Nach monatelangem, geduldigen Tragen dieser Sklaverei nahte endlich die Stunde der Befreiung! Dickens ' Vater geriet mit dem Besizer des Schuhwichsegeschäftes, Mr. Lamert, in Streit und lezterer jagte den Knaben davon. Eigentümlich berührt es uns, daß Dickens ' Mutter sich eifrigst bemühte, eine Versöhnung zwischen beiden zu bewerkstelligen und auch verlangte, der junge Charles solle wieder in das Schuhwichsegeschäft zurückkehren.
Doch dies blieb ihm erspart. Was er in jener bittern Schule gelernt hatte: rastlose Energie, feste Entschlossenheit auf der einen, Geduld, Ausdauer und Ergebung auf der andern Seite, dies half ihm in spätern Jahren über vieles hinweg, und wir müssen die Selbsterkenntnis bewundern, mit welcher er dies zugesteht!
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Von nun an gestaltete sich seine Jugend etwas freundlicher; in erster Linie wurde seine Sehnsucht nach Unterricht befriedigt. Er wurde in eine Schule geschickt, welche unter dem stolzen Namen: Wellington House Academie" bekannt war und von einem Mr. Jones geleitet wurde. Nach den Schilderungen, welche Dickens selbst, sowie auch einige andere Mitschüler uns davon machten, war dieses Institut weder besser noch schlimmer, als die damaligen Lehranstalten im allgemeinen. Wir finden auch hierüber Erinnerungen in„ David Copperfield". Dickens blieb zwei Jahre dort, besuchte dann noch kurze Zeit eine andere Schule und nahm dann eine Schreiberstelle bei einem Advokaten, namens Malloy, an. Wie bald und weshalb er diese seine erste Stellung wieder aufgab, ist nicht bekannt geworden. Sein Vater verschaffte ihm eine ähnliche Beschäftigung bei Mr. Edward Blackmore, Rechtsanwalt in Greys Inn.
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Mr. Blackmore schildet uns den jungen Dickens als„ einen aufgeweckten, flugen, jungen Mann"; nichtsdestoweniger gehörte er zu den untersten Schreibern und erhielt wöchentlich nur dreizehn Shilling Gehalt. Auch unter den Advokatenschreibern gab es damals gewisse Rangordnungen, welche Dickens später in den Pickwiciern" schilderte. Daß diese Beschäftigung auf die Dauer einem strebsamen Geiste nicht genügen konnte, ist begreiflich. Dickens ging öfters in den Gerichtshof des Lordfanzlers, um Notizen über Prozesse zu machen; endlich aber entschloß er sich, denjenigen Beruf zu ergreifen, welchen sein eigener Vater, bei welchem er bis jezt wohnte, noch in reiferem Alter erwählt hatte, nämlich den eines parlamentarischen Berichterstatters für Zeitungen.
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Wie er denn alles Halbe, alles Scheinwesen verabscheute und das, was er ergriff, mit voller Seele erfaßte, so warf er sich jezt mit Feuereifer auf das Studium der Stenographie und besuchte auch fleißig die Lesezimmer des Britischen Muſeums. Dickens ' Vater hatte wohl Recht, als er, da ihn einst ein Freund fragte:" Wo hat Ihr Sohn seine Erziehung erhalten?" zur Antwort gab:" Mein Sohn hat sich selbst er
zogen!"
Das Studium der Stenographie ist selbst für sehr begabte Köpfe ungemein schwierig, und wie viele Mühe es Dickens machte, davon können wir Einiges gleichfalls in„ David Copper field" nachlesen. Einer der berühmtesten englischen Stenographen erklärte einst, daß vollkommene Herrschaft über das Gebiet des stenographischen Schreibens und Lesens an Schwierigkeit der Bemeisterung von sechs Sprachen gleichkomme!
Zwei Jahre lang arbeitete Dickens als Berichterstatter für ein Bureau, che nur eine Stelle als parlamentarischer Berichterstatter frei wurde. Doch seine Geduld und Ausdauer hatte ja schon vieles überwunden!
Zuerst arbeitete Dickens für eine Zeitung, welche unter dem Titel:„ True Sun" erschien. Wir erfahren hierüber, daß sämmt liche Berichterstatter derselben eines Tages Strife machten und daß Dickens der„ Sprecher" war, welcher die Rechte seiner Kollegen siegreich" vertrat. Später widmete er seine Dienste nur kurze Zeit dem Blatte: Mirror of Parliament",- endlich, in seinem dreiundzwanzigsten Jahre, wurde sein lang gehegter Wunsch erfüllt und er wurde Berichterstatter für die damals bedeutende Zeitung„ Morning Chronicle".
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Um diese Zeit machte er in aller Stille den ersten schriftſtellerischen Versuch. In dem Dezemberheft des„ Old monthly Magazine" von 1833 erschien eine Stizze unter dem Titel: „ Mr. Minns und sein Vetter." Ihr folgten noch andere, die lezte im Februarheft 1835 und diese trug zuerst die Namensunterschrift: Boz.
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Und wie war dieses Pseudonym entstanden? Boz war der Spizname von Dickens' jüngstem Bruder August, welchen Dickens ( nach dem Lesen des„ Vicar of Wakefield) Moses ge= nannt hatte. Die Brüder sprachen das Wort Moses aus Scherz durch die Nase; so entstand Boses und zulezt die Abbreviatur Boz. In heiterem Jugendübermut wurde dieser Name erfunden; die Brüder ahnten nicht, wie berühmt er dereinst werden sollte.
Das Blatt„ Monthly Magazine" machte keine glänzenden Geschäfte. Der Redakteur desselben, Mr. Holland, hatte die " Stizzen von Boz" zwar gedruckt und veröffentlicht, war aber nicht imstande, dem Verfasser ein Honorar dafür zu bieten. Dickens mußte sich also nach einem anderen Verleger umsehen und bald bot sich eine günstige Gelegenheit, denn der Redakteur des„ Morning Chronicle", Mr. John Black,( für welche Zeitung Dickens Berichterstatter war) beschloß, als Ergänzung dieses Blattes einen„ Evening Chronicle" zu gründen, und ein Verwandter und Mitarbeiter desselben, George Hogarth , bat Dickens , für die erste Nummer dieses Blattes eine neue Stizze zu schreiben. Dickens nahm diese Offerte mit Freuden an. Man sicherte ihm ein anständiges Honorar zu und seine Aufsäze wurden das ganze Jahr hindurch mit wachsendem Erfolge gebracht. Die Liebenswürdigkeit und Anerkennung des Redakteurs Black war die erste reine Freude, welche dem jungen Schriftsteller auf seiner literarischen Laufbahn zuteil wurde und er hat dies stets dankbar anerkannt; noch furz vor seinem Tode sagte er:„ Der liebe alte Black war der erste, der mich von ganzem Herzen würdigte!"
Im Anfang des Jahres 1836 erschienen die„ Skizzen von Boz" in zwei Bänden gesammelt und erregten durch ihre wahrheitsgetreuen und hochpoetischen Schilderungen großes Aufsehen. Im März desselben Jahres folgten die„ Nachgelassenen Papiere des Pickwickklubs", mit Illustrationen von der Meisterhand Seymours; leider starb dieser liebenswürdige Künstler bald, und sein Nachfolger- als Schöpfer der originellen Illustrationen wurde der geniale Hablot Browne , später der berühmte Cruikshank..
Die„ Pickwickier" mit ihrem töstlichen Humor gefielen damals so sehr, daß Dickens selbst über deren Erfolg erstaunt war; er erhielt zahllose Briefe voll Anerkennung und überschwenglichem Lobe und es erging ihm wie Lord Byron , welcher von sich selbst schrieb:„ Ich wachte eines Morgens auf und fand, daß ich ein berühmter Mann geworden war."
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Der unparteiische Kritiker findet bei ruhiger Ueberlegung, daß die Pickwickier" viele Uebertreibungen enthalten, die Darstellung ist oft manierirt, es ist eben eine Jugendarbeit, aber doch die Jugendarbeit eines Genics! Auch darf nicht unberücksichtigt bleiben, was für die damalige Zeit am besten paßte. Dickens ist nicht volkstümlich, er reflektirt nicht, sondern zeichnet scharf, aber nur nach der Natur; er predigt nie Moral, in seinen Werken sind es die Tatsachen, welche moralisch wirken, nicht aber die Reflexionen. Seine Satyre richtet sich nur gegen das Gemeine, er geißelt nur die Hartherzigen, Geizigen, Selbstsüchtigen und Grausamen. Da er schon in frühester Jugend mit den niedrigsten Klassen der Gesellschaft bekannt geworden war, so hat er sich nicht abschrecken lassen durch den Anblick des Lasters, des allgemeinen Elends, der Schuld; er hat aber den Geist des Guten und Edlen auch in lasterhaften Menschen gesucht und durch die Macht seines Genies sich bestrebt, das Gemeine umzuwandeln! Seine Gestalten sind durchweg wahr, sie stehen vor uns mit allen ihren Fehlern und Gebrechen, mit allen ihren Tugenden und ihrem Edelmut! Seine verschiedenen Romane hatten deshalb so ungeheueren Erfolg, weil sie im besten und edelsten Sinne des
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