Anlagen, die im Innern des Menschenwesens schlummern, ent­fesselt und kultivirt werden. Die Bändigung oder Zähmung ist für das Tier, das der höheren geistigen Fähigkeiten ermangelt, aber der Mensch kann und soll nur durch Entwicklung der in ihm liegenden und zur Entfaltung drängenden Vernunftanlagen zum wahren Menschen herangebildet werden, wie diese natürliche Entwicklung sie fordert, zu einem logisch denkenden und danach sein Handeln regelnden Vernunft- und Gefühls menschen.

Das 6. Gebot: Du sollst nicht ehebrechen, ist in der mosai­schen Auffassung, wie es von Anfang her gegolten, nach unseren einehelichen Begriffen eine Unsittlichkeit; denn im Morgen lande herrschte und herrscht noch immer die Vielweiberei. So nahm Mose selbst außer seiner Frau Gipprah noch eine Mohrin, und als seine Geschwister dawider redeten, strafte Ihwh seine Schwester Mirjam mit dem Aussaze. So hatten auch die israeliti­ schen Richter und Könige eine erkleckliche Anzahl von Frauen in ihren Harems, und es wird ihnen solches nicht als Ehebruch angerechnet. Daß David noch dazu das Weib des Uria entführte, wird ihm nicht als Bruch seiner eigenen Ehe, sondern der Ehe des Uria angerechnet; nur diesem gegenüber war der fromme König, der Mann nach dem Herzen Gottes", ein Ehe­brecher, seine Frauen waren nicht berechtigt, dagegen etwas ein­zuwenden.

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Das 7. Gebot: Du sollst nicht stehlen, gehörte von jeher zu den Erfordernissen eines jeden Verbandes, der den Einzel­besiz anerkannte; denn nur durch gegenseitige Sicherung konnte das Eigentum bestehen. Im Widerspruch mit diesem mosaischen Verbote steht aber die Verordnung im 2. Mos. 3, 24, worin die rechtswidrige Entwendung direkt von Ihwh anbefohlen wird, welche spizfindige Einwendungen man dagegen auch ins Treffen führen möge. Der mosaische Gott ist eben ein aus den niedri­gen Leidenschaften der damaligen Menschen zusammengeseztes Wesen.

Das 8. Gebot: Du sollst fein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten, ist gleichfalls notwendig, um die Rechtsermitt­lung nicht zu hindern und die Rechtssicherheit aller Genossen sicher zu stellen, liegt also schon in den Erfordernissen der mensch lichen Verbände begründet, welche solches von selbst bedingen, ebenso die Wahrung des guten Rufes als schäzbares Bejiztum: vor Verleumdung.

Das 9. Gebot: Laß dich nicht gelüften nach deines Nächsten Weib und sonstigem Besiztum, verbietet nicht nur die Tat, sondern auch den Wunsch als Verstärkung des 6. Gebots, sowie überhaupt Neid und Habsucht, da dieselben, wenn nicht zeitig unterdrückt, zu Handlungen führen, welche dem Zusammenleben im Verbande schaden. Dieses Gebot ist daher auch von all­gemeiner und bleibender Geltung.

Das 10. Gebot kann ich nicht finden; denn ich kann weder der christlichen, noch der jüdischen Einteilung folgen, um die vorschriftsmäßige Zahl 10 herauszubringen. Ich vermag weder aus dem christlichen ersten Gebote zwei jüdische, noch aus dem jüdischen lezten Gebote zwei christliche zu machen, wie lezteres eigentlich der Verfasser des 5. Buch Mose beachsichtigt hat, sondern muß ein- für allemal gestehen, daß es eben keine 10 Gebote sind, sondern im höchsten Falle 9 Stück.

Noch mehr aber muß es uns wundern, wenn schließlich eine gründliche Bibelkritik uns zu dem Schlusse drängt, daß in der Bundeslade, wo die steinernen Tafeln mit den 10 Geboten gestanden haben sollen, etwas ganz anderes sich befunden haben müsse, ja daß die Geseztafeln gar nicht existirten, somit lediglich als das Produkt nacherilischer Autoren anzu­sehen seien. Wir sehen sie zwar heute über dem Allerheiligsten ( Tabernakel) in allen Synagogen angebracht, aber vordem hatte man sich gescheut, eine solche Bundeslade mit den Tafeln bei der Gründung des zweiten Tempels wieder anzubringen, sowie man mit den übrigen heiligen Gerätschaften sich wiederum ver­sah!? Das allein schon ist ein bedeutendes Zeugnis, daß die heilige Lade in den Augen der nacherilischen Reformatoren ein Gegenstand der Abgötterei gewesen sein muß. Ueberhaupt

schweigen alle Propheten über das, was in der heiligen Lade war, und die einzige Stelle im 1. Buch der Könige, Kapitel 8, Vers 9, gibt mehr zu Argwohn Anlaß, als daß sie diesen zer­streute; denn darin wird versichert, daß in der Lade weiter nichts als die Tafeln sich befanden. Qui s'excuse, s'accuse! Uebrigens wird nach 2. Mos. 16, 30 befohlen, auch eine Flasche mit Manna und nach 4. Mos. 17, 10 auch den grünenden Stab Ahrons daselbst aufzubewahren. Da aber die Lade 21/2 Ellen lang und 1/2 Elle breit gewesen, so war dieses Maß gewiß viel zu umfassend zur Unterbringung steinerner Gesezes­tafeln. Es spricht dieser Umstand vielmehr dafür, daß sie zum Behältnis für eine menschenähnliche Gestalt gedient habe. Steinerne Tafeln von solcher Länge und Breite hätte Moses ohnehin nicht zu tragen vermocht. Die Lade hatte die Form eines Sarges, was schon in der Bedeutung des hebräischen Wortes aron liegt. Eine ansehnliche Breite war schon not­wendig, da das Ihwhbild, um auf dem Trone zu ruhen, in sizender Gestalt gebildet sein mußte. So lange die Jfraeliten als Nomaden, wie in der Wüste auf den Reisezügen, die Kiste einhertrugen, befand sich das Gottesbild jedenfalls in derselben, sobald man sich aber niederließ, mag man es wohl heraus­genommen und auf die Lade gesezt haben, um es dem Volke zu zeigen. Darum lesen wir im Propheten Amos 5, 26, daß die Israeliten in der Wüste die Kapelle des Moloch", die sie sich gefertigt, mit herumgetragen haben. Und daß Ihwh als goldenes Bild auf dem Trone in der Bundeslade im Salo­monischen Tempel gesessen habe müsse, geht nur zu deutlich aus allen diesbezüglichen Stellen hervor; denn so sehr auch die nach­erilischen Reformatoren diese Stellen zu verwischen suchten, so sind doch die Ausdrücke und Redeweisen noch vorhanden, die uns solches verraten. So verwahrt sich der Deuteronomiker ( der Verfasser des 5. Buch Mosis) Kapitel 4, Vers 12 aus­drücklich dagegen, als hätten die Israeliten am Sinai die Ge­stalt Ihwhs gesehen in den Worten:" Ihwh redete mit euch aus dem Feuer, eine Stimme in Worten habt ihr gehört, aber eine Gestalt habt ihr nicht gesehen nur eine Stimme." Ebenso machte man jezt dem Volke glauben, wie viele Stellen erweisen, daß derjenige, der Ihwh sehen würde, augenblicklich des Todes sei des Todes sei alles notwendig, dem tiefeingewurzelten Bil­derdienste in Juda und Israel nach dem Erile zu steuern. Schon der Umstand, daß auf der Lade ein Tron angebracht war, und überall gesagt wird, daß Ihwh darauf gesessen, umgeben von geflügelten Engeln( Cherubim), bestätigt die An­nahme, daß die Israeliten bis zum Erile reine Heiden waren. Ohnehin kann ja ein Geist weder ein Haus zur Wohnung, noch einen Siz, noch einen Fußschemel verlangen. Uebrigens finden wir solche heilige Laden bei allen Völkern des Altertums, bei Egyptern, Trojanern, Griechen, Deutschen, Etruskern und Rö­mern, und es wurden darin verschiedene Heiligtümer aufbewahrt, nämlich außer dem wundertätigen Gottesbilde noch hei­lige Gebeine und allerlei Raritäten, welche zu mystischen Gebräuchen dienten. Es ließen sich Beweise beibringen, daß auch von den lezteren Gegenständen in der heiligen Bundesláde gelegen haben, allein es hat diese Abhandlung schon längst die Grenzen des Rahmen überschritten, den ihr die Neue Welt" gewähren kann. Nur das sei noch erwähnt, daß auch der Vers 16 im 3. Kapitel des Propheten Jeremiä unsere Ansicht von dem heidnischen Inhalte der Lade zu bestätigen scheint; denn es heißt daselbst von der Zeit der aus dem babylonischen Exile heimgekehrten Juden: Daß man alsdann nicht mehr von der Bundeslade Ihwhs sprechen, ja nicht einmal mehr daran denken werde, daß man sich ihrer nicht mehr erinnere und sie überhaupt nicht wieder herstellen wolle." Sie muß also bei den Vorgeschritteneren im Judentum in gar keinem guten Andenken gestanden sein, was man späterhin dadurch zu ver wischen suchte, daß man dem ursprünglich gegossenen Gözen bilde steinerne Geseztafeln unterschob, und woraus deutlich hervorgeht, daß der Offenbarungsbericht in Exodus schon nacherilischen Ursprungs ist, dem später der deuterono mische nachfolgte.

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