nicht in geheimen Lüsten und Ausschweisungen verkommen war, wohl mit am meisten am Herzen lag.
Die Art, wie er dieses zweite Gesuch begründete, stellt seinem gesunden Verstande und seinem kernigen Mute, ohne ängstliche Scheu und falsche Scham die Finger in schmerzhafte Wunden des eigenen Lebens zu legen, ein treffliches Zeugnis aus.
,, Eure Weisheit hat gesehen," schreibt er, das unehrbar schändliche Leben, welches wir( wir wollen allein von uns reden) bis anher mit Frauen geführt und wie wir dadurch männiglich geärgert und verbösert haben. Reinigkeit zu halten, liegt nicht an uns, sondern an Gott . Dieweil wir den gebrechlichen Leib tragen, ist gewiß, daß er uns vielfältig anficht. Wir flagen unsere Mühseligkeit, daß, sintemal uns Gott rein zu leben nicht verliehen hat, die Menschen so unmild gegen uns sind, daß sie uns in unsern Schwächen, die wir mit ihnen gemein haben, mit Unehren beschweren, das zieme uns nicht, was doch einem jeden geziemt. Nach den Worten Pauli ist es ja auch besser ehelichen, als Brunst leiden. Erbarmt euch über uns, eure treuen und gutwilligen Diener, und vergönnt uns die Ehe, damit, was vor Gott nicht sündlich ist, uns auch vor den Menschen nicht schändlich sei."
-
Natürlich dachte weder Bischof noch Tagsazung daran, dieser freundlichen Bitt und Ermahnung zu willfahren. Zwingli und Genossen hingegen fiel es auch garnicht ein, auf die hochobrig feitliche Erlaubnis zu warten. Es wurde nun vielmehr unter Zürichs Schuz flottweg geheiratet. Der erste war der Prediger Wilhelm Röubli, welcher in möglichst Aufsehen erregender Weise in den Ehestand trat, und Zwingli folgte 1524 nach, indem er die Witwe des Anton Meyer von Knonau, Anna Reinhard, mit der er schon längere Zeit in wilder Ehe, der sogenannten Gewissensehe, gelebt hatte, jezt zu seiner rechtmäßigen Gattin machte.
Dieses Beispiel wirkte, vorzugsweise auch auf Nonnen, denen der züricher Rat 1523 den Austritt aus ihrem Kloster gestattete.
Gegen Ende 1522 hatte Zwingli noch eine weitere Schrift zu Truz und Schuz folgen lassen, die er Archeteles betitelte und welcher der Franziskaner Dr. Sebastian Meyer eine Kritik des lausanner Hirtenbriefes beifügte.
288
Der Erfolg dieser reformatorischen Bemühungen ließ nicht auf sich warten. Der überwiegende Teil der niedern Weltgeistlichkeit in der Schweiz , gleichwie die große Mehrheit der Bürger von Zürich stand auf Zwinglis Seite und auch das am zähesten noch am Althergebrachten hängende Landvolk wußte er sich dadurch geneigt zu machen, daß er die Befreiung von der Bedrückung der Bauern durch den Zehnten, welchen sie an die Geistlichen zu entrichten hatten, sowie von andern drückenden Lasten auf seine Fahne schrieb.
Das oben bereits erwähnte schmeichelhafte Handschreiben des Pabstes Hadrian, welches um diese Zeit Zwingli zuging, ver
mehrte seinen Haß gegen den römischen Oberhirten so sehr, daß
er nun allgemach auch die lezte Rücksicht fahren ließ.
Und er konnte es mit Aussicht auf Erfolg jezt auf einen
lichen Religion betrachte, ohne weiteres zur Voraussezung machte, die keines Beweises mehr bedürfe. Für die streitigen Lehrmaterien sei der Nachweis der Uebereinstimmung mit der " heiligen Schrift" zu erbringen, das war die ein für Zwingli günstiges Resultat des Gesprächs sichernde Bestimmung der an die gesammte Geistlichkeit des Kantons gerichteten Ausschreibung des Rats, welche die Disputation auf den 29. Januar 1523 anberaumte.
Zur Darlegung seines reformatorischen Standpunktes stellte Zwingli 69 Tesen auf, welche im wesentlichen folgende Säze enthielten:
-
-
-
-
Der
Alle, welche behaupten, das Evangelium sei nichts ohne die Bewährung der Kirche, irren und schmähen Gott. - Welche andere Lehren dem Evangelio gleichstellen oder gar vorziehen, wissen nichts vom Evangelium. Die Lehren und Sazungen der Menschen sind nichts nüze zur Seligkeit. Christus hat alle unsere Schmerzen und Arbeit getragen; wer nun den Bußwerken zulegt, was allein Christi ist, der irret und schmähet Gott . Die wahre heilige Schrift weiß nichts vom Fegfeuer nach diesem Leben, doch ist das Gebet für die Verstorbenen nicht gerade zu verwerfen. Die heilige Schrift weiß nichts von dem unverlierbaren Karakter der Priester; sie erkennt nur solche als Priester an, welche das Wort Gottes verkünden; die Messe ist kein Opfer, sondern nur ein Wieder gedächtnis des Opfers. Christus ist der einzige Mittler zwischen Gott und uns, der einzige, ewige, oberste Priester. Bann soll nur bei öffentlichem Aergernis verhängt werden, und zwar nicht von einem einzigen Menschen, sondern durch die Kirche, d. i. nebst dem Pfarrer durch die Gemeinde. worin der Bannwürdige wohnt. Der Christ darf zu jeglicher Zeit jegliche Speise essen. Kutten, Platten und andere Aus zeichnungen sind eine Gott mißfällige Gleisnerei. Religiöse Orden und Genossenschaften können nicht bestehen, weil alle Menschen Brüder Christi und Brüder untereinander sind.- Die Gelübde der Keuschheit sind närrisch, freventlich und den frommen Menschen gefährlich. Die Geistlichen, welche statt den Dürftigen den Kirchen und Klöstern Reichtümer zuwenden, tun Christus große Schmach an, welcher Pracht und Gut dieser Welt verworfen hat. Die sogenannte geistliche Gewalt hat keinen Grund in der Lehre Christi, wohl aber die weltliche. Dieser stehen alle Gerechtsame zu, welche die Geistlichkeit sich angemaßt, und sind ihr alle Menschen Gehorsam schuldig.*)
-
-
-
Es leuchtet ein, weshalb der züricher Rat sowie jegliche weltliche Obrigkeit mit der Zwingli'schen Reformation ganz zu frieden sein konnte; sie strebte eine Umwälzung in den Machtverhältnissen zum Schaden der hohen Geistlichkeit und zu großem Nuzen der weltlichen Behörden im Verein mit den Pfarrern, den Auslegern der heiligen Schrift, an.
Daß die gesammte Gemeinde als Kirche und als lezt entscheidende Instanz in Glaubenssachen eingesezt werden sollte, mag zwar teoretisch hochbedeutsam erscheinen, hatte aber in der Praxis nur gar wenig auf sich, da ja dieser Kirche" durch die
offenen Bruch ankommen lassen, denn die Zahl und der Einfluß Bibel ein hoch über ihrer Autorität stehendes totes, höchstens
hatte sich ansehnlich vermehrt, indes die Luther 'sche Reformbewegung, der Zwingli und seine Freunde nunmehr die größte
durch die Auslegungen des Pfarrers zu belebendes Gesezbuch
gegeben ward.
Aufmerksamkeit widmeten, in Mittel- und Norddeutschland rasch Männern besuchten Versammlung die von dem züricher Rat
an Boden gewann.
So forderte Zwingli denn kühnlich alle seine Gegner zu einem öffentlichen Religionsgespräche heraus, bei welchem er
Die Kommissarien des Bischofs griffen auf der von 600 geschaffene Grundlage der Disputation ganz forreft an, indem der bischöfliche Generalvifar Dr. Faber erklärte, die Bibel ,, werde von dem einen so und von dem andern anders gedeutet vor jedermann, auch vor den Kommissarien des Bischofs, Rechen- und das in wesentlichen Punkten; daneben enthalte sie selbst Dem züricher Rat kam dieses Verlangen sicherlich sehr ge- nicht erwiesen werden, daß sie alles enthalte, was Chriftus scheinbar(!) widersprechende Stellen," ferner fönne von ihr zu der seinigen zu machen bereit war, fräftigst fördern zu können. sie von Anfang an von sämmtlichen Häretikern( Kezern) nach gelehrt, getan und seinen Aposteln aufgetragen hat; endlich sei
schaft über seine Lehre geben wolle.
legen, um die Sache der Zwingli'schen Reformation, welche er
Daher wurde die Disputation denn auch zum vorhinein so eingerichtet, daß Zwingli der Sieg bleiben mußte, indem man das, was Zwingli eigentlich hätte beweisen sollen, nämlich daß er die Bibel mit Recht als die einzig wahre Quelle der christ
"
ihren vorgefaßten Meinungen gedeutet worden."**)
*) Katolisches Kirchenlerikon, Bd. XI., S. 1317. **) Ebenda 1318.