haftmachung der städtischen Bürger nicht mehr bezweckten. Man trieb die Sache aus Tradition, aus Vergnügen, aus Gewohn heit weiter, und auf unserem Bilde hat der Künstler den gemütlich- harmlosen Karakter dieser Vereinigungen vortrefflich darzustellen gewußt.
Ganz ausnahmsweise nur, unter eigentümlichen Verhält nissen, haben die Schüzenvereine und Gilden noch ihre Waffe zu politisch- kriegerischen Zwecken verwendet. So haben im Jahre 1848, bei dem Aufstand am 18. März in Berlin , die Bürgerschüzen sich an dem Straßenkampf beteiligt und bekanntlich bei dieser Gelegenheit den General von Möllendorf gefangen genommen.
Die Schüzenvereine schienen noch einmal einen politischen Karakter annehmen zu wollen in den Jahren der deutschen Einheitsbewegung, zur Zeit, als der deutsche Nationalverein seine Agitation in Schwung gebracht hatte. Man hatte einen großen, über Deutschland sich erstreckenden Schüzenbund gebildet, der alljährlich seine Bundesschießen abhielt und noch abhält, auf welchen um Preise geschossen wird, während an den Orten, wo noch die Ueberreste der alten Schüzengilden bestehen, man immer noch wie früher einen eisernen oder hölzernen Vogel, der auf einer Stange aufgerichtet ist, herabschießt und den besten Schüzen zum Schüzenkönig ernennt. Die politische Rolle des Die politische Rolle des modernen Schüzenbrüdertums war keine sonderlich vorteilhafte und fiel bald vielfältigem Spotte anheim. Es wurde zwar unendlich viel Pulver verknallt, unzählige Löcher in die Scheiben geschossen und sehr viel Bier und Wein konsumirt, aber die Einheit kam darum nicht näher. Es war gerade wie mit den Sänger und Turnerfesten; die Sänger sangen sehr viel und bekamen dadurch viel Durst; die Turner, mit deren politischer Mission es auch sehr viel rascher zu Ende gekommen war, quälten sich an Reck und Barren ab und bekamen nicht minder Durst; brausende Reden voll schöner Phrasen wurden gehalten, aber das blieb alles ohne eigentliche politische Wirkung.
Wir müssen gestehen, daß die lokalen Feierlichkeiten, die
-
586
sich bei den Schüzengilden der einzelnen Orte als Tradition aus dem Mittelalter noch erhalten haben, uns weit besser gefallen und auch weit berechtigter erscheinen, als die offiziellen Schüzenfeste, und mögen die lezteren auch noch so großartig sein und mit noch so großem Geräusch gefeiert werden. Man frägt unwillkürlich: Wozu der ganze Lärm? In den Festen der Schüzengilden aber stellt sich uns ein Stück frischen und unmittelbaren Volkslebens dar, das vielleicht um so frischer und natürlicher ist, weil die Großbürger in ihrem Kastenstolz die ganze Feier dem Kleinbürger überlassen haben; hier ehrt man die wackeren Vorfahren mit ihren demokratischen Tugenden dadurch, daß man an einzelnen ihrer Bräuche festhält und sie dadurch im Gedächtnis auffrischt.
Das mag an vielen Orten anders sein, aber im Ganzen ist es doch so.
Bei alledem sind auch wir nicht gesonnen, auf die Ueberbleibsel des Lebens und Treibens der alten Schüzengilden einen besonderen Wert zu legen. Das Spießbürgertum, das sich bei diesen Gelegenheiten breit macht, erschöpft damit häufig seine ganze Beteiligung am öffentlichen Leben und verfällt im übrigen einer trostlosen Verflachung und Abstumpfung. Und doch treten heute so ernste Aufgaben an den Einzelnen heran in dieser alles umgestaltenden Zeit, die wie keine andere darauf hindrängt, daß der Einzelne sich so viel wie möglich an den Angelegenheiten, die das Interesse an der Gesammtheit betreffen, beteilige, wenn er nicht seine Pflichten gegen sich selbst und gegen die, Seinen vernachlässigen will! Keinem sei die Freude des Festes mißgönnt, die man sich ohnehin durch angestrengte Arbeit ermöglichen muß; aber man vergesse darüber die ernsten Aufgaben des Lebens nicht und verliere nicht das große Ganze aus den Augen.
Est modus in rebus Maßhalten soll man in allen Dingen, und so auch in dem Kultus der Bräuche, die man zu Ehren der. Altvordern noch aufrecht erhalten hat.
Um Wahrheit.
Novelle von Reinhard Kern.
( Fortsezung.)
Heinrich von Köstlin war erst seit wenigen Wochen in seine verharrten in diesem Glauben. Heinrich aber, der zur Zeit, Vaterstadt zurückgekehrt, nach langer Abwesenheit. Sein Vater war ein Kaufmann bürgerlicher Herkunft gewesen, dem das unverdiente Glück der Spekulation zu seinem eigenen eben nicht ganz unbedeutenden Vermögen in einer Zeit toller Courssteigerungen beträchtlichen Reichtum in den Schoß geworfen hatte.
-
-
Von diesem Augenblicke strahlte dem Köstlin'schen Hause ohne Unterlaß die Sonne günstigen Geschicks bis der Vater starb. Dieser galt als Millionär, er machte ein sehr großes Haus und opferte erhebliche Summen für Kunst und Wissen schaft, für gemeinnüzige und wohltätige Zwecke und erntete und erntete überall Anerkennung und Auszeichnung. Jedes Jahr empfing er ein paar Orden, ein benachbarter Staat ernannte ihn zu seinem Konsul und kurz darauf zu seinem Generalkonsul, schließlich erhob ihn der Herrscher desselben in den erblichen Adelsstand, der einflußreiche Generalkonsul wurde nun ein Mittelpunkt der guten Gesellschaft, und er wäre es noch lange geblieben, wenn er nicht schon sechs Jahre nach der Epoche seiner glücklichen Börsenspekulationen, von denen er sich seit jener Zeit sorglich ferngehalten, plözlich und ganz unerwartet gestorben
wäre.
-
Ein Herzschlag habe seinem Leben ein Ende gemacht, behauptete der Hausarzt offiziell, und die Familie sprach es ihm nach. der eine Sohn und die zwei Töchter, welche den Vater überlebten; die Mutter war schon ein Duzend Jahre vorher hinübergegangen. Die beiden Töchter, von denen die eine mehrere Jahre älter war als Heinrich, während die andere ungefähr um eben soviel weniger zählte, glaubten es auch und
als der Vater starb, bereits sein zweiundzwanzigstes Lebensjahr zurückgelegt hatte, hegte vom Augenblicke der Todesnachricht an schmerzliche Zweifel. Seit längerm schon war ihm der Vater mehr und mehr verändert erschienen. An die Stelle der behaglichen Heiterkeit, welche ihn sonst ausgezeichnet hatte, war allgemach eine forçirte Lustigkeit getreten, die auf Heinrich oft einen unheimlichen Eindruck machte. Und diese seltsame Lustig feit wechselte immer öfter und plözlicher mit einer meist ganz unmotivirt. erscheinenden Wortfargheit und Düſterheit der Stimmung, die ihn für Stunden und Tage vollkommen unzugänglich werden ließ.
Die Töchter und die Freunde des Hauses meinten, die Last der vermehrten Geschäfte bedrückte zuweilen den gewissenhaften Kaufmann, der Sohn aber glaubte zu erkennen, daß der Vater sich immer weniger um Geschäfte fümmere, sie gehen lasse, wie sie eben gingen, und ihm war bereits bei Lebzeiten des Vaters wiederholt der Verdacht aufgestiegen, daß es mit dessen Reichtum vielleicht doch schon nicht mehr so glänzend bestellt sein möchte, als allgemein angenommen wurde und der Vater auch angenommen wissen wollte.
Und dies bestätigte sich denn auch nach dem Tode des Vaters wenigstens teilweise. Millionär war der Generalkonsul Karl von Köstlin sicherlich nur eine sehr kurze Spanne Zeit gewesen; vielleicht war er es überhaupt nur in der stets übertreibenden Einbildung der Leute und in seinem eigenen, infolge seines Börsenglücks riesenhaft emporwuchernden Größenwahn geworden.
-
Daß er Hunderttausende gewonnen hatte, wußte man genau, aber schon darüber, ob es hunderttausende Mark oder Taler