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Ein Meerwunder.

Von J. Stern.

Die bunte Mannichfaltigkeit, die wir an den zahlreichen Gebilden der Landtiere bewundern, wird weit übertroffen von der Formenfülle der pelagischen Fauna, d. h. der Tierwelt der Gewässer, besonders der Seen und Meere. Während die schaffende Natur die Landtiere fast durchweg nach einer gemein­samen Grundform bildete, gefiel sie sich bei der Gestaltung der Bevölkerung des feuchten Elements in den verschiedenartigsten Typen, und ließ mitunter, wie es scheint, ihrem Humor den Zügel schießen, indem sie allerlei abenteuerliche, drollige Figu ren formte, dergleichen das Erstaunen der Besucher größerer Aquarien hervorrufen.

Zu den absonderlichsten Gebilden der Seetiere gehört un­streitig der Tintenfisch( sepia), dessen Gestalt jedoch mit der eines Fisches fast nichts gemein hat. Derselbe repräsentirt viel­mehr die Klasse der Weichtiere( mollusca), und die Ordnung, welcher er angehört, ist die der Kopffüßler( cephalopoda). Dieser Name ist bezeichnend für die sonderbare Gestalt des Tieres. Der Körper desselben gliedert sich nämlich in zwei sehr scharf von einander abgesezte Teile, in einen ansehnlichen Kopf und einen Rumpf, welcher von einem glockenförmigen, start gewölbten Mantel umgeben wird. Dem Kopfe sind oben acht längliche fleischige Anhänge angewachsen, welche als Greif­und Bewegungsorgane gebraucht werden und daher sowohl als Arme wie als Füße bezeichnet werden können, gewöhnlich aber Fangarme genannt werden. Das Spiel dieser Arme gleicht bei den größeren Arten den Windungen eines Haufens miteinander verflochtener Schlangen, so daß sich der Kopf wie das schlangen haarige Gorgonenhaupt ausnimmt. Die ganze Gestalt des Tieres ist ungefähr die einer Flasche mit furzem Halse, an deren Mündung die Fangarme stehen. Dieselben sind von sehr fester muskulöser Beschaffenheit, dehnbar und sehr beweglich. Jeder Arm trägt an der innern Fläche eine große Zahl reihenförmig angeordneter Saugnäpfe, wodurch ihr Zweck, die Beute festzu­halten oder bei den Kriechbewegungen zur Dirigirung des Kör­pers zu dienen, in ausgezeichneter Weise erfüllt wird. Denn vermittelst des Saugnapfs entsteht ein Raum mit verdünnter Luft, der den Napf fest haften macht, und zwar in solchem Grade, daß das Tier, wenn es einen seiner Fangarme an einen Gegenstand angelegt hat, sich diesen durch keine Gewalt ent reißen und eher den ganzen Arm als den ergriffenen Gegen­stand fahren läßt. Wehe dem Krebs oder einer andern Beute des Kopffüßlers, dem auch nur ein solcher Saugnapf angesezt wird alles Zappeln ist vergebens. Das Greifwerkzeug haftet, als wäre es mit dem Körper des Beutetiers verwachsen. Im berliner Aquarium, wo mehrere Tintenfische untergebracht sind, kann man öfters die Wahrnehmung machen, daß ein Tier, das sich in eine Felsspalte verkrochen hat, mit weit ausgestrecktem Arm Steine, die an Gewicht dem ganzen Körper gleich kommen, mit Leichtigkeit zu sich heranzieht.

Breitet man die Arme auseinander, so kommt gerade in der Mitte ihres Kreises die von mehreren kreisrunden Lippen um­gebene Mundöffnung zum Vorschein, in welcher die beiden schwarzbraunen Kiefer liegen, dem Raubtierkarakter des Tieres entsprechend, groß, fest, spiz und scharf. Der Kopf trägt an der Seite zwei unverhältnismäßig große glänzende Augen, welche mit unheimlichem Feuer funkeln, wie die der Kazen bei Nacht leuchten und bei größeren Arten einen ungemein wilden und stieren Ausdruck haben.

Der Tintenfisch, wie bereits bemerkt, eine Spezies der Kopffüßler, hat seinen Namen von einer schwarzbraunen Flüssig keit, die er in einer Blase führt und bei Gefahr ins Wasser entlassen dieses trübt und den Leib des Tieres mit einer dichten, für das Auge des Feindes undurchdringlichen Wolke umgibt. Dieser Saft wird gereinigt und präparirt und unter dem Namen Sepia" von Zeichnern wegen des weichen Tones, die er dem Bilde verleiht, manchen andern Farben vorgezogen.

Die Fruchtbarkeit der Kopffüßler ist eine ungeheure. Tausend verhältnismäßig große Eier werden traubenförmig vereinigt von dem Weibchen abgelegt und führen bei den Fischern der süd­lichen Meere den Namen Meertrauben.

An manchen Exemplaren der Tintenfische, die in Museen in Weingeist aufbewahrt sind, kann man eine feine violette und bräunliche Sprenkelung der Haut wahrnehmen. Allein das gibt keine Idee von dem wunderbaren Farbenspiel, welches die leben­den Tiere zeigen. Je nach den Zuständen, in welchen sie sich befinden, je nachdem sie selbst angreifen oder angegriffen und gereizt werden, sind sie einem fortwährenden Wechsel brillanter Färbungen unterworfen.

Die Kopffüßler sind ausschließlich Meeresbewohner. Viele Arten leben gesellig und gerade diese machen Wanderungen, wobei sie sich aus den tiefen Meeresgründen und dem hohen Meere den Küsten zu nähern pflegen. Sie sind räuberische Fleischfresser und vernichten eine Menge Fische, Krebse, Schnecken und Muscheln. Sie sind so gefräßig, daß sie sich sogar auf die an der Angel gefangenen Tiere ihres eigenen Geschlechts stürzen und sich mit ihnen an die Oberfläche ziehen und ergreifen lassen. Glücklicherweise werden sie wieder von andern Meerbewohnern bedeutend dezimirt. Mehrere Wale, der Potwal, die Kabel­jaus u. a. leben ausschließlich oder vorzugsweise von Kopffüßlern und mehrere Arten werden auch als menschliches Nahrungsmittel verwendet.

Im mittelländischen Meere, um Griechenland , trifft man sehr große Tintenfische( octopus vulgaris, gemeiner Achtfuß), die acht Fangarme von zwölf Fuß Länge haben und daher sehr fürchterlich aussehen. Dieses Tier nannten die Alten Polyp ( Vielfuß). Indessen glaubte man seit alters, daß es Cephalo­poden von noch gewaltigerer Größe gebe, die Menschen und selbst Schiffen gefährlich werden könnten und unter dem Namen Kraken in den Märchen eine bedeutende Rolle spielen. Seit Seefahrer den Ozean durchfurchen, hören wir von riesenhaften Geschöpfen dieser Art. Die Berichte lauteten aber so märchen­haft, daß man den Kraken oder Riesenpolyp mit der Seeschlange in das Reich der Fabel verwies. Schon Aristoteles erzählt von einem fünf Ellen langen Kopffüßler; auch Plinius be­richtet von einem Riesenpolyp, der Nachts an die Fischbehälter der spanischen Küste kam und dieselben plünderte. Sein Kopf, den man dem bekannten Gourmand Lukullus verehrte, war wie ein Faß von fünf Eimern Inhalt, und seine Arme, die so dick waren, daß man sie kaum umspannen konnte, maßen dreißig Fuß.

Eine besondere Berühmtheit erlangten die nordischen Kraken, welche Linné, der an deren Existenz glaubte, ohne daß er jemals einen solchen sah, Mikrokosmos marinus( seeische Kleinwelt) nannte. Der alte Bischof von Bergen, Pontuppi­dan, der im Anfang des vorigen Jahrhunderts schrieb, hatte von ihnen erzählt, daß sie sich wie ein weites Feld von einer halben Stunde Durchmesser aus dem Meere erheben und bis dreißig Fuß über die Oberfläche emporragen. In dem Wasser, welches die Vertiefungen in den Unebenheiten des Rückens fülle, sehe man Fische schwimmen und springen. Von innen heraus, wie die Fühlhörner einer Schnecke, steigen Arme empor, stärker als der stärkste Mastbaum des größten Schiffes, und so mächtig, daß sie einen hundert Kanonen führenden Koloß in den Abgrund ziehen könnten. Diese Arme dehnen sich nach allen Seiten aus, spielen gleichsam mit einander, neigen sich zur Wasserfläche, richten sich wieder empor und haben alle Beweglichkeit der Arme anderer Polypen. Auf dem Rücken des Kraken könne ein ganzes Regiment Soldaten spazieren.

Neuerdings hat es sich nun bewahrheitet, daß es unter den Kopffüßlern wirklich Riesen gibt. Schon die Naturforscher der Cook'schen Entdeckungsreise in die Südsee brachten Reste von ungeheuern Cephalopoden mit, die jezt noch in London aufbe­