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Mistreß Jonston, ganz gebeugt über diese neue Demütigung, Schornstein gewesen sein, der den Rauch des Kaminfeuers in war entrüstet in ihr Hotel zurückgekehrt. das Zimmer getrieben hatte.
Als nach ihrem Fortgange der Justizrat sich allein sah, befand er sich in einem wirklichen Seelenkampfe.
Ihm war zu Muth, als ob er die jahrelange Ruhe nüch terner Beurteilung, die erste Bedingung für einen Juristen, völlig verloren hätte; er fühlte, daß sein Kopf nicht mehr allein das Urteil sprach, sondern auch sein Herz und Gemüt in Mitleidenschaft gezogen waren.
Eines von beiden, Senger oder Mistreß Jonston mußte ein vor dem Gesez Schuldiger sein. Er konnte Senger, den er so lange Jahre achtete und schäzte, nicht eines solchen Verbrechens für fähig halten, und andererseits konnte er sich nicht überreden, daß diese reizende junge Frau die Abenteurerin wäre, wie es leider den Anschein hatte.
Ihm blieb die Sachlage ein Rätsel, das er sich nicht erklären konnte. Aber das Interesse für die junge Frau behielt schließlich die Oberhand, und wenn er an ihre klaren Augen, diesen Spiegel einer unschuldsvollen Seele, dachte, unterlag er immer wieder dem Zauber, den Mistreß Jonston von ihrem ersten Erscheinen an auf ihn ausgeübt hatte.
" Mache ich einen dummen Streich," sagte er bei sich selbst, so mache ich ihn in einer guten Absicht; ich gehe nicht als Jurist zu ihr, sondern als Freund!"
Er hatte diesen Entschluß ausgeführt und war nach Mohrmanns Hotel gegangen, um Mistreß Jonston aufzusuchen.
Hocherfreut sah sie ihn eintreten und empfing ihn auf das Liebenswürdigste. In ihrer hochherzigen Seele war mit seinem Erscheinen jede Erinnerung an seine vorherige Weigerung verschwunden.
" Ich sehe es als ein gutes Omen an, daß Sie mich doch aufsuchen; es beweist mir, daß Sie mir vertrauen!"
Mit diesen Worten hatte sie dem Eintretenden beide Hände entgegen gereicht und ihm einen Sessel hingerückt.
Jezt saßen sie sich gegenüber.
Eine hohe Astrallampe mit matt geschliffener Glocke von Milchglas verbreitete eine sanfte Helligkeit im Zimmer, dessen
behagliche Einrichtung durch das knisternde Feuer im Kamin erhöht wurde.
Amaliens Jugend und Schönheit harmonirte wenig mit dem Ernst, der aus ihren Zügen sprach, als sie den Worten des Justizrats lauschte.
Lezterer hatte ihr seinen Besuch gemacht, mehr um die äußere Form freundlich gegen sie zu wahren, als um ihr seinen Rechtsbeistand noch einmal anzubieten, da seine juristischen Bedenken durchaus dieselben geblieben waren. Er hatte offen und ehrlich zu ihr als Freund gesprochen. Jezt stand er auf. Sie erhob sich ebenfalls. Also kann Sie nichts zurückhalten?" fragte sie.
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„ Ich habe Ihnen alle meine Gründe umständlich genug dargelegt!" antwortete Harder.
,, So bin ich also vorläufig nur auf mich selbst angewiesen!" seufzte die junge Frau.
„ Leider ja!" erwiderte der Justizrat,„ doch rate ich Ihnen wiederholentlich, diesen ungleichen Kampf aufzugeben!"
Sie wollte ihm darauf antworten, als ein plözliches eigentümliches Poltern im Kamin ihre Aufmerksamkeit ablenkte. Beide sahen sich um.
samen Erscheinung zu bemerken war.
Harder war vom Fenster zurückgekommen und reichte der Engländerin jezt zum Abschiede die Hand.
Als Mistreß Jonston sich allein sah, ging sie langsam nad dem Sopha, nahm dort Plaz und stüzte nachdenklich den Kopf in die Hand.
Plözlich fuhr sie erschreckt auf.
Wieder ließ sich das eigentümlich polternde Geräusch im Kamin vernehmen; gerade wie vorher knisterte es scharf in der Glut, als ob brennbare Stoffe in das Kohlenfeuer fielen.
Sie sah prüfend nach dem Kamin, konnte aber den Grund der merkwürdigen Störung in dem Luftzuge nicht entdecken.
Da sich die Erscheinung nicht wiederholte, und der in das Zimmer geschlagene Rauch sich bald verzog, versank sie wieder in ihr früheres Nachdenken!"
Im Speisesaal hatten sich nach und nach eine ganze An zahl Gäste eingefunden.
Die Speisekarten gingen von einer Hand in die andere, die Stühle wurden je nach Zahl und Wunsch der Ankommenden gerückt, der Saal füllte sich und der Einzelne verschwand in dem allgemeinen Trubel.
Da öffnete sich wieder die Glastür, welche vom Korridor hereinführte, und zwei tief verschleierte Damen traten ein. Es waren Leopoldine und die Justizrätin.
Sie blieben in der nächsten Nähe der Eingangstür, ſezten sich dort an einen Tisch, der für den am schlechtest gelegenen galt, da er dem scharfen Luftzuge der Tür ausgesezt war und gewöhnlich stets erst gewählt wurde, wenn sonst kein anderer Plaz mehr im Saale zu finden war.
Der Kellner Georg trat an die Damen heran, um sie auf
die Nachteile des Türplazes aufmerksam zu machen.
Es sezte ihn auch in Verwunderung, daß die Damen sich mit dem Rücken nach dem Saale zu gejezt hatten, was nach machte. Er konnte freilich nicht wissen, daß jene Beiden die seiner Ansicht die eingenommene Stellung noch ungemütlicher Eingangstür des Saales sowie das Hausportal, das von hier aus schräg durch die Glasscheiben zu erblicken war, genau be obachten wollten, um jeden Eintretenden oder Fortgehenden scharf kontrolliren zu können.
" Wollen die Damen nicht lieber in der Mitte des Saales Plaz nehmen?" wagte Georg schüchtern zu bemerken,„ hier
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"
an
" Dieser Ecktisch gefällt uns ganz gut", schnitt ihm die Nätin determinirt seine weitere Rede ab,„ wir wünschen ungenirt zu soupiren!"
" Wie es der gnädigen Frau gefällt!" dienerte der Kellner
sehr devot.
Dabei reichte er der Rätin die Speisekarte.
Diese schlug den Schleier zurück, sezte sich ein Lorgnon auf und bezeichnete dem Kellner einige von den auf der Karte be
zeichneten Gerichten.
Der Kellner verbeugte sich, und verschwand dienſtfertig. Jezt wandte sich die Justizrätin zu Leopoldine , die offenbar so aufgeregt war, daß sie kaum die Tränen zurückhalten fonnte. " Kleinigkeit?" sagte Leopoldine vorwurfsvoll, wenn uns
das Herz zu brechen droht?"
Die Lohe in dem Kamin züngelte hoch und ein leichter dreht es sich um den Magen! Wir werden uns durch folche „ Ach was", rief die Rätin, Herz hin, Herz her! Jezt Rauch drang in das Zimmer, ohne daß die Ursache dieser selt- Don Juanstreiche unserer Männer doch nicht den Appetit ver derben lassen? Gott bewahre! Wenn uns die Untreue unferer Regenwetter wie gestern Abend einzutreten! Leider habe ich keine Frauen mehr, unser ganzes Geschlecht wäre längst verhungert!" Männer stets das Essen verleiden sollte, dann gäbs schon gar
„ Es scheint draußen zu stürmen", sagte der Justizrat,„ und
meinen Schirm nicht bei mir!"
Sie bot ihm den ihrigen an.
Er dankte und meinte, daß er eine Droschke benutzen könne.
Dabei trat er an das Fenster und blickte hinaus.
" Wie können Sie nur scherzen, wenn es sich um solchen
bitteren Ernst handelt!" klagte Frau Senger.
.. Wir haben uns geirrt", hub er wieder an, das Wetter worden, und ich freue mich deshalb doppelt auf den bestellten
ist schön, und der Himmel völlig sternentlar!"
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Es konnte also nicht der durch Wind erzeugte Luftdruck im
„ Ich scherze wahrhaftig nicht!" lachte die Justizrätin,„ meine Magennerven sind durch dies ganze Intermezzo sehr erregt Schinken in Burgunder! Man speist in diesem Hotel aner fannt gut, also benuzen wir die Gelegenheit, da wir hier find!"