Jahre 1840 zwei Bachanten in lateinischer Rede um ein Weggeld oder Viatifum angesprochen haben.
Auch anderwärts hat sich die Sekte der fahrenden Schüler erhalten bis in die neueste Zeit und es ist bekannt, daß von Salamanca aus Studenten bettelnd ganz Spanien durchziehen; haben doch solche Bettelstudenten unter dem Namen der Estu diantina auch vor ein paar Jahren in Paris und in mehreren größeren deutschen Städten ihre vielberufenen Konzerte gegeben. Aber wenden wir uns jezt zu unseren drei Selbstbiogra phien, von denen oben die Rede gewesen, und die uns im Auszug ein lebendiges Bild der fahrenden Schüler der Zeit kurz vor und während der Reformation entrollen werden.
Burkartus Zinggius( 1396) ist der Verfasser der ersten furzen Selbstbiographie eines fahrenden Schülers. Da keinerlei Tatsachen vorkommen, welche nicht in den beiden längeren auch, und noch dazu ausführlicher berichtet wurden, nehmen wir von einer genaueren Inhaltsangabe Abstand, und bemerken nur, daß Zingg in Memmingen in Krain geboren ward und nach längeren Schülerfahrten Weber und Kürschner ward, später Kauf mannsreisen unternahm.
Folgt sogleich die zweite unserer Quellen, die Biographie Butzbachs.
Johannes Butzbach , geboren 1678 zu Miltenberg , Konrad Bußbach's, eines Webers Sohn, ward bei seiner reichen kinderlosen Tante aufgezogen in Lieb und Strenge und kehrte erst nach deren Tod ins Vaterhaus zurück, wo ihm nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte und er zuweilen träge war und hinter die Schule lief, am liebsten kahnfahrender Weise. Einstmals von seiner Mutter zur Bestrafung in die Schule gebracht, ward er nach deren Weggang von dem rohen Unterlehrer an eine Säule gebunden, ausgezogen und unter Beihilfe der Mitschüler barbarisch gemißhandelt, so daß auf sein jämmerliches Geschrei die Mutter zurückkehrte. Auf deren Anklage wurde der rohe Patron von Lehrer abgesezt und an die passen dere Stelle eines miltenbergischen Stadtbüttels versezt. Da an eine Rückkehr in die heimatliche Schule nun nicht mehr zu denken war, der Vater aber aus seinem Hans doch einen Geist lichen machen wollte, ward er einem Nachbarssohn, der fahrender Schüler und eben daheim zu Besuch war, mit etlichem Gelde übergeben, um auf Gottesgelahrtheit zu reisen. Diese gelehrte Fahrt hat Bußbach in seinem noch ungedruckten, auf der Universitätsbibliotek zu Bonn befindlichen Reisetagebuch ergözlich und in feinem Latein geschildert.*)
" Bor zehn Jahren und ohne den Doktortitel fehr ich nicht heim!" so lauteten seine Abschiedsworte, als er aus Milten berg mit seinem Beanus auszog und ihm der Himmel voller Geigen hing in Erwartung des freien Wander- und Studienlebens. Der guten Mutter Hansens dagegen war nicht wohl zu Mute und ihre Tränen machten dem lezteren Herz und Beine schwer, so daß nach ihrem Abschied der ältere Schüzer des jungen Fahrenden diesen anfangs liebreich mahnend, dann furz und grob scheltend vor sich her trieb.
Nach einem Marsch von zwei Meilen ward zum erstenmale eingekehrt. Daselbst beschickte sein Pfleger lustige Freunde und arme Verwandte und bestellte für das anvertraute Geld Buzz bachs ein prächtiges Gastmahl, Hans aber wurde in die Hell" hinter dem Ofen geschickt und als die Wirtin sich für ihn verwendete, hungrig ins Bett gejagt, da ihm Schlaf nötiger sei als Speis und Trank. Ueber Bischofsheim, Winsheim und Langezen gings nach Nürnberg , dem festgesezten Ziel der gelehrten Reise. Vor dem Einzug schmierte ihm sein Führer das Geficht mit Straßenfot ein und sprach zu ihm:„ Nun gehst du hinter mir her und unterstehst dich nicht dich umzusehen oder mit offenem Maule die hohen Häuser anzugaffen; wenn ich in den Straßen auf dich warten muß, gibts im Wirtshaus jämmerliche Hiebe!" In der Stadt stürzten die Schüler aus den
*) Mir liegt leider nur, der allerdings treffliche Auszug von Otto Jahn vor; die Beder'iche Uebersezung, Regensburg 1869, war mir auf
zutreiben nicht möglich.
579
Häusern hinter dem jungen ABCschüzen her, riefen ihm Spottreden nach, machten ihm Eselsohren mit den Händen und trieben den Neulingen gegenüber üblichen Unfug.
In Nürnberg ward aber nicht geblieben: von dort aus, fürchtete der Beanus, könnte leicht Kunde nach Miltenberg kommen über die Art, wie er seine Pflegerschaft auffaßte. Mit dem Vorgeben, daß in den Kursen zu Nürnberg kein Plaz offen sei, führte der Beanus seinen Schüzen über Forchheim nach Bamberg , wo der Rektor wirklich niemanden mehr aufnehmen wollte und konnte, und nach kurzem Aufenthalt im Armenhospital daselbst gings wieder nach Nürnberg zurück. Aber auch jezt fiel es dem Bachanten gar nicht ein zu bleiben. So lange Meister Konrads Geld reichte, gings halbwegs; als dies aber alle war, da begann die wahre Leidenszeit unseres Hans: jezt. mußte er der Schüzenpflicht des Bettelns obliegen. Schlechte Wege, bissige Hunde, wütende Bauern, die bestohlen zu werden pflegten, wenn es an Unterhalt fehlte, bereiteten ihm viel Leides. Die Frauen waren jedoch meist' barmherzig gegen unsren armen Schüzen, aber wenn er sich einfallen ließ, etwas von den ge= botenen Lebensmitteln zu genießen, so verriet ihn das alte Bachantenmittel der gezwungenen Mundausspielung mit warmem Wasser, welche Fett- und Fleischbestandteile verriet: und dann sezte es unerbittliche Prügel.
Weiter wanderten die Studenten über Kulmbach und Hof nach Böhmen . In Kaaden sagte der niedrige Standpunkt des Wissens dem Beanus zu, da sogar er, von dem Bußbach nie ein lateinisch Wort gehört hatte, als ein gewaltiges Licht gelten konnte. Mit zwei anderen alten Studenten und ihren Schüzen wohnten unsere Wandrer zusammen, die Schüzen schliefen auf der Bank beim Ofen. Als eines Nachts unser Hans von der Bank herabfiel und nächst dem Kopf auch den Ofen beschädigte, sezte es wiederum die landesüblichen Prügel. Bei der großen Konkurrenz im Betteln sollte Hans für seinen Herrn das Fehlende durch Stehlen beschaffen, weil er aber dazu nicht gebracht werden konnte, ward ihm empfindlich zu Gemüte geführt, daß der Pfad der Tugend namentlich für fahrende Schüler gar schwer zu wandeln ist.
Im Frühling gings nach Kommotau, von wo jedoch die Best die jungen Gelehrten nach Wachtau trieb. Hier unter hussitischen Kezern lernte Butzbach den Uebermut damaliger Edelinge aus eigener Anschauung kennen, wobei er die Sentenz einfließen läßt, daß manche Edelleute nur um so härter und grausamer werden, je mehr man sie bittet, eine Notiz, die stark an das schöne Wort Bürgers erinnert:
Biel Klagen hör' ich oft erheben Vom Hochmut, den der Große übt; Der Großen Hochmut wird sich geben, Wenn unsre Kriecherei sich gibt.
Auch mit der schwarzen Kunst, der Nigromantie, machte Bußbach hier Bekanntschaft: leider hatte der Beanus den Mut nicht, das Abenteuer einer Schazhebung zu bestehen und Bußbach mußte jezt sich doch entschließen, Hühner und Gänse zu stehlen, wozu ihm sein Lehrmeister die geeignetsten Lehren an die Hand geben konnte. An das Latein lernen kam es leider wieder nicht, vorerst galt es, sich das Bömische zu eigen zu machen.
Wiederum von einer Seuche in die Flucht geschlagen, zogen Buzbach und sein Bachant nach Karlsbad , wo sie die Bäder brauchten. brauchten. In Eger bekamen sie Stellung als Hauslehrer in reichen Familien, doch ließ die Mißgunst seines Meisters nicht zu, daß der junge Fuchs es so gut habe, er verdingte ihn an ein paar andere Bachanten, die keine so günstige Stellung hatten und ihn nun doch wieder auf den Bettel schickten. Ein Versuch, sich diesem Dienst zu entziehen, trug neue Schläge ein, selbst der Schuz, welchen Hansens Prinzipal, der Vater seines jungen Schülers, ihm angedeihen ließ, frommte da nichts. Jezt verließ Hans Eger und seinen Bachanten auf immer; nie wäre was aus ihm geworden; dessen beiden Genossen, eben die, an welche Hans verdingt war, wurden später wegen Diebstahls gehängt.