Dickens eheliches Leben schloß mit einer grellen Dissonanz; nach zweiundzwanzigjähriger Ehe trennten sich die Gatten, denn es war beiden unmöglich geworden, länger miteinander zu leben. Dickens schrieb hierüber an seinen Freund Forster:„ Was meine häuslichen Verhältnisse betrifft, so gibt es keine Hilfe mehr dafür, Katharine und ich sind nicht für einander geschaffen; nicht blos, daß sie mich mißmutig und unglücklich macht, auch sie wird es durch mich und in noch vermehrtem Maßstabe. Nichts kann das Gleichgewicht wieder herstellen, es ist für mich nicht mehr eine Sache des Willens, oder des Versuchs, oder der Geduld, noch des guten Humors oder des zum Besten oder zum Schlechten Wendens, es ist alles hoffnungslos vorbei; gib dich keiner trügerischen Hoffnung für mich in dieser Hinsicht hin, ein trauriges Mißgeschick muß ertragen werden, und das ist das Ende!"
Die Gründe, welche diese Trennung veranlaßten, wurden vielfach mißdeutet, wie dies bei solchen Gelegenheiten meistens der Fall ist. Viele suchten dieselben in Dickens ' Freundschaftsverhältnis zu seiner zweiten Schwägerin Georgine, welche Jahre lang in seiner Familie gelebt hatte und allerdings seine Freundin und Vertraute war, zurückzuführen, allein wer hätte den Mut, hierüber ein liebloses Urteil zu fällen? Georgine Hogarth war die langjährige Pflegerin von Dickens ' Kindern, sie hatte sich aus Liebe zu diesen nicht verheiratet, ihr Ruf war stets der beste, und selbst als sie, nach der Scheidung, bei Dickens blieb und dessen Haushalt verwaltete, wagte die Verläumdung nicht, ihr nahe zu treten, und Dickens Kinder liebten und ver ehrten sie wie ihre zweite Mutter.
Zu derselben Zeit, als Dickens sich von seiner Gattin trennte, verkaufte er sein Haus in London und bezog ein Landhaus in Gadshill, welches er durch verschiedene Bauten sehr verschönerte; sein Freund Forster schenkte ihm daselbst noch ein reizendes Schweizerhäuschen, worin sich sein Arbeitszimmer befand, und Dickens wählte von da an Gadshill- Place zu seinem dauernden Wohnsiz.
Auf Wunsch und Bitten seiner Freunde begann er damals seine Werke in öffentlichen Vorlesungen vorzutragen und zu er läutern, und diese aufregende Tätigkeit untergrub seine Gesundheit mehr und mehr.
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Mit der Vollendung von ,, David Copperfield" hatte er den höchsten Punkt schriftstellerischer Vollendung erreicht; alle seine späteren Werke, wie:„ Harte Zeiten"," Die Geschichte zweier Städte" ,,, Niedergejagt" ,,, Der ungeschäftliche Reisende" ,,, Große Erwartungen ", Unser gemeinschaftlicher Freund", sowie sein lezter unvollendeter Roman: Das Geheimnis Edwin Drood's ", fanden weder in England, noch im Auslande den entusiastischen Beifall, welcher David Copperfield" mit Recht zuteil geworden war. Die Vorlesungen, welche Dickens über seine Werke hielt, griffen ihn mehr an, als er sich selbst zugestand; allein der Erfolg derselben war ein in jeder Hinsicht so großartiger, so blendender, daß wir verstehen, warum Dickens den von allen Seiten auf ihn einstürmenden Einladungen und Aufforderungen nicht widerstehen konnte. Seine. Reisen durch England, Schottland , Irland und Amerifa waren wahre Triumphzüge, er wurde überall mit der größten Zuneigung und Verehrung empfangen; man feierte ihn wie einen Halbgott, und der Zudrang zu seinen Vorlesungen war ein solcher, daß stets schon Tage vorher kein Billet mehr zu be Der Beifall war ein enthusiastischer und die Begeisterung beinahe manchmal übertrieben; in Dublin rissen sich nach Schluß der Vorlesung die Damen um Blätter eines fleinen Heftes, welches Dickens zufällig in der Hand gehabt hatte. Ich hörte von ihm im Januar 1859 die Vorlesung über den Tod des kleinen Paul Dombey und das Weihnachts lied, und ich muß gestehen, daß der Eindruck, welchen ich das mals empfing, alle meine Erwartungen übertraf. Es ist ganz unmöglich, Dickens ' Vortrag zu beschreiben, man muß die wunden tiefen derbaren Modulationen seiner Stimme gehört,
kommen war.
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Blick seines geistvollen Auges gesehen,-die Beweglichkeit seiner leidenden Gesichtszüge beobachtet haben;- die lezten Worte des sterbenden Kindes waren nur noch ein Hauch, dann folgte ein Moment der Stille, und nachher Schluchzen und Weinen der Zuhörer.
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lautes
Es ist begreiflich, daß solche lange fortgesezte, aufregende, geistige Tätigkeit der Gesundheit Schaden bringen mußte. Der pekuniäre Erfolg war ein ganz kolossaler, aber die immerwährende Aufregung, die Unruhe des Reisens und der öftere Klimawechsel schadeten Dickens mehr, als er ahnte; auch verstand er durchaus nicht, mit seiner Kraft hauszuhalten, obgleich er seine Uebermüdung zugestand.
Das Jahr 1863 brachte ihm schmerzliche Erschütterungen durch den Tod seines Freundes Thakeray, des berühmten Novellisten; in demselben Jahr verlor er auch seine Mutter, und seinen zweiten Sohn, was ihn tief ergriff.
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Während seines lezten Besuches in Amerika war er in Boston so krank und die Abspannung seiner Nerven so groß, daß ein ihm zu Ehren veranstaltetes Bankett abbestellt werden mußte; nur sein eiserner Wille half ihm. den einmal festge= stellten Reiseplan durchzuführen. Aus Baltimore schrieb er seiner Tochter:„ Ich fühle mich oft gedrückt, schlafe selten gut, mitunter empfinde ich eine nervöse Furcht, daß ich einmal vollständig zusammenbrechen könnte." Aus New- Bedford schreibt er: ,, Meine Kraft ist beinahe erschöpft".
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Als er nach England zurückkehrte, war er um ungefähr aber sein linker Fuß war 20,000 Pfund Sterling reicher, gelähmt, seine Sehkraft geschwächt, seine Nerven furchtbar angegriffen, er sah aus, wie ein alter Mann. Dies war im Jahre 1868; 1869 hielt er die lezten öffentlichen Vorlesungen; noch zu Anfang des Jahres 1870 arbeitete er fleißig an seinem lezten, unvollendeten Romane: Die Geheimnisse von Edwin Romane: ,, Die Drood ". Im Frühling desselben Jahres litt er sehr an Schwindel und Nervenerregung, sowie an Lähmung im linken Arm und Fuße, er vermied deshalb alles Reisen und blieb ruhig in seinem Landhause Gadshill- Place, wo ihn am 9. Juni 1870 ein Schlaganfall traf; nach furzer Bewußtlosigkeit verschied er sanft.
Nicht nur England, die halbe Welt trauerte um ihn. Das, was er für die Menschheit geleistet, ist von unvergänglichem Werte.
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Niemand hat dieser Wahrheit wärmeren Ausdruck gegeben, als Dr. Jowitt in seiner Traueirede, welche in der WestminsterAbtei gleich nach Dickens dortiger Beisezung stattfand. Dickens war der Freund der Menschheit, ein Philantrop im wahren Sinne des Wortes, der Freund der Armen, der Feind jeder Gemeinheit und Unterdrückung. Ich kann kaum versuchen, ein Bild von ihm zu zeichnen. Männer von Genie sind anders als alltägliche Naturen. Sie haben größere Freuden und größere Schmerzen, größere Leidenschaften und größere Versuchungen, und können von ihren Mitmenschen nie ganz verstanden werden. Aber wir fühlen, daß ein Licht erloschen ist, daß die Welt dunkler für uns wird, wenn sie scheiden; es sind ihrer so wenige, daß wir es faum ertragen fönnen, einen nach dem an dern zu verlieren, und umsonst blicken wir uns um nach denen, die ihre Stelle auszufüllen vermöchten. Dickens beschäftigte die Gedanken des Volkes mehr, als irgend ein anderer Schriftsteller; sein Einfluß war deshalb ein mächtigerer, als der vieler Lehrer und Prediger. Wir laſen ihn, wir redeten mit ihm, wir lachten und weinten mit ihm, wir wurden durch ihn zum Bewußtsein fremden Elendes und zur tätigen Teilnahme an der Linderung desselben angeregt. Seine Romane waren die Lehrer unserer Zeit, ihm gebührt unsere tiefste Dankbarkeit für alles, was er uns gelehrt hat. Von Thakeray hat man gesagt, daß sein Tod die Heiterkeit der Völker verdunkelt habe,
von dem Dahingeschiedenen möchte ich in bescheidener Ausdrucksweise sagen, daß niemand mehr geliebt, mehr betrauert wurde, als unser Charles Dickens .