Das große hohle Auge des Kranken starrte während dieser Erzählung, die er mühsam und stockend hervorbrachte, unverwandt auf die Bettdecke, zwei unheimliche Rosen erblühten auf seinen Wangen und um den Mund zuckte es wie von verhalte nen Tränen.
Klara fühlte sich bis in die innerste Seele ergriffen. Sie wagte kein Wort zu erwidern, sie konnte ihm nur stumm die Hand drücken.
Ein zitternder Seufzer rang sich aus ihrer Brust.
"
Du wirst unser guter Engel sein," stieß er nach einer Weile hastig hervor.„ Ich weiß, ich fühle es. Du wirst alles ebnen, wirst System und Ordnung in das Ganze bringen. So fann es ja auch nicht weiter gehen. Franz ist viel zu generös und unpraktisch. Er ist ebenso wenig ein Finanzgenie wie ich!" lächelte er.„ Das ist das einzige, was wir miteinander gemein haben. Sonst steht er hoch über mir an Bildung und Geist und Karakter. Ich weiß es, ich weiß es," wehrte er die Einsprache der Schwägerin ab.„ Es hat mir besonders an Karakter gefehlt sonst- ſonſt sonst wäre es mit mir nicht so weit ge
fommen."
"
Sein Ton war bis zum Flüstern herabgesunken und das bisher fiebertrockene Auge erglänzte von einer schweren Träne. Auch Kiaras Augen feuchteten sich. Da wurde die Tür des anstoßenden Gemaches geöffnet und Gertrud kam in eleganter modischer Toilette hereingehüpft. Als sie die beiden so ernst und stumm sah, blieb sie betroffen stehen, aber Reinhold fam ihrer üblen Laune zuvor, indem er seinen Beifall über ihren neuen Puz aussprach, in welchen Klara sofort einstimmte.
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Ich mußte das Kleid doch endlich einmal anziehen," rief sie halb schmollend, halb sich entschuldigend.„ Franz hat schon mehrmals danach gefragt. Es ist nämlich ein Geschenk von ihm. Aber du bekommst ein eben solches, Klärchen. Sei ganz still. Ich acceptirte es nur unter der Bedingung."
Klara war feuerrot geworden, aber sie lächelte und sagte ohne irgend welche Verleztheit zu zeigen, daß sie keine Mode dame zu werden beabsichtige und eines sich nicht für alle schicke. Dann verabschiedete sie sich von Reinhold mit einem herzlichen
Händedruck.
früher fühlte und nicht beständig jemand um sich brauchte, so fuhren alle drei zu den lebhaftesten Tageszeiten in die Stadt und nahmen die hervorragendsten Sehenswürdigkeiten in Augenschein. Klara fühlte sich von der Menge der neuen Eindrücke ermattet und bei dem Gedanken an den einsamen Kranken von geheimer Angst gequält. Sie trieb beständig nach Hause, während Gertrud sich den langentbehrten Zerstreuungen rücksichtslos hingab, und Franz schien auf diesen Exkursionen auch ganz aufzuleben. Ueberhaupt, was hatte die große Stadt aus ihm gemacht? Er, der Mann des Studiums und der Feder, war iezt unaufhörlich in Bewegung. Wenn er nicht ausging, plauderte er mit den Frauen, und alle Tage brachte er ein neues Vergnügen in Vorschlag.„ Die hübsche junge Schwägerin tut ihm leid," dachte Klara. ihm leid," dachte Klara.„ Er will sie zerstreuen. Es ist brav von ihm. Wenn er mich nur zuhause ließe."
Eines Tages sezte sie es denn auch durch, daß man ohne sie etwas unternahm. sie etwas unternahm. Mit ihrem Arbeitskörbchen und einem Buche ließ sie sich am Bette des Kranken niederum abwechselnd ihm vorzulesen und mit ihm zu plaudern. Reinhold hatte lange keine so behaglichen Stunden gehabt.
Während dessen schwärmten die beiden anderen umher. Sie wollten in eines der Teater. Aber noch war es zu früh und so machten sie in einem fashionablen Kaffee Station. Franz war im Grunde etwas verstimmt. Warum war Klara nicht mitgekommen? Was war das für eine Spießbürgerlichkeit, durchaus daheim bleiben zu wollen?
" Deine Frau ist eine echte Provinzlerin," kam Gertrud seinen Gedanken entgegen, als sie ihn stumm und mit aufgestüzten Ellenbogen seiner Gewohnheit gemäß an seinem Schnurrbart drehen sah. Er sah sie überrascht an, daß sie so in seinen Gedanken gelesen.„ Wie kommst du darauf, und warum Provinzlerin?" fragte er ein wenig furz.
" Nun, daß sie sich nicht in das Leben der Großstadt finden kann, keinen Geschmack an ihren Genüſſen findet. Denn mit Reinhold steht es doch nicht steht es doch nicht so schlecht, als daß es wirklich der Grund ihrer Weigerung, uns zu begleiten, sein könnte."
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„ Es ist ihre übergroße Gewissenhaftigkeit. Indessen, weißt du, Trudchen, ein so großer Mangel ist es nun gerade auch
nicht, wenn man dem oberflächlichen Treiben der Großstadt
feinen Geschmack abgewinnen fann." Es verdroß ihn doch etwas,
„ Gewiß nicht. Wie hast du denn eigentlich deine Frau
Das Verhältnis zwischen diesem und seiner Schwägerin war mit dieser erſten Unterredung für alle Zeit feſtgeſtellt. Es war eines, welches sich von der einen Seite auf felsenfestes Vertrauen, von der andern auf innigstes Mitleid gründete. Solch seine Frau verkleinern zu hören. einer Seele hatte Reinhold bedurft, eines so klaren, ruhigen, harmonischen Wesens, an welchem er Halt und Stüze finden kennen gelernt?" fonnte. Die Unruhe und wechselnde Stimmung seiner Frau waren Tage dort an den herrlichen Seen. Da ist man ſehr disponirt war, ihre Liebfosungen und Schelmereien ihn noch immer ent- männin trifft." wiewohl ihr reizendes Aeußere unb, wenn ſie in guter Zaune sich zu verlieben, besonders wenn man eine hübsche junge Landszückten. Ihre Macht über sein Herz besaß sie noch voll, aber
in
„ Hübsch?" stieß Gertrud hervor.„ Kann Klara je hübsch
geweſen ſein? Ich meine," lentte sie ein, da Franz ſie ver feinen verwandten Ton. Hoffte sie noch immer, oder war sie glaube ich ten angesichts des Todes zu fallen begant, amb bei ihr wundert ansah, wirklich hübsch. Ganz nett vielleicht, bas wirklich so ganz frivol, auch jezt noch Wert auf äußern Tand
aber hübsch!"
" Ist Klara nicht noch eine hübsche Frau? Du findest es
zu legen? In diesem schmerzlichen Zweifel hatte er über ihren nicht?" Karakter nachzudenken begonnen, und was er herausstudirt, hatte ihn täglich trauriger gemacht. Wie anders Klara! Sie war
Sie schüttelte nur langsam den Kopf, indem sie ihre schwellenden roten Lippen aufwarf.„ Aber," rief sie dann plözlich
"
nicht schön, nicht liebreizend wie Gertrud. Ihre Gesichtszüge und nahm eine Miene sittlicher Würde an, das ist ja ganz gehörten zu denjenigen, die erst durch die Reflexe des Geistes gleich, Sie ist so gut, so verständig, so pflichttreu
und Gemüts Karakter und Anmut gewinnen. Sie hatte eine
„ Ja, ja, diese Pflichttreue. Sie ist eine Fanatikerin der
wohlgebildete Gestalt; Kenner bewunderten sogar Einzelnheiten Pflicht. Aber das ist's, was ich am wenigsten an ihr liebe. derselben, z. B. die Linie, die Kopf und Nacken verband, die
Die Pflichttreue der Frauen hat für uns Männer nichts be
Form und Kleinheit ihrer Hände und Füße. Reiches blondes sonders Liebenswürdiges. Aber nun ist es Zeit, daß wir Haar umrahmte das schmale etwas blasse Gesicht. Das Schönste aufbrechen. Komm, fleiner Kamerad. Du bist keine Fanatiferin an ihr war die Ruhe und Milde, die sich in ihren Worten und Bewegungen fundgab. Schon ihre Stimme hatte sofort eine beschwichtigende Wirkung auf Reinhold ausgeübt.
Kranken nur wenig widmen. Er selbst, sowie seine Frau und In den ersten Tagen ihrer Anwesenheit fonnte sie sich dem Franz drangen darauf, daß sie die Residenz, wenn auch nur
der Pflicht, aber dennoch nicht pflichtvergessen. Bei Leibe nicht. Es ist mein voller Ernst. Du willst dich aber auch amüsiren. Das ist dein Recht. Fröhlich Gemüt, gesundes Geblüt. Und
nun vorwärts."
Gegen zehn Uhr verließ Klara den Kranken, nachdem sie ihn mit allem für die Nacht Erforderlichen versehen hatte: Sie
im allgemeinen, fennen lerne. Da Reinhold sich wohler als ging mum daran, das Abendbrod für ihre Vergnüglinge zu be