Eva machte sich los und sprang in die Höhe. Sie war mit einemmale wieder den drängenden Forderungen des Augenblicks zurückgegeben.

Schon sechs, mein Gott, der Georg wird auf mich warten. Er hat die ganze Nacht bei dem Vater gewacht, aber heut ist Montag und er muß ins Bergwerk."

Die beiden Mädchen rafften gemeinsam alles zusammen, sie entstiegen dem Kahn und schritten den Sandweg hinan, der gegen die Lahn führte.

Einige Arbeiter tamen an ihnen vorüber, sie gingen nach dem Schieferbruch.

Die Arbeit war nach dem gestrigen Unglück nicht eingestellt worden; in die Sprünge und Risse waren Steine und Balken gesteckt worden, und man begann nun die Sprengarbeit aufs

neue.

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Die Männer warfen einen verwunderten Blick auf die elegante Mädchengestalt, dann wandten sie sich mit einer kurzen Frage, wie's dem Vater Frieder gehe, an Eva.

Sie erhielten keine befriedigende Antwort. Sie wußten es übrigens besser als Eva selbst, daß es mit dem Alten so gut wie aus sei, und doch wäre es keinem von ihnen eingefallen, sich der Arbeit, die auch ihr Leben gefährdete, zu enthalten. Was sollten sie auch anfangen? Und jede andere Todesart ist leichter als das Verhungern.

Eva zeigte auf eine kleine Rauchsäule, die dem Schornstein eines nahen Häuschens entstieg, das hinter dem Gebüsch ver borgen lag.

" Der Georg focht uns die Suppe," sagte sie, und sie lächelte wieder.

Im nächsten Augenblick hatten sie das Haus vor sich liegen. Sepp, jezt ein neunjähriger hübscher Bursche, war gerade im Begriff, den kleinen Blödsinnigen, der im Hemde auf der Bank vor dem Hause saß, in Vaters Weste zu fleiden. Gustel aber wehrte sich und schlug mit den Füßen um sich. Als Sepp die Schwester erblickte, fühlte er sich sofort seines Amtes, der Hüter seines Bruders zu sein, los und ledig; er warf dem Ungeber­digen die Weste über den Kopf und sprang hinweg, Eva zu rufend: Ich hab' schon gefrühstückt!" Der kleine Gustel aber, der mit seinen ungelenken Händen die Weste nicht vom Kopfe bringen konnte, und dessen Haare sich um einen Knopf gewickelt

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aufrechter und kräftiger, seine Haltung war ruhig und nicht ohne Anmut. Sie erinnerte sich nicht, daß er ihr jemals so gegen über gestanden wie heute, noch, daß seine blauen etwas scharfen Augen so fragend zu ihr herabgesehen.

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" Sie fennen mich nicht mehr, Georg Herr Georg," sezte sie korrigirend hinzu.

Bei dem Ton ihrer Stimme überflog ein Lächeln hell wie Sonnenschein dies strenge Gesicht.

" Ich hatte Sie schon vom Fenster aus erkannt," erwiderte er, und nach einer kleinen Pause: Sie sind gesund und Sie fühlen sich wohl und glücklich, Fräulein?"

" Ja," sagte sie in einem Ton, der aus tiefster Seele kam, seit ich hier bin, seit ich den See und seine schönen Berge wieder gesehen habe, bin ich glücklich. Ich will auch wieder kommen und dann hier bleiben."

"

,, Und jezt kommen Sie aus der Villa?" sagte er mit einer Bestimmtheit, die keineswegs fragend flang.

Sie nickte.

Sie haben Lefebre dort getroffen und gesprochen," sezte er eben so ruhig hinzu und als ob sich das von selbst verſtünde.

Ein leises Not stieg in ihre Wangen und ihre Augen senkten sich verwirrt. Aber es war nur die Verwirrung eines Augen­blicks, und als sie jezt wieder zu ihm emporsah, blickte sie nur um so flarer, um so bewußter und um so glücklicher. Sie fezte sich auf die Bank vor dem Hause und erzählte ihm in all ihrer reizenden Offenheit und Natürlichkeit, freilich nur im flüchtigsten Umriß, wie alles gekommen war.

Georg hatte ernst und aufmerksam zugehört. Sie haben in Lefebre einen Beschüzer gefunden; er wird über Sie wachen, und ich werde nun ruhiger sein können."

Wie er nur das sagte, wie bescheiden und doch wie fest. Mit aller Bestimmtheit nahm er sich selbst seinen Anteil an ihrem Geschick vorweg. Er zeigte ihr nicht nur seine Teilnahme, er nahm sie als ein Recht in Anspruch, ohne daß sie dies anders als in angenehmer Weise hätte berühren können.

Ein feiner Taft, ein vollendetes Zartgefühl sprach hier zu ihr, sie sagte es sich nicht, aber es tat ihr wohl.

" Lefebre hat mir auch von Ihnen gesprochen," sagte sie

herzlich, Sie sind Freunde geworden."

" Freunde, ja; obwohl wir in einem so verschiedenen Ver

hatten, begann zu schreien und tat so unwirsch, daß er von der hältnis stehen. Er ist der Geber, ich immer nur der Empfangende.

Bank herabkugelte und nun aufkreischend am Boden lag.

Eva war schon auf ihn losgestürzt, sie hob ihn auf und suchte ihn zu beruhigen. An dem kleinen offenen Fenster zeigte sich jezt ein Männerkopf, der jäh zurückfuhr, als Elsa gegen das Haus herankam. Auch sie wollte dem Kleinen zu Hülfe

Er hat viel Geduld mit meiner Unwissenheit, aber er gibt das

Beste, was ein Mensch dem andern geben kann."

" Sie haben sein Buch bereits gelesen?" fragte Elja rajdi. Nur einen Auszug aus seinem großen Werk, der als

Broschüre erschienen ist."

" Ich kann es kaum erwarten, bis es auch in meinen Händen mochte ihn kaum zu halten, er geberdete sich wie toll und schlug sein wird," erwiderte sie mit dem Feuer, mit dem man einen mit Händen und Füßen herum, rauhe zornige Laute heraus- Herzenswunsch ausspricht. Seine Brust hob sich unter einem tieferen Atemzug, unter einem stärkeren Herzschlag, aber keine

stoßend.

Da tat sich die Tür auf und Georg trat aus dem Hause. Er wendete sich Eva zu und sagte in leiser Mahnung:

,, Geh mit ihm nach rückwärts, der Vater ist eingeschlafen, er soll nicht geweckt werden!"

Eva wickelte bem blödsinnigen Kinde die Weste um den Kopf, gleichsam sein Schreien erstickend, und entfernte sich mit ihm rasch. Elsa und Georg standen einander gegenüber. Sie blickte ihn erstaunt an, und etwas Verlegenheit mischte sich in den Ausdruck ihrer Freude. Kein Jahr ist noch vergangen, seit sie ihn zum leztenmal gesehen. Er war wohl selten und immer seltener in die Villa gekommen, aber in den ersten Stunden nach dem Tode des Vaters war er mit Gerta allein um sie gewesen, und er war ihr eine Stüze geworden in dem Augen blick des höchsten Schmerzes. Aber selbst da noch war er der schüchterne unbeholfene Jüngling geblieben. Heute erschien er ihr durchaus verändert, durchaus männlicher, aber ein Fremder fast,

Um die geschlossenen Lippen, die ein Schnurrbart von seltener

Muskel verriet sonst eine Bewegung.

Wenn Sie es wünschen, ich kann Ihnen ein Exemplar

geben."

" Ich bitte Sie darum."

" Dann kommen Sie mit mir."

Elsa erhob sich.

Die

" Vorher sagen Sie mir noch rasch, wie es um den Frieder steht, ich kenne das Unglück, das ihn betroffen hat.

armen Kinder!"

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Gehirnerschütterung davon getragen."

Es ist schlimm genug. Außer der Wunde hat er eine Es wird lange danern, che er wieder arbeiten kann, nicht

wahr?"

"

"

Villeicht niemals wieder."

Und Eva und ihre Brüder sind also des Ernährers beraubt?"

" Der Valentin ist da und ich," sagte er einfach.

" Georg," ihre Stimme dämpfte sich zu einer leisen Bitte hageren länglichen Gesicht gut anstand und ihm einen ungewöhn beistehen, ich bin im Augenblick ärmer als der Aermfte, aber Schwärze umkräufelte, lag etwas Festes, Entschiedenes, das dem herab, ich kann meiner lieben Evi in ihrer ersten Not nicht

ichen Ausdruck verlieh, der sofort auffiel. Seine Gestalt schien

ich werde von der Residenz aus Hilfe senden."