paradiesischen Tals mit seiner üppigen Fruchtbarkeit schlängelt sich wie ein glänzendes Silberband der Hauptfluß des Schwaben­landes, der weinbergbespülende Neckar . Kein Wunder, daß schon die alten Römer eine bedeutende Niederlassung in der Gegend gegründet hatten, was durch neuere Ausgrabungen hin­länglich bestätigt wird. Ein aufgefundener, den Straßengöttern geweihter Altar, wie auch mehrere Straßennamen weisen des­gleichen darauf hin, daß schon zur Römerzeit eine beträchtliche Anzahl von Straßenzügen von Cannstatt ausgingen, wie denn noch heutzutage die Stadt der Mittelpunkt aller Hauptstraßen des Landes ist. Nach der Ansicht mancher Forscher soll auch der Name der Stadt davon abzuleiten sein: Can altdeutsch Weg, also Cannstadt : Weg- oder Straßenstadt.

Auch mit Rücksicht auf diesen Umstand eignete sich die Stadt vorzüglich zur Abhaltung des schwäbischen Landesvolksfestes, des weit über die Gauen Schwabens hinaus berühmten Cannstatter Volksfestes". Der Gründer dieses Festes war König Wilhelm, von dessen 48jähriger Regierungsperiode die Schwaben sprechen wie die Römer von ihrem augustëischen Zeitalter, und nicht ganz mit Unrecht. König Wilhelm, hatte ein warmes Herz für das Volk; er und der Großherzog von Weimar waren die ein zigen deutschen Fürsten , welche nach den sogenannten Befreiungs­fämpfen ihrem Volk die verheißene Verfassung zu gewähren bereit waren, und er erklärte den Tag, an welchem er die Ver­fassung unterzeichnete, als den schönsten seines Lebens. Zahl reiche treffliche Einrichtungen und Anstalten verdanken ihm ihre Entstehung, besonders aber ließ er sich die Hebung und För derung von Landwirtschaft und Viehzucht angelegen sein, und das alljährlich im Herbst stattfindende landwirtschaftliche Volks­fest hat in erster Linie den Zweck, anspornend auf die Bevöl= kerung des Landes zu wirken, in Ackerbau und Viehzucht das Beste zu leisten. Zu diesem Behufe wird alljährlich eine be­trächtliche Summe Geldes zu Preisen für hervorragende Er­zeugnisse der Landwirtschaft und Viehzucht bestimmt und zu öffentlichem Konkurs schon anfangs Sommers aufgeboten. Nach­dem ein Schaugericht von Sachverständigen Tags zuvor über die zur Preisbewerbung vorgeführten Tiere und Gegenstände sein Urteil abgegeben, erfolgt die Preisverteilung öffentlich am ersten Tage des Volksfestes in Gegenwart des Hofes, der höchsten Behörden, und einer unabsehbaren, aus Nah und Fern herbei­geströmten Menge.

Der Schauplaz für diesen ersten Akt des Volksfestes ist der Cannstatter ,, Wasen". Wie durch Zauberschlag ist auf dieser Ebene über Nacht eine Belt- und Budenstadt aufge­taucht. Lange bevor wir in dieselbe gelangen wird unser Auge von einer hohen Säule gefesselt, die kühn in die Luft springt und sich oben zur breiten Schale entfaltet. Es ist die Frucht­säule. Die goldenen Streifen an Schaft und Sockel sind Kolben von türkischem Korn( Mais), der blaue Grund ist aus wür­zigen Zwetschgen zusammengefügt, und rotbäckige Aepfel und Birnen bieten jene Mischtöne, die sich gürtelartig um Schaft und Base winden. Aber auch die Kartoffel ,,, des Nordens Brodfrucht", mischt ihre graubraune Farbe in das Ganze. Jene Tropfen aber, jene Gewinde, welche die Schale oben krönen und der Säule ein herrliches Kapitäl aufsezen, sind die süßen Kinder der nahen Berge, die edlen Töchter der Rebe. Oben im Kelche aber haben massige Kürbisse und Melonen Plaz ge­funden, deren breite Blätter und frischgrüne Ranken aus dem vollen Kelche überhängen. Die Säule ragt hervor aus einem weiten, tribünenartigen Gerüst, dessen hölzerne Rippen mit grünen Tannenreisern bekleidet sind, an welche sich Gewinde von Blumen, Obst, Aehren und Weintrauben zierlich anschmiegen. Mit goldenen Garben malerisch behängt, trägt die Fläche der Tribüne eine Anzahl festlich geschmückter Zuschauer, ein Musik­forps oben, während unten in ihren Arkaden die zur Preis­bewerbung und Ausstellung eingelaufenen Produkte von Ceres und Pomona zur Schau gestellt sind. Von der Tribüne strecken sich nach Süd und Nord zwei lange Reihen von Gerüsten hin, die, für die schauluſtige Menge beſtimmt, einen weiten Zirkus einschließen. Dem grünen Arkadenbau gegenüber erhebt sich

610

das geschmackvolle Zelt des Hofes, von Vortreppen und Stufen flankirt, an dessen Vorderseite die Bühne angebracht ist für die mit der Preisverteilung beauftragten Personen. Wir lenken unsere Schritte zum Feſtplaz, und je weiter wir vordringen, desto bunter und geräuschvoller gestaltet sich das Leben und Treiben. Mit Mühe, von einem unentwirrbaren Knäuel un­qualifizirbarer Töne umgaukelt, arbeiten wir uns durch die dichte Menge, welche sich gestaut hat zwischen den zahlreichen Menagerien, Jongleurs, Gladiatoren, Kunstreitern mit Herkules­künsten, Panoramen und Dioramen, Schattenspielen und Pup­penteatern, Karoussels, Riesendamen, dressirten Flöhen und Käl­bern mit zwei Köpfen, und anderem Kurzweil, zwischen den fast unzähligen Wirtschaftsbuden mit ihren ,, hundert Millionen Portionen Sauerkraut und Schweinefleisch", nebst obligaten ,, Schwoabespäzlen" und ungeheuren Quantitäten Biers von sehr fragwürdiger Qualität. Endlich gelangen wir ins Innere des Zirkus. Hier wiehern schon die Renner dem kommenden Wett­kampf entgegen. Hier schreitet der Stier, mit Blumenkränzen um die gefährlichen Hörner und den mächtigen Nacken, selbst­bewußt dahin. Dort zeigt eine aalglatte, mächtige Kuh ihre breiten Wampen und ihre ergiebigen Euter, und junge Rinder ergeben sich mit Widerstreben in die Gewalt ihrer Führer. Ein edler Hengst bäumt sich dort und bedeckt knirschend die Zügel und die breite Brust mit Schaum. Dort tänzelt ein Füllen, schlank und leicht wie ein Reh, neben der Stutenmutter einher, welche sich liebreich nach ihm umschaut. Und hinter ihnen schaaren sich die Widder, die Hämmel, die Schweine mit ihren Jungen.

Inzwischen haben sich Tribüne und Schaugerüst dicht an­gefüllt. Die Trompeten schmettern, und tausendstimmiges Hoch dröhnt durch die Luft. Der König ist angelangt und besich­tigt die ausgestellten Erzeugnisse des Feld- und Gartenbaues und des Gewerbefleißes. Dann wird ihm das Konkurrenzvieh vorgeführt, das schönste aus allen Teilen des Landes. Nun geht es an die Verteilung der Preise, bestehend in Geldgeschenken und Denkmünzen. Auch wird für den Transport der nur für lobenswert erkannten Tiere eine Vergütung gezahlt; indessen bietet der mit dem Volksfest verbundene Viehmarkt dem Züchter Gelegenheit, seine schönen Tiere gut zu verkaufen. Hochver­gnügt führt der Besizer sein preisgekröntes Tier von dannen, und dieses selbst scheint nicht ungerührt von der Auszeichnung, die ihm zuteil geworden; sogar das unsaubere Rüsseltier fühlt an dem Kranze, der seinen Kopf schmückt, daß heute sein Ehren­tag ist, der Glanzpunkt seines Erdenwallens, der ihm noch den lezten Augenblick versüßt, wo es unter der Hand des Schläch­ters sein Leben verröchelt, um als Wurst und Schinken zu neuem, appetitlicherem Dasein aufzuerstehen.

Der folgende Tag ist vorzugsweise dem aristokratischen Teil des Festes gewidmet, dem Offizierswettrennen, für das wir uns weniger begeistern können. Es wurde indes gleichfalls zur Förderung der Pferdezucht im Lande eingeführt, besonders auch um für die Zwecke des Heerwesens einen leichten, ausdauernden Schlag flüchtiger Pferde zu erzwecken. Darum sollen nur solche Pferde zugelassen werden, die in Würtemberg gezogen sind.

Der dritte Tag gehört ausschließlich den Volksbelustigungen. Die nahe Hauptstadt ist beinahe entvölkert, denn alles, Alt wie Jung, Männlein und Weiblein, strömt nach Cannstatt , um sich auf dem Wasen zu tummeln und sein Geld los zu werden, ohne ein eigentlich edles Vergnügen sich dafür zu verschaffen. Das ist die Schattenseite unserer Volksfeste im allgemeinen, und des Cannstatter Boltsfestes insbesondere, daß die Freude nicht in ihrer idealen Gestalt sich zeigt, nicht, wie sie der große Schwabe Schiller besingt, als schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium", sondern ziemlich ordinär, roh und geschmacklos. ,, Sie toben, wie vom bösen Geist getrieben, und nennens Freude, nennen es Gesang!" möchte man mit Famulus Wagner aus rufen, wenn man auch den naiven Aeußerungen naturwüchsiger Lust keineswegs abhold ist. Es muß den Freund des Volkes tief betrüben, daß dasselbe an dem tumultuarischen Treiben, das sich hier abspielt, Gefallen findet und niemals ein Ver