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Die positiven Religionen entstammen der subtropischen Zone| erste biblische Referent( es sind nämlich zwei verschiedene Reund beruhen auf der Entstehung und dem Bestande der Welt. Daher ist das erste Dogma im Juden- und Christentum der Glaube an die Weltschöpfung aus Nichts durch das Schöpferwort eines persönlichen Wesens. Das zweite Dogma ist der Offenbarungsglaube als persönliche Herablassung des Himmelsherrn auf das Urgebirge Sinai, um seinem auserwählten Volke die zehn Vertragspunkte( Bundesworte) in höchsteigenen Worten zu übergeben. Das dritte Dogma ist der Messiasglaube, die Erlösung der Welt von allen irdischen oder zeitlichen Uebeln durch die Herbeiführung des Himmelreiches auf Erden, bestehend in der Wiederbelebung der Toten und Ausgleichung von Lohn und Strafe zur Herstellung der göttlichen Gerechtig feit. Im ersten und lezten Dogma weicht das Christentum vom Judentum ab durch die Einschiebung des Gottessohnes als Demiurg oder Mitschöpfer und Miterlöser. In der Offenbarungslehre jedoch stimmen beide im wesentlichen mit einander überein. Ja, der Christ legt den zehn Geboten eine noch größere Bedentung bei wie der ortodoxe Israelite, indem solch hohe Wertschäzung der Bundesworte zur Annahme verleiten könnte, als hätte er außer diesen weiter keine Pflichten zu erfüllen. Viel mehr sei die Zahl derselben( nach Maimonides Auffassung) nicht 10, sondern 613, nämlich 365 Ge- und 248 Verbote, so daß ein jeder Tag im Jahre und jedes Glied an seinem Körper den also Gläubigen an seinen Gott und seine Geseze
erinnere.
Indessen ist der sinaitische Offenbarungsglaube nach den Lehrbüchern der mosaischen Religion, welche zumeist von jüdischen Geistlichen unserer Zeit abgefaßt sind, so zu sagen, das Herz des jüdischen Nationalglaubens; denn von hier ging die Lehre Ihwhs( Jehovas ) aus und die Ueberzeugung von seinem Dasein, indem er, wenn auch nicht sicht-, so doch hörbar einem ganzen Volke alldort sich geoffenbaret hat, während das Christentum seinen Ausgangs- und Mittelpunkt im Gottessohn hat; denn in ihm hat sich das unsichtbare Wesen Gottes durch Verkörperung oder Menschwerdung" in Jesu sichtbarlich geoffenbaret. Jedoch anerkennt der gläubige Christ den sinaitischen Ihwh in derselben Weise wie der gläubige Jude; hier befinden sich beide gemeinsam auf dem neutralen Boden. Deshalb verdient er auch nach meinem Dafürhalten die ernsteste Würdigung, und kann dieses nicht besser geschehen, als dadurch, daß wir den biblischen Offenbarungsbericht selbst zur Hand nehmen, um zu sehen, ob dasjenige, was die Bibelgläubigen unter dem Vorantritt ihrer Teologen, darin zu finden glauben oder vorgeben, in Wirklich keit darin enthalten ist. Wir wollen gar nicht einmal inbetracht ziehen, daß auch andere Völker des Altertums, außer den Ifraeliten, ihre heiligen Offenbarungsberge hatten, wie die Inder ihren Himalaja und Meru, oder die Griechen ihren Olymp, oder daß wie Mose seine Befehle von Ihwh empfing, so Merkur und Hermes von Amosis, Minos , Rhadamantus und Lyakon von Jupiter, Triptolemus von Ceres, Pythagoras und Baleukus von Minerva, Lykurg vom Drakel zu Delphi, Numa von Casus und Aegeriä, die Druiden von Odin und Thor , Mreko- Krpak von der Sonne, Zoroaster und Ramolxis von der Vesta, die egyptischen Priester von Osiris und Isis und ebenso Mohamed unmittelbar von seinem Allah und mittelbar vom Erzengel Gabriel ; denn überall hatten die ältesten Stifter der positiven Religionen ein geheimes höchstes Wesen, von welchem sie beauftragt waren, ihrem Volke diejenigen Mitteilungen zu machen, welche diese göttlichen Diener zu ihrer Beit für dasselbe als notwendig erachteten. Dieses alles wollen wir nicht in Parallele ziehen, sondern nur nachweisen, daß das jenige, was die Verfasser unserer Religionsbücher zum Schulund Hausgebrauch aus der sinaitischen Offenbarung gemacht haben, etwas ganz anderes ist, als das, was wenigstens der
Das erste Dekalog- Dokument ist meines Erachtens das im 2. Buch Mose ( Exodus) Kap. 19 und 34( nicht K. 20) enthalten. Den zweiten Dekalog finden wir im 5. Buch Mose Kap. 5, welcher von dem ersteren in Kap. 20 in wesentlichen Punften abweicht, was allein schon stuzig machen muß, da beide wortwörtlich mit einander übereinstimmen müßten, wenn es die zehn Gebote" sein sollen, die anfänglich von Gott selbst, dann von Mose niedergeschrieben wurden. So findet man im ersten Dekalog( K. 20, V. 8-12) als Grund der Sabbatfeier die Ruhe des Weltschöpfers nach sechstägiger Arbeit angeführt, während im zweiten Dekalog( S. 5, 2. 12-16) dafür ein nationales Motiv untergeschoben wird, nämlich die Befreiung aus der egyptischen Sklaverei, wozu doch schon das Passahfest eingesezt war. Dieses beweist, wie schon Goethe in einer biblischen Abhandlung( Bd. 17 seiner Schriften*) deutlich dargelegt, daß feiner dieser beiden Dekaloge auf den Bundestafeln stand, da ohnehin solche allgemein menschliche Grundsäze( denn der Saturntag, englisch saturday= Samstag war auch bei den übrigen Völkern Vorderasiens geheiligt) nicht geeignet waren zu Bundessazungen als spezielle Vertragspunkte zwischen einem Nationalgotte und seinem Volk; denn das sagt schon dem Menschen sein Verstand und das von demselben geleitete Gewissen, daß man seinen Herrn und Wohltäter ehre und dankbar und erkenntlich sein solle, daß man seine Eltern achte und liebe, daß man nicht stehlen oder morden solle 2c. Andrerseits sind diese Geseze, wie C. Radenhausen in seiner Isis"( Bd. 3) treffend erörtert und worauf wir auch noch ausführlicher zurückkommen werden, nicht umfassend, klar und verständlich genug, um sie den Menschen aller Zeiten anzupassen, umfassen auch nicht alle menschlichen Verhältnisse, so daß sie nicht als Grundlagen unserer vorgeschrittenen Gesezgebung dienen können. Der Verfasser des zweiten Dekalogs hat uns bis auf Goethes Entdeckung auf falsche Fährte geführt; denn das, was wir als die zehn Gebote aus dem ersten angenommen, war nur dasjenige, was Gott selbst vom Berge herab gesprochen, soweit das Volk imstande war, die gewaltige Posaunenstimme Ihwhs zu ertragen. Dieser erscheint geradezu als Zeus mit dem Donnerkeil in der Hand. Seine Sprache ist die der Natur, bestehend in Bliz und Donner, was das scheue Volt so erschreckt, daß es schließlich die Flucht ergreift und Mosen bittet, das schreckliche Schauspiel, von dem selbst der Sinai bebte, einzustellen. Auch wir würden uns bedanken, unter freiem Himmel, im Sturm unter Bliz und Donner eine lange Rede mitanzuhören; denn außer den sogenannten zehn Geboten sollten ja die Israeliten am Berge noch vieles andere zu hören bekommen alles, was Mose während seines 40tägigen Aufenthaltes auf dem Sinai gelehrt worden war, da alle dort erhaltenen göttlichen Aufträge nicht weniger als 15 Kapitel im Exodus ausfüllen, nämlich von Kap. 20-35. Nun bedenke man, daß jene Menschen die Entstehung des Donners und Blizes als natürliche Wirkungen natürlicher Ursachen noch nicht kannten, daher ihre aufgeregte Phantasie selbige für grimmige, strafende Schickungen eines furchtbaren Wesens hielt, das in ihrer Einbildung mensch liche oder tierische Gestalt annahm( verehrten sie doch die Stiergestalt des Apis in dem goldenen Kalbe), und es wird uns nicht befremden, daß sie unter der furchtbaren Erscheinung am Sinai die Stimme dieses eingebildeten Gottes zu hören glaubten. Der biblische Referent im Exodus hat uns auch den Offenbarungsakt gegen den Schluß des 19. Kapitels in einer Weise dargestellt, daß wir von der übernatürlichen Mystik, wie sie der
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*) Zwo wichtige, bisher unerörterte bibl. Fragen von einem Landgeistlichen in Schwaben. M. den 6. Febr. 1773.