er möge sich sofort mit seinem älteren Bruder und einem hofmeisterlichen Begleiter zur endlichen Wiederherstellung seines physischen und moralischen Gleichgewichts auf eine Reise nach Tirol begeben.
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Da die Vorbereitungen zur Reise ungemein eilig betrieben wurden und Leo von Reizenberg begreiflicherweise keine Lust hatte, irgend jemandem zu beichten, mit welchem Eifer und Erfolge die Austreibung seines Katers betrieben worden war, so kam er nicht einmal dazu, seinem Freunde Heinrich Köstlin auch nur brieflich die Nachricht von seiner Reise zugehen zu lassen. Indessen tat er das sechs Tage später von Junsbruck aus, sehr furz und ziemlich fühl, er amüsirte sich gottvoll und wie ein echter Kavalier, indem er seinem Bruder, der bereits Gardelieutenant war, alles getreulich nachmachte bis auf die Augenblicksliaisons mit hübschen und gefälligen Komödiantinnen, die sich überall finden, wo die sogenannte vornehme Welt zu reisen pflegt. Dabei verkehrte er nur, soweit er Mitgliedern des starken Geschlechts begegne, mit Standesgenossen. Und das waren daß ihm alles so famose Leute wirklich famos auf Ehre! daß ihm der gute Heinrich Köstlin bald selbst recht sehr plebejisch vorkam. Auf dringende Bitten seiner Söhne erlaubte Sr. Erlaucht den jungen Herren, ihre göttliche Reise über die Hundsferien des Gymnasiums hinaus zu verlängern; und als Leo von Reizen berg vier Wochen später als die andern Schüler wieder in der Sekunda erschien, brachte er ein kleines Schnurrbärtchen mit, in das er ungeheuer viel ungarisches Bartwachs geschmiert hatte, und eine ungeheure Vornehmheit, die ihm kaum noch erlaubte, mit seinen Mitschülern zu sprechen. Heinrich Köstlin begrüßte er zwar ziemlich leutselig, erinnerte sich auch flüchtig des Besuchs in der, Dorffneipe und fand die Geschichte auf Ehre fabelhaft. Von Freundschaft sprach er aber kein Wort mehr, und bald ignorirte er seinen ewigen Freund Heinrich gradeso wie alle übrigen von den nichtadligen Mitbürgern.
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Ein Jahr darauf ergoß sich das Füllhorn der glücklichen Spekulation über das Köstlin'sche Haus. Noch zwei Jahr weiter und der Millionär Köstlin war Generalkonsul und adlig. Nun drückten ihm die Kommerzienräte als aufrichtige Freunde herzlich die Hand und die Großindustriellen zogen achtungsvoll den Hut vor ihm.
Die adligen Rittergutsbesizer und die Offiziere bewiesen sich fast noch liebenswürdiger. Sie luden die Familie Köstlin nicht nur zu ihren Fêten und besuchten auch die Feste im Köstlinschen Hause, sondern wenn sie Meliorationen auf ihren Gütern vorzunehmen hatten oder sonst ein paar tausend Tälerchen brauchten, so pumpten sie so favaliermäßig als möglich bei dem auf Ehre! prächtigen Menschen, dem alten, guten Köstlin.
Selbst die hochadligen Majoratsherren gingen den von Köstlins nicht mehr aus dem Wege.
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Es ist den freisinnigen Auschauungen unserer hochentwickel ten Neuzeit, denen ich stets meine Beachtung geschenkt habe, nur angemessen," sagte Sr. Erlaucht der Graf von Reizenberg, „ daß man strebsame und tüchtige Leute aus dem Mittelstande, die bewiesen haben, daß ein edlerer Kern in ihnen steckt, zu sich erhebt Hän, häm."
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Auch Graf Leo von Reizenberg, er war inzwischen Portepeefähnrich geworden, klopfte Heinrich von Köstlin, wenn er ihn jezt traf, zuweilen auf die Schulter und näselte mancherlei über die Jugendeseleien, die sie miteinander auf der Schule durch gemacht hätten.
Der ältere Bruder Leos, Kuno von Reizenberg, Premierlieutenant bei den Gardehusaren, näherte sich der Familie von Köstlin, als er sich wieder einmal bei seinem Vater auf Urlaub aufhielt, noch mehr. Ihm stach die blendende Schönheit der ältesten Schwester Heinrichs in die begehrlichen Lieutenantsaugen, und deshalb nahm er sich vor, das damals schon achtundzwanzigjährige Mädchen im Fluge zu erobern.
Das gelang ihm nun freilich nicht. Magda Köstlin schien der Liebe nicht zugänglich. Sie hatte außer dem hochgräflichen Offizier noch fast alle andern jungen Männer der„ guten Gesellschaft" in der Stadt und ihrer mehrmeiligen Umgebung zu
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Anbetern,-die meisten allerdings erst, seit der Vater für aber feiner konnte sich der kleinsten einen Millionär galt, Gunstbezeugung rühmen. Auch die ernstesten Bewerbungen wies sie ruhig und möglichst wenig verlezend, aber doch sehr entschieden zurück. So war sie allen ein Rätsel.
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Nur ihrem Bruder Heinrich war sie fein Rätsel. Er wußte, daß es ihr so gegangen war mit der Liebe, wie ihm mit der Freundschaft. Als vierzehnjähriger Knabe hatte er wahrgenom men, wie sich die Schwester einem bildhübschen Rittergutsbesizerssohne aus der Nachbarschaft in heißer Liebe zuneigte. Schon hatte sich das Mädchen als Braut des Geliebten besein Vater trachtet; da war er eines Tages verschwunden, hatte ihm eine Stelle bei einer Expedition nach Japan ver schafft, nachdem er ihm gesagt, daß er ihn lieber cnterben, als sein Ehebündnis mit der Krämertochter dulden würde.- Da war die Liebe im Herzen der armen Magda langsam und schmerzvoll erstorben, um nie wieder aufzuleben; auch nicht, als unter duzenden von Bewerbern der Erbgraf von Reizenberg erschien und Sturm lief auf ihr Herz.
Als der Generalfonsul tot war und sich das Gerücht verbreitete, er hätte kaum den zehnten Teil einer Markmillion hinterlassen und habe sich wahrscheinlich wer weiß weshalb selbstgemordet, da verließen alle die vornehmen Ratten wieder das sinkende Lebensschiff der Köstlins.
Nur wenige Verwandte und Freunde, die selbst weder reich noch vornehm waren, blieben der Familie getreu. Und zu einer alten braven Tante zogen sich die beiden Mädchen zurück.
Heinrich Köstlin aber hängte voll Bitterkeit und Menschenverachtung eines Tages sein Studium an die Wand und ging hinaus in die weite Welt.
Was er beginnen solle, war ihm anfangs nicht klar, nur entfliehen wollte er seiner Umgebung und dem unheimlichen, niederdrückenden Gefühl, welches ihn in der Heimat mehr und mehr überkam und sich zuweilen bis zur Weltverachtung und Weltverzweiflung steigern wollte.
Volle zwei Jahre irrte er ruhe und ziellos in der Welt umher. Von Frankreich war er nach England, von England nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika gekommen, und hier war er von Ost nach West, von Nord nach Süd gezogen, den Eingebungen des Augenblicks folgend, Abenteuer und Gefahren und vor allem einen Lebenszweck suchend, dessentwillen zu leben ihm der Mühe des Lebens wert hätte scheinen können.
Er hatte auch hin und wieder gearbeitet. In England war er mit einem deutschen Zeitungskorrespondenten zusammengetroffen, der alle Hände voll zu tun hatte und sich von einem wohl= unterrichteten und stilgewandten jungen Manne, wie Köstlin, gern unterſtüzen ließ. In New York hatte er gleichfalls als Publizist Tätigkeit gesucht, aber nicht gefunden. Da war er auf den Einfall gekommen, die geistige Arbeit ganz fahren zu lassen und als Omnibus- oder Pferdebahnkondukteur sein Glück zu erproben. Aber auf dem Trittbrett des Pferdebahnwagens hatte ihn ebenso rasch ein Efel vor solcher Beschäftigung erfaßt, wie als Gehilfe des leichtlebigen und nichts weniger als gewissenhaften Journalisten in London .
Drum zog er weiter, versuchte noch allerlei, fand aber nirgend ein Genüge und nirgend auch nur eine materiell einigermaßen hinreichend lohnende Arbeit. Nach den zwei Jahren der also beschaffenen Kreuz- und Duerzüge war ein Drittel seines Vermögens zugesezt, was sollte er weiter tun, um diese nicht allgemach ganz zu verzehren und sich der ganzen Brutalität des Kampfes um die nackte Existenz, wie ihn überall in der Welt millionen und abermillionen kämpfen müssen, auszusezen?
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Nach langem Ueberlegen gedich in ihm der Entschluß zur Reife, zur Wissenschaft zurückzukehren. Grade in Nordamerika , wo alle Kräfte auf der Jagd nach dem Dollar konsumirt zu werden scheinen und die materielle Arbeit sich breit macht, als wäre sie das höchste Ziel des Menschenlebens und nicht nur ein Mittel es zu fristen, war ihm der Erwerb nur um des Geldes willen und die mechanische Arbeit um der Arbeit willen mehr verleidet worden, als irgendwo sonst wohl geschehen wäre.