streng nehmende Lebenslust willkommenen Stoff zu übertreibender Verlästerung bot.
So mag denn binnen furzem seine Stellung als„ Kirchherr" zu Glarus ziemlich unhaltbar geworden sein, deshalb folgte er 1516 dem Rufe, den der freisinnige Administrator des Klosters zu Maria- Einsiedeln , Dr. Diebold von Geroldsed, an ihn ergehen ließ, und trat das bescheidene Amt eines Leutpriesters, d. i. eines Pfarrhelfers, an diesem berühmten Wallfahrtskloster an.
Auch am Schlusse seiner glarner Lebensperiode kam es Zwingli noch nicht in den Sinn, mit der römisch- katolischen Hierarchie zu brechen, doch hatte er sich inzwischen von mancherlei Fesseln der katolischen Tradition mehr und mehr frei gemacht. So ließ er in seinen einfach biblisch gehaltenen Predigten die Wundertaten der Heiligen, überhaupt die Heiligen verehrung, den Reliquienkult, die Wallfahrten und verwandte Uebungen der kirchlich sanktionirten Werkdienste in den Hinter grund treten."*)
"
In Maria Einsiedeln vollzog sich nun Zwinglis geistige Befreiung von Rom , und das ist um so leichter begreiflich, als ihm hier der arge Unfug, welchen der unter dem direkten Einflusse der römischen Oberpriesterschaft stehende Klerus mit Wallfahrten und Sündenablaß trieb, in unverhülltester Weise dicht vor Augen frat. Ueber dem Haupteingange des Klosters
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das indes Zwingli ablehnte. Der päbstliche Legat Pucci, welcher ihm den Antrag übermittelt hatte, entzog ihm deswegen jedoch seine Gunst immer noch nicht, und er, Zwingli, ver meinte seinerseits auch jezt noch, die Reformation der Kirche, welche ihm nunmehr eine Notwendigkeit schien, werde nicht gegen den Pabst und die hohe Geistlichkeit, sondern mit ihnen und durch sie zu machen sein.
" Teils mündlich, teils schriftlich drang er unter Hinweisung auf die unhaltbaren Grundlagen des Pabsttums wiederholt in den Kardinal Schinner, den päbstlichen Legaten Pucci und in den Bischof von Konstanz , Hugo von Landenberg, ihre Stellung und ihren Einfluß pflichtgemäß zur Entfernung der Irrtümer, zur Beseitigung der vielfachen groben Mißbräuche und Verderbnisse und zur Freigebung der Predigt des reinen klaren Wortes Gottes zu verwenden, widrigenfalls er und andere nicht umhin könnten, durch unbeirrte Verkündigung des Evangeliums die Wahrheit an den Tag zu bringen, die Unwahrheit zu wider fechten."*)
Freilich geht zwingli von Einsiedeln aus in seiner Auflehnung wider Rom schon einen bedeutsamen Schritt weiter: er droht! Widrigenfalls! d. h. ich und meine Gesinnungs genossen werden sich wider euch erheben, falls ihr nicht mit uns die reformatorische Arbeit tut, die wir für nötig halten. Aber selbst dadurch waren die hohen geistlichen Herren
aus
prangte die in der Tat auch die dreiſteſten Wünsche ärgster Verbrecher befriedigende Verheißung:„ Hic est plena remissio ihrer Langmut nicht herauszubringen; nicht einmal durch sein omnium peccatorum a culpa et a poena"**), und die tausende Schwyz sammt seinem schnöden Sünden- und Gnadenſchacher
und abertausende gläubiger Schäflein, welche alljährlich in dem weit über die Grenzen der Schweiz hinaus in höchstem Ansehen stehenden Wallfahrtsorte ankamen, um förperlicher oder seelischer Gebrechen ledig zu werden, sah Zwingli , wenn nicht
siegreich hinaustrieb. Im Gegenteil,
aus
**),
-mit Zangen suchten sie ihn an den Streitwagen der alleinseligmachenden Kirche festzubannen. Just um diese Zeit ernannte ihn der Legat zum Afolytenkaplan geheilt oder geheiligt, so doch sicher um ein möglichst großes seiner Tugenden und Verdienste willen", und neue größere
Häuflein von irdischem Hab und Gut durch die Vertreter des Pabstes erleichtert wieder abziehen.
Natürlich konnte der Leutpriester Zwingli daran nichts
"
Ehren wurden ihm in Aussicht gestellt für den Fall, daß er
der Kirche und dem Pabste Treue und Eifer bewahre.
wesentliches ändern, aber je weniger er nach dieser Richtung hin sich nun Zwingli nach einem Schauplaze für sein reformatori
Einfluß ausüben konnte, zog er sich das
Reformirt wurde aber natürlich nichts, und deshalb fah I und auf den Umgang mit einer Anzahl gleichgesinnter Freunde der Welt vernehmlich machen konnte. Die ihm 1517 angebotene sches Wirken um, wo er sich auch ohne Unterstützung von oben
zurück, deren geistiger Mittelpunkt er bald geworden war.
Unter der Leitung des P. Bombafius sezte er sein Studium
Pfarrstelle zu Wintertur hatte er abgelehnt, dagegen nahm er der griechischen Sprache fort und vertiefte sich in das ursprüng- priester am Großmünster in Zürich , dem„ vordriften und im Dezember 1518 die an sich unbedeutendere Stelle als Leut
lich bekanntlich griechisch geschriebene Neue Testament. Des gleichen las er die Schriften verschiedener Kirchenväter und die Reuchlins***), des geistvollen Humanisten. Auch an den
weiteren Kreisen rühmlichst bekannt gewordenen Prediger Probit obristen Orte der Eidgenossenschaft" an, wozu den schon in und Kapitel des Stifts mit großer Mehrheit gewählt hatten, Epistolae virorum obscurorum f) fand er lebhaften Gefallen. obwohl sich abmahnende Stimmen genug gegen ihn erhoben nung hervor, daß der Priester das Wort Gottes ausschließlich Mensch, der sich gegen seine Keuschheitspflichten arg verfündige. hatten, weil er ein Lebemann und Weltkind sei, ja sogar ein im Jahre 1516, zwei Jahre bevor er von dem auf demselben sich doch in dem damals wegen seiner loderen Sitten berüchtigten So treffend diese Vorwürfe allesammt auch waren, so fezte man Standpunkt angelangten Luther zum erstenmale etwas gehört Zürich leicht darüber hinweg, und als am 1. Januar 1519,
nach dem Evangelium zn predigen habe, und allsogleich, noch
hatte, begann er seiner Ueberzeugung gemäß zu wirken.
Dadurch wahrscheinlich zog er wieder die Aufmerksamkeit der hohen Geistlichkeit auf sich; diese war jedoch weit entfernt davon,
seinem 36. Geburtstage, der von Gesundheit, Kraft und Willens stärke strozende rote Uli, wie ihn die Gegner seines blühenden den seelenzwingenden Kanzelredner und, in Anbetracht der Un Großmünsters herab predigte, da war die fromme Zuhörerschaft
wissenheit des übrigen niederen Klerus, ausgezeichneten Gelehr
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-
flug
ten etwa als Kezer zu verfolgen, im Gegenteil wie die Schlangen suchte sie ihn nur um so fester an das Interesse Roms zu binden. Darum bot man ihm denn 1517
allsogleich voll von Anerkennung und Bewunderung.
von neuem ein Jahrgeld, und zwar diesmal von 100 Gulden ††). des züricher Gemeinwesens ging er mit schneidigen Worten ein,
*) Realencyklopädie für protestantische Teologie und Kirche. Gotha 1864. Bd. XVIII, S. 705.
** Hier ist zu haben die volle Befreiung der Sünden von Schuld und Strafe."
***) Johann Reuchlin ( 1455-1522), berühmter Humanist. †) Briefe von Dunkelmännern, Titel einer Anfang des 16. Jahrhunderts erschienenen Sammlung satirischer Briefe in schlechter, Mönchsoder Küchenlatein genannten, lateinischen Sprache, worin Lehren und Leben der Kirchengläubigen Teologen und Gelehrten jener Zeit in un
Brauche zuwider das Leben Christi in zusammenhängenden Und wie predigte er! Nicht nur, daß er dem herrschenden Betrachtungen darlegte, nein, auch auf die schreienden Mißstände wider den alle Zuchtlosigkeit fördernden und die ehrliche Arbeit in ihrem Wert herabsezenden Söldnerdienst donnerte er, und gegen die Trägheit und Schlemmerei, welche bewirkten, daß man das gute Land ringsum wüst liegen ließe, das zwar nicht, ziehungswesens", Bd. X, Gotha 1878. Die bezüglichen Angaben in Herzogs Realencyklovädie für protestantische Teologie und Kirche" die Sache nicht von besonderem Belang, habe ich die sehr zeitraubende Bd. XVIII, S. 702 u. flg., stimmen damit nicht völlig überein. Da
G.
barmherziger Weise dem allerdings wohlverdienten Spotte preisgegeben Untersuchung, wer recht hat, unterlassen und das mir wahrscheinlicher
werden.
++) Dies nach dem Artikel Zwingli " von Hermann Masius in Schmidts„ Encyklopädie des gesammten Unterrichts- und Er
vorkommende als richtig angenommen.
**) Der höchste der vier Grade der niedern Priesterschaft. *) Realencyklopädie für Teologie, Bd. XVIII, S. 706.