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Wie die Dinge lagen, konnte das natürlich nichts nüzen, der Rat entschied zugunsten Zwinglis und wies alle Geistlichen des Kantons bei schwerer Strafe an, zu lehren wie Zwingli  es tat. Die Einrede des Generalvikars wider diesen Spruch hatte umsoweniger Erfolg, als er zu großer Entrüstung der steif und fest bibelgläubigen Zwinglianer die entschieden alle Tesen Zwinglis an Freisinnigkeit erheblich überbietende Be­

hauptung wagte, man könnte freundlich, friedlich und tugend­haft leben, wenngleich kein Evangelium wäre."*)

Durch den Entscheid des Rats war nun die Reformation für den Kanton Zürich   eine vollendete Tatsache; Zwingli   konnte daher in dem begonnenen Werke furchtlos fortschreiten.

( Schluß folgt.)

*) Protestantische Realencyklopädie, Bd. XVIII, S. 718.

Proben deutscher Volkspoesie der Gegenwart.

An meine Mutter.

Gute Mutter, deine Lieb' umkost mich, Und der Gram und Schmerz steigt zu mir nieder, Den du frugt um mich und meine Brüder,

Schmerz so bitterlich!

Ach, kein Mensch, kein Mensch kann dir den Dank Für erlitt'ne Seelenleiden bringen!

Und es wird auch nimmer mir gelingen, Bicht mein Leben lang.

Wem ein Herz im Mufferbusen schlägt, Sorge, daß es nimmermehr erkalfe, Dah es glück' und all' die Lieb' erhalte, Die es für ihn hegt.

Als mich Stürm' umtoften fort und fort, In des Lebens Brandung ich, umnachtet, Irrend floh, von Klipp' zu Klipp', verachtet, Bu dem eing'gen port.-

, da schwand urplözlich aller Schmerz! Und beseelt mit Mut zu neuem Leben, Kehrt' ich in die Welt mit neuem Streben Von der Mutter Herz.

Dieses Herz erhalte mir ein Goff!

Und ich will's mit freuer Liebe pflegen,

Daß es träuft aufs Haupt mir seinen Segen In der lezken Not!

Und ihr hoher Geißt wird mich umweh'n Lebenslang auf allen meinen Schriffen, Bis auch ich genug gelebt, gelitten, Weiter werde gehn.

O. Sch!

Unsere Illustrationen.

Athen   war längst erblichen, als ihm im Norden der Balkanhalbinsel  Die Belagerung von Athen.( 86 v. Chr.) Der Glanz des alten ein furchtbarer Feind erstand, das mazedonische Königtum. Philipp von Mazedonien, ein rauher Eroberer, machte in der Schlacht von Chäronea( 338 v. Chr.) der hellenischen Unabhängigkeit ein Ende, und als nach dem Tode seines Sohnes Alexander, genannt der Große, der berühmte athenische Redner und Staatsmann Demosthenes   sein Vater­land wieder zu befreien suchte, erlag er und nahm Gifts Nach wechsel­vollen Kämpfen und um der mazedonischen Soldatenherrschaft zu ent­gehen, unterwarf sich Athen   gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. den Römern, die ihm durch ein Bündnis den Bestand als freie Stadt garantirten. Aber die römische Freundschaft war immer eine schwere

hausten um fein Haar besser in Griechenland   als die Mazedonier. Als daher der König Mithridates von Pontus in Kleinasien  , der große Feind der Römer, seinen ersten großen Krieg gegen die Römer begann, Römer in Kleinasien  , brachte einen allgemeinen Aufstand in Kleinasien  machte er sich diese Stimmung der Athener   zu Nuzen. Er schlug die gegen sie zustande, so daß ihrer 80 000 an einem Tage ermordet wurden, auf und sandte seine Feldherren Archelaos und Dorylaos mit großen Streitkräften nach Griechenland   hinüber. Die demokratischen Athener  , deren Unzufriedenheit über die von den Römern ihnen aufgezwungene aristokratische Verfassung den höchsten Grad erreicht hatte, erhoben sich um 88 v. Chr. und schlossen sich unter ihrem Feldherrn Aristion dem Heere des Königs Mithridates an. Senat den furchtbaren Lucius Cornelius Sulla   nach Griechenland   ent­sendet, der ein gleich großer Feldherr wie blutgieriger Despot war und der später in Rom   eine Diktatur einführte, die an blutigem Terroris mus alles Bisherige hinter sich ließ. Die Feldherrn des pontischen Königs und Aristion konnten sich im Felde gegen Sulla   nicht halten; sie wurden aus ihren Stellungen vertrieben, und Sulla   rückte nach Athen   vor, das er im Jahre 86 belagerte und auch eroberte. Er nahm wesen, und verfuhr weit barbarischer als ein halbes Jahrhundert zuvor eine exemplarische Rache an der Stadt, die einst die erste der Welt ge­sein Landsmann Mummius mit der Stadt Korinth  , wo lezterer, als man ihn bat, die Kunstschäze zu schonen, antwortete: Wenn etwas zerbricht, kann man es wieder machen lassen." Athen   verlor zum

Allein schon hatte der römische

zweitenmal seine berühmten langen Mauern, welche die Stadt mit dem 12 km von der Stadt entfernten Seehafen, dem Piräeus, verbanden. Im Jahre 404 hatten die Spartaner diese Befestigungswerte sammt den 40 Ellen hohen, von Themistokles aus großen Quadern erbauten Ring­mauern niedergerissen; sie waren aber wieder aufgerichtet worden. Jezt vollzog Sulla   das Zerstörungswerk gründlicher. Flotte und Hafen­arsenal wurden den Athenern genommen, die Häupter des Aufstandes, deren man habhaft werden konnte, verfielen dem Henker und eine große Anzahl Bürger wurden in die Sklaverei verkauft. Von diesem Schlage erholte sich Athen   nie wieder, trozdem der römische Kaiser Hadrian   den Versuch machte, es wieder zur Blüte zu bringen. Daß Sulla Athen zum Fall bringen konnte, während noch die Heere des Mithridates auf griechischem Boden standen, legt Zeugnis ab für seine strategische Be­fähigung. In den Jahren 86 und 85 schlug er den Archelaos entschei­dend und ging über den Hellespont   nach Kleinasien  , worauf Mithridates  Frieden mit ihm schloß. So war Griechenland   wieder ganz unterworfen.

Unsere Illustration( S. 280-281) stellt eine Episode aus der Be­lagerung Athens   dar. Als man in der Stadt erfuhr, daß der ge­fürchtete Sulla heranrückte, waren viele der Ansicht, die Stadt könne sich nicht halten, und eine Anzahl derer, die sich bei dem Aufstande

blutdürſtigen Römers zu entgehen. Als Ariſtion dies vernahm, ließ

er sogleich die Thore schließen und die Wälle besezen. Aber die Wachen wurden bestochen und eine große Anzahl von Athenern ließ sich an Stricken über die Stadtmauern hinab und entfloh. Sie wußten recht gut, daß sie selbst und ihre Mitbürger nicht mehr aus dem Stoff jener 300 Spartaner gemacht seien, die an dem Engpaß von Thermopylä in ruhmvollem Kampfe gegen die Uebermacht der Perser fochten und starben.

Der Künstler hat zu seiner Darstellung den Moment gewählt, da die Flüchtlinge mit Weib und Kind und mit ihren Waffen sich über die Mauer hinablassen, in tiefer Nacht, ungewiß des Schicksals, das ihrer harrt. Im Vordergrund sehen wir eine schöne Griechin mit ihrem Kinde die gefährliche Luftreise machen; neben ihr läßt sich ein junger Grieche mit seiner Geliebten herab. Es ist nicht mehr das klassische Athen  , das sie verlassen, aber ihr Herz hängt doch daran, denn, wie Uhland sagt:

Jedem ist das Elend finster, Jedem glänzt sein Vaterland!"

Der blutige Sulla hat freilich noch Schlachtopfer genug vor­gefunden. A. T.