Bill war mit seinem Schafspfotenfrühstück unterdes fertig gewor den, ließ sich vom Wirt eine lange Tonpfeife geben, welche hier in jedem Wirtshaus gratis gereicht wird, und blies, nachdem er gestopft hatte, dicke Rauchwolfen vor sich, in denen er, wie es schien, seine Gedanken sammelte; endlich sagte er zu seiner Schwiegermutter:
Weißt du, ich will gleich morgen Bollys Leben versichern; es war gestern ein Agent bei mir und sagte, daß wenn ich zwei Pence pro Woche zahle, bekomme ich achtzehn Pfund Sterling, wenn Polly stirbt; ich denke es ist gut, wenn ich es tue."
,, Ach was," entgegnete Frau Smith ,,, wie kannst du denn nun schon, eben getraut, an Pollys Tod denken."
" Ich denke doch Mutter, Vorsicht ist besser als Nachsicht, ich hoffe, Polly wird deshalb nicht früher sterben als sonst," meinte Bill.
" Ach! das ist wohl so eine Art Begräbnisverein, nicht wahr, Bill?" meinte Frau Clarke.
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Nun so etwas ähnliches, nur sicherer," erklärte Bill.
" Ja, ja," fügte er dann mit Entschlossenheit hinzu,„ ich werde alles daran sezen, um für Polly und mich es so behaglich wie möglich zu machen; ich denke auch nicht immer zu bleiben, was ich jezt bin, mindestens denke ich noch einmal Droschkenkutscher zu werden und mein eigen Pferd und Cab zu haben."
Der arme Junge hatte schöne Hoffnungen.
„ Na, na, Bill," meinten beide alte Frauen gleichzeitig,„ das wird wohl nicht so leicht sein," und die Frau Clarke sezte hinzu, als wollte sie damit Bill abschrecken: Ich habe einen Bruder gehabt, der war auch Droschkenkutscher, er hatte einmal ein Glas zu viel getrunken, fiel vom Bock und war auf der Stelle tot."
,, Das gilt bei mir nicht, ich trinke kein Glas zu viel," sagte Bill mit energischem Kopfschütteln.
„ Schon gut, es soll dir gelingen," begütigte seine Schwiegermutter, und mit einem hellen Lachen fügte sie hinzu:„ Na, Polly, du wirst noch einmal eine ganze Dame werden, sollst mal sehen, dein Bill wird dich Sonntags ausfahren, aufs Land, das wird ein Spaß werden." Während dieser Unterhaltung waren die Gläser wohl schon zum vierten oder fünftenmal gefüllt, und auch ich hatte schon meine zwei Runden bezahlt.
Nachdem noch mit einer sechsten Runde tüchtig auf das Wohl des jungen Ehemanns getrunken war, verabschiedeten sich die beiden alten Frauen, Bolly, Bill und mir noch viel Vergnügen wünschend.
Als sie gingen, schwankten sie etwas. Die sechs Halb- Quartern, die jede von ihnen getrunken hatte, hatten ihren Dienst getan.
Der Bräutigam beschloß, den Rest seines Hochzeitstages in einer der Musikhallen der Nachbarschaft zu verbringen.
Ich war unentschlossen, ob ich mitgehen sollte oder nicht, nach furzem Besinnen entschloß ich mich fürs erstere; ich wollte das Ende dieser Hochzeit sehen.
Wir gingen nicht weit, die Cambridge Hall war unser Ziel. Das Entree, sechs Pence( 50 Pfg.) à Person, bezahlte ich für uns alle drei, und stieg dadurch jedenfalls um ein Bedeutendes in der Achtung des jungen Ehepaars.
Als wir in den Saal traten, hatte die Vorstellung schon begonnen, ein imitirter Neger stand gerade auf den Brettern, die auch ein Stück Welt bedeuten, und trug unter den üblichen Gestikulationen eines jener nichtssagenden, niedrigen Negerkouplets mit einer ziemlich kreischenden Stimme vor.
Von dem Personal und der Direktion dieser londoner Musikhallen darf man nicht viel erwarten; ihr Zweck ist in erster Linie Geld zu machen und nebenher das niedere Volk zu amüsiren, keineswegs zu bilden.
Man sieht und hört dort die niedrigsten Boten, welche leider immer den meisten Anklang finden.
Männer in Frauenkleidern, welche ihren Gesang mit allerlei Burzelbäumen und zweideutigen Bewegungen begleiten, ernten den rauschendsten Beifall, und vor allen Dingen darf in einer solchen Musikhalle der imitirte Neger als englisch - irischer Nationaltänzer nicht fehlen.
Im übrigen sehen fast alle diese Musithallen im Innern gleichartig aus, und wer eine gesehen hat, kennt alle, selbst dasselbe Bühnenpersonal sieht man in einem gewissen Zeitraum in allen, da sie eben von einer Halle zur andern wandern.
Wie ganz London durchaus nicht den Eindruck einer Großstadt macht, ausgenommen das Westend mit seinen Parks und der darin lustwandelnden, reitenden und fahrenden fashionablen Welt, und der City, so kommen auch diese Musikhallen über das Niveau kleinstädtischer Mittelmäßigkeit in Größe und Ausstattung nicht hinaus.
Bei Eintritt der nächsten Pause sahen wir uns bald umringt von einer ganzen Anzahl junger Burschen und Mädchen, alle in ziemlich gleichem Alter wie Bill und Polly, alles Freunde und Bekannte des jungen Ehepaars, und das Beglückwünschen schien kein Ende nehmen zu wollen.
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Bill wurde von seinen Freunden bald fortgezogen zur Bar, das gegenseitige Trattiren" begann, das weibliche Geschlecht konnte da nicht zurückstehen, sie alle mußten doch mit der jungen Frau einen Gin trinken, was Wunder, daß da bald eine sehr heitere Stimmung unter die Gesellschaft kam.
Bill war bald einer der lautesten und lustigsten, man hatte ihm auch so oft zugetrunken, und er konnte doch nicht nein jagen, er trant also immer lustig weiter, und wer mochte es ihm denn sehr verargen,
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wenn er sich auf seinem Hochzeitstag einen kleinen Rausch antrant; cs war ja nicht alle Tage Hochzeit.
Um die Vorstellung fümmerte sich bald niemand mehr; es war unter der kleinen Gesellschaft nachgerade ein ziemlich wildes Durchein ander geworden. Der Ordner fam wiederholt und gebot Ruhe; endlich sezte man die ganze Gesellschaft vor die Tür.
Ich ging langsam hinterher, nachdem ich mich schon geraume Zeit vorher bei Seite gehalten hatte.
Auf der Straße wurde der Lärm fortgesezt, Bill tobte förmlich, und Pollys Versuche, ihn zu beruhigen, waren fruchtlos, er schimpfie sie und wollte sogar einmal nach ihr schlagen. Endlich wurde er von seinen Freunden bewältigt und nach Hause getragen. Er war vollständig
betrunken.
Seine Freunde warfen ihn im vollen Anzug aufs Bett, wo schon nach einigen Minuten ein fräftiges Schnarchen den Schlaf des Be
trunkenen andeutete.
Nachdem die Freunde gegangen, legte sich Polly, die junge Frau, auf den Fußboden und verfiel auch bald in einen sanften Schlaf. Das war das Ende des Hochzeitstages. ( Schluß folgt.)
Unsere Illustrationen.
Der erste Schritt im Leben.( S. 153.) Es gibt ein sentimentales Liedchen, welches also beginnt:
"
Macht man im Leben kaum den ersten Schritt, Bringt man als Kind schon eine Träne mit!"
Das ist wohl etwas zu viel gesagt, denn die sonnige Zeit der Kindheit ist es doch, die uns von des Lebens Schmerzen und Sorgen am wenigsten verspüren läßt. Wenigstens soll es so sein; leider muß da hinzugefügt werden, daß es allerdings viele, sehr viele Kinder gibt, denen auch in der Jugendzeit keine Sonne lacht und die, kaum zum Selbstbewußtsein gekommen, schon Bitterleiten und Not jeglicher Art durchzukosten haben. Schon der Gedanke an verkümmerte freudloſe Kinder muß den Menschenfreund mit tiefer Wehmut erfüllen.
Der kleine Hans, den wir auf dem Bilde sehen, wie er seinen ersten Schritt macht, hat ein leidliches Lebenslos gezogen, oder ist, wie ein nicht ganz neues Sprichwort sagt, in der Wahl seiner Eltern leid lich vorsichtig gewesen. Sein Erzeuger ist ein begüterter Bauer, ein Mann, der's machen kann," und seine Mama hat einige schöne Stüde Ackerland und auch verschiedenes Rindvich als Morgengabe mitgebracht. Wenn der Bauer seinen Stolz hat, so wird er seinen Hans studiren laffen, damit er Advokat wird und den Bauern selber die langen
und
schweren Rechnungen machen kann, die Hansens Vater selbst nur mit
Inurrendem Ingrimm bezahlt.
Allein soweit sind wir heute noch nicht. Die Großmama des fleinen Hans, von mütterlicher Seite, die gefürchtete Schwiegermama, die aber glücklicherweise im nächsten Dorfe auf ihrem Altenteil wohnt, ist gekommen mit ihren zwei noch zu habenden" Töchtern, um nach zusehen, ob der kleine Hans denn immer noch nicht laufen kann. Die Mama ist gerade wieder dabei gewesen, ihrem Erstgeborenen den nötigen Mut beizubringen, damit er den ersten Schritt tue. Aber der Gegen stand der stolzesten Träume seines Vaters scheint keine rechte Rourage zu haben; zögernd hält er sich immer wieder an der Schürze seiner Mama fest. Eine seiner Tanten hat indessen ein Mittel gefunden, seinen Unternehmungsgeist mächtig anzustacheln. Sie hat einen schönen rotbädigen Apfel mitgebracht, den sie ihm von weitem zeigt. Der fleine Streber hat natürlich das heftigste Verlangen nach der lodenden Frucht bekundet und hat erst ein lautes Geschrei angeſtimmt, um mit diesem erprobten Zwangsmittel den Apfel in die Hand zu bekommen. Dies mal aber fruchtete das Geschrei nichts, und so sah er sich denn ge nötigt, das große Wagnis auszuführen und sich auf eigenen Füßen nach der Richtung des Apfels hin zu bewegen. Dicht vor dem ersehnten Ziel aber fällt der kleine Wagehals um und seine Tante fängt ihn eben noch rechtzeitig auf, um ihn vor einem harten Ausschlagen auf dem Boden zu bewahren.„ Wer das Glück hat, führt die Braut heim"
der Apfel wird Hänschen zur Beute.
Der erste Schritt!" Der ernst dreinblidende Bater an dem großen Kachelofen beschäftigt sich wohl mit dem großen Ausblick in die Zukunft, den der bedeutungsvolle erste Schritt seines Söhnleins eröffnet.
Was
mag wohl aus dem munteren Jungen werden? Wird er frisch und gesund aufwachsen, ohne Schaden zu nehmen an Körper und Geist, und wird er, was Eifer, Fleiß und Verständnis betrifft, die Erwar tungen seines Vaters erfüllen? Wird das wechselvolle Schidial, das heute so oft den Begüterten arm macht, ihm seine natürlichen Güter erhalten? Wird kein Krieg ihn unter die Waffen rufen und feine töt
liche Kugel ihn dahinraffen?
Alles das bewegt das Gemüt des ernsten Vaters, aber er ist weder ein abergläubischer noch ein anmaßender Mensch. Nach menschlichem Ermessen sind dem Jungen die Vorbedingungen geboten, ein tüchtiger
Mensch zu werden und der erste Schritt" ist getán!
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A. T.