" Ich hätte ihm mehr Standesbewußtsein zugetraut," grollte der Physikus.
" 1
"
, Das kommt von der verdammten Philosophie," sagte der Bürgermeister. Gottlob, daß ich mich davon fern gehalten habe! Aber wenn man zu viel studirt, bleibts hier nicht richtig." Und dabei deutete er auf sein stadtväterliches Haupt, dessen innere Räumlichkeiten für philosophische Ideen allerdings nicht sehr wohnlich eingerichtet schienen.
542
Und nun brach das Schwazen hin und her los, und an dem Stammtisch summte es, wie in einem Bienenschwarm. Was da gesprochen wurde, war nicht sehr geistreich und wir wollen es auch nicht weiter erwähnen. Man kann es sich aber leicht denken, welcher Art die Unterhaltung war, denn das Intelligenz-| blatt des Städtleins, das gegen Abend erscheint, hatte eine Anzeige enthalten, in welcher der vom Stammtisch verschwundene Doktor Ambrosius Gerlach anzeigte, daß er sich mit seinem Dienstmädchen verlobt habe.
"
-
-
Die Entrüstung am Stammtisch ging so weit, daß man den Doktor Ambrosius für einen elenden Duckmäuser" erklärte. Hatte er doch nicht einmal die Genehmigung des Stammtisches vor seiner Verlobung eingeholt. Und- man bedenke- sämmtliche Mitglieder der Tafelrunde hatten heiratsfähige Töchter auf Lager.
Wie aber war der bocksteif erscheinende Doktor der Philosophie zu seinem Entschlusse gekommen, der den guten Stammtischphilistern so viel Aufregung bereitete!
Es war etwa sehr Wochen vor dem in der städtischen Geschichte historisch gewordenen Abend, an dem Doktor Ambrosius nicht mehr am Stammtisch erschien. Er saß in seiner Studirstube bei geschlossenen Läden und bei der Lampe, obschon draußen heller und sonniger Tag war. Solch ein tüchtiger Gelehrter muß nun einmal in der Lampenatmosphäre sein, wenn er etwas Rechtes ergründen soll. Wie sollte auch ein guter Gedanke kommen im hellen Sonnenschein?
Doktor Ambrosius sah und hörte also nichts von dem Walten und Wehen des Lenzes da draußen. Die Lampe war seine Sonne, der Staubgeruch alter Bücher und Pergamente ersezte ihm den Blumendust und die griechischen Lettern tanzten lustig vor seinen Augen wie die bunten Schmetterlinge und Käfer in dem schönen Garten, auf den seine Fenster gingen und den er nie zu bemerken schien, obschon er, da seine Zimmer zur ebenen Erde lagen, nur einen Schritt hätte zu tun brauchen, um mitten in Blütenduft und Lenzeshauch zu wandeln.
Der Herr Doktor war gerade mit einer tiefgehenden Untersuchung beschäftigt im alten Homer ; er war dem starken Achilles ernstlich böse, daß er um eines schöngelockten Mädchens willen den Krieg gegen die mauerumgürtete Stadt Troja vernachlässigte und konnte nicht begreifen, wie ein Mann von diesem sonderbaren Gefühl, der Liebe zum Weibe, so gänzlich in Beschlag genommen werden könne.
Das sollte ihm nun klar gemacht werden, denn gerade während des tiefsten Brütens wurde er unerwartet aufgeschreckt, der Laden des einen Fensters, das auf die Straße ging, fuhr krachend auf, von kräftiger Hand erfaßt, und sofort schossen tausend neckische und vorwizige Sonnenstrahlen durch die Fenster scheiben. Sie stürzten sich auf die vermoderten Bücher und auf den vermodernden Mann im vermoderten Schlafrock und schreckten ihn auf. Zugleich aber wirbelten millionen und abermillionen Sonnenstäubchen durch das Gemach, der geisterhafte Schimmer der Lampe verblich vor dem hellen Sonnenschein und das ganze Gelaß sah ungefähr so aus, wie jene alte Kammer in Dorn röschens Schloß, in welcher die Alte mit der gefährlichen Spindel hauste.
Und Dornröschen war auch schon da. Denn als der Herr Doktor seine von der plözlichen Helle geblendeten Augen zu recht gerieben, die Brille gerade geschoben und mit wehenden Schlafrockschößen an das Fenster segelnd dasselbe weit aufgerissen hatte, um dem Störenfried, der seine bestäubte Herrlichkeit angetastet, eine derbe Lektion zu erteilen- da prallte er betroffen zurück und hielt sich die Hand über die vom plözlich einfallenden Sonnenlichte noch immer verstörten Augen.
-
War es die schöngelockte Briseïs, die den starken Achilles mit ihrem Liebreiz besiegt oder war es das goldgelockte und blauäugige Dornröschen, was da vor seinem Fenster stand? Sollte er sie griechisch oder altdeutsch oder mittelhochdeutsch anreden?
Kein Wunder, daß ihm die Scheltworte auf der Zunge erstarben. Denn der Störenfried war eine höchst liebreizende Erscheinung in Gestalt eines schmucken Dienstmädchens, einer hübschen„ Köksch", wie man sie in den großen und kleinen Seestädten des Nordens so häufig sieht. Ein rundes Gesichtchen mit regelmäßigen Zügen, rosigen Wangen, kleinem Mund, blauen Augen und weichem blonden Haar, das zum Teil verdeckt wurde durch jene weiße Krause, die auf dem Scheitel ruht und die man als„ Müze" bezeichnet. Ein helles Kattunkleid umschloß die schlanke Gestalt und ließ die schneeweißen Strümpfe, der Toilettenstolz der Dienstmädchen jener Gegenden sehen; die zierlichen Füße steckten in niedrigen Schuhen. Die rosigen Arme zeigten sich ganz frei und die im Verhältnis zu dem Ganzen etwas stark entwickelten und gebräunten Hände bewiesen, daß die Schöne bei aller Hausarbeit tüchtig zuzugreifen gewohnt war.
So stand sie da, vom Sonnenlicht wie von einem goldenen Schleier umsponnen. Doktor Ambrosius starrte sie noch immer an und vor dieser Erscheinung begannen die liebreizendsten Göttinnen Griechenlands wie im Morgennebel sich aufzulösen.
Andererseits war der hübsche Störenfried nicht wenig be troffen über die Folgen seiner Tat, als die sonderbare Erscheinung ans Fenster fuhr. Aber das Mädchen faßte sich rasch und mit einem Anflug von schelmischem Lächeln sprach sie zu dem aufgescheuchten Höhlenbewohner:
,, Entschuldigen Sie gütigst, Herr Doftor, ich bin erst heute hier in Dienst getreten und wußte nicht, daß ich Sie stören würde!"
" Hm!" meinte Doktor Ambrosius, seinen Blick so fest auf die blauen Augensterne richtend, daß sie die Wimpern über dieselben senkte und ein leichtes Erröten über die weißen Schläfe huschte.
" Ich dachte nur," fuhr sie, ohne aufzublicken, fort,„ daß es gut wäre, wenn ich ein wenig von der schönen Frühlingsluft in Ihre Zimmer einließe."
„ Hm!"
Wieder begegneten sich ihre Blicke; diesmal aber sah der Doktor zu Boden.„ Darf ich künftig die Zimmer etwas lüften?" frug sie wieder lächelnd.
" Hm! Meinetwegen!"
„ Das ist hübsch!" sagte sie fröhlich und huschte nach einem leichten Knig über den Kiesweg des Gartens in das Haus hinein. Doktor Ambrosius aber sah der schlanken Gestalt mit großen Augen nach und blieb noch lange sinnend am Fenster stehen. Heute wurde der Laden nicht wieder geschlossen und auch die Studien im Homer wurden nicht fortgesezt. Der gute Doktor fand plözlich, daß seine Lampe einen höchst unerträg lichen und ungesunden Geruch verbreite. Er löschte sie hastig aus. Und es geschah noch etwa Unerhörtes; Doktor Ambrosius ging zu nicht geringem Erstaunen seiner Wirtsleute im Garten spazieren.
Ob er hoffte, mit der rosigen Küchenfee nochmals zusammen zutreffen? Vielleicht. Allein die Sonne geht nur einmal an einem Tage auf und die Schöne erschien nicht wieder.
Als sie indessen am anderen Morgen das Frühstück brachte, fand sie den Gelehrten schon auf und auch das Fenster war wieder geöffnet, so daß die würzige Morgenluft aus dem Garten hereinströmen konnte. Der Herr Doktor erwiderte ihren guten Morgen und sah ihr gespannt zu, wie sie den Kaffee niederfezte, allein er sagte weiter nichts!
Es verfloß Tag für Tag und zuweilen traf sie beim Vorübergehen im Garten den Doktor am Fenster stehend, in dessen Gewohnheiten sie die heilsame Reform bewirkt hatte, daß er nunmehr beim hellen Sonnenlichte arbeitete und nicht mehr dem Tage den Lampenschein vorzog. Aber der Doktor arbeitete auch nicht gerade viel mehr, denn das muntere Geplander des