslos; wie betäubt von der Gewißheit, die ihr nun plözlich geworden war. Nun war ihr ja zuteil geworden, wonach sie so lange verlangt hatte.

Die junge Dame war inzwischen an der Haustür angelangt und sah sich verwundert nach ihrem Begleiter um. Ihre helle Stimme flang in Hedwigs Ohren. Sie fuhr sich mit der Hand nach dem Herzen. Ihr war, als empfinde sie einen förper­lichen Schmerz beim Klang dieser Stimme. Als sie dann lang­sam die Augen aufschlug, mit einem tiefen Seufzer, der sich unwillkürlich ihrer Brust entrang, war sie allein.

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Sie mußte sich erst besinnen, was sie eigentlich hierher geführt. Dann verließ sie das Haus mit schwankenden Schritten. Was sollte sie noch hier? Ihr war zu Mute wie einem abge schiedenen Geiste, der unter den Menschen umherwandelt, ohne ihr Leid und ihre Freude zu teilen, so traumhaft ruhig, so still und schmerzlos. Sie ging den Weg zurück, den sie gekommen war. Sie suchte die dunkelsten Stellen auf und ließ in halber Bewußtlosigkeit die menschlichen Stimmen und das Geräusch der Straßen vorüberbrausen an ihrem Dhr. Mit stiller Verwun­derung sah sie den Vorübergehenden in das Gesicht und lächelte, ohne zu wissen warum sie tam sich wie durch eine unüber­steigliche Scheidewand von ihnen getrennt vor. Manch einer sah sie gleichfalls verwundert an und drehte sich wiederholt nach ihr um, wie sie so allein und langsam dahinschritt. Sie achtete dessen nicht. Sie konnte sich kaum aufrecht halten. Ihr war, als stünde sie am Rande des Grabes oder am Vorabende einer schweren Krankheit. Die Aufregung der lezten Wochen zitterte in ihren Gliedern nach die heimliche Angst, welche sie so lange verzehrt, die schlaflosen Nächte, die sie verbracht hatte. Die krankhafte Ueberreizung ihrer Sinne hatte einem dumpfen Wohlgefühl plaz gemacht, einer Mattigkeit und Schlaffheit, die sie einschläferten. Sie dachte an nichts, sie fühlte nichts- es schien ihr wie ein Traum, daß sie in der Stumpfheit und Fühl­losigkeit, die sich über ihren Geist gelagert hatte, unter lauter fremden Menschen dahinging, von denen feiner wußte, wie ihr zu Mute war. Ihr war, als könne jezt die Welt untergehen, der Himmel herniederstürzen und alles unter seinen Trümmern begraben, ohne daß sie dadurch aus ihrer Ruhe aufgescheucht

worden wäre.

ihr.

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Guten Abend, Hedwig," klang Burghardts Stimme neben Woher so spät? Er freut mich, daß ich Sie treffe- ich