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gessen ist. Wir meinen Karl Albrecht von Haller, jene große Leuchte der Wissenschaft im vorigen Jahrhundert, der bei seinen Beitgenossen nicht genügende, aber doch so hohe Anerkennung fand, daß sie nur noch in der einen von den vielen Wissen schaften, in welchen er Epochemachendes leistete, in der Botanik, den berühmten Linné über ihn stellten. Haller war der erste Dichter, der auf die großartigen Naturschönheiten der Alpenwelt in umfassender Weise aufmerksam machte und sie in wohlflingenden Versen besang, so daß seine Zeitgenossen die Alpen dadurch erst würdigen lernten. Früher war man bei Beurteilung der Alpen mehr von der Anschauung ausgegangen, daß sie in crster Linie schwer und mühsam zu umgehende Verkehrshindernisse seien. Wurde doch selbst der vorschauende und seinem Zeitalter so weit vorauseilende Goethe erst durch die Gesänge Hallers auf die Alpenschönheiten aufmerksam gemacht und zu einer Alpenreise bewogen. Wir sezen einige Strophen aus Hallers berühmtem Lehrgedicht„ Die Alpen ", das 1729 verfaßt ist, hierher. Er beschreibt den Anblick der Alpen beim Sonnenaufgang:
Ein angenehm Gemisch von Bergen, Fels und See'n
Fällt, nach und nach erbleicht, doch deutlich ins Gesicht, Die graue Ferne schließt ein Stranz beglänzter Höh'n, Worauf ein schwarzer Wald die lezten Strahlen bricht: Bald zeigt ein nah Gebirg die sanft erhabnen Hügel, Wovon ein laut Geblök im Tale widerhallt; Bald scheint ein breiter See ein Meilen langer Spiegel, Auf deffen glatter Flut ein zitternd Feuer wallt; Bald aber öffnet sich ein Strich von grünen Tälern, Die hin und her gekrümmt sich im Entfernen schmälern. Dort senkt ein kahler Berg die glatten Wände nieder, Den ein verjährtes Eis dem Himmel gleich getürmt, Sein frostiger Krystall schickt alle Strahlen wieder, Den die gestiegne Hiz' im Krebs umsonst bestürmt. Nicht fern vom Eise streckt voll futterreicher Weide Ein fruchtbares Gebirg den breiten Rücken her; Sein sanfter Abhang glänzt von reifendem Getreide Und seine Hügel sind von hundert Herden schwer. Den nahen Gegenstand von unterschiednen Zonen Trennt nur ein enges Tal, wo fühle Schatten wohnen. Hier zeigt ein steiler Berg die mauergleichen Spizen, Ein Waldstrom eilt hindurch und stürzet Fall auf Fall, Der dick beschäumte Fluß dringt durch der Felsen Rizen Und schießt mit jäher Kraft weit über ihren Wall: Das dünne Wasser teilt des tiefen Falles Eile, In der verdickten Luft schwebt ein bewegtes Grau, Ein Regenbogen strahlt durch die bestäubten Teile Und das entfernte Tal trinkt ein beständig's Tau; Ein Wandrer sieht erstaunt im Himmel Ströme fließen, Die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gießen. Doch wer den edlern Sinn, den Kunst und Weisheit schärfen, Durchs weite Reich der Welt empor zur Wahrheit schwingt, Der wird an feinen Ort gelehrte Blicke werfen,
schaft ist voll erhabener Erscheinungen und fühner Taten. Sie sind nicht alle historisch, diese Heldengestalten, aber in der Sage erscheinen sie als die Verkörperung des heldenhaften Geistes dieses Bergvolkes, das seine Feinde so oft todesmutig niederwarf. So wie Follen den sagenhaften Helden Arnold von Winkelried besingt:
Im Harst) von Unterwalden, da ragt ein Heldenkind Hochhäuptig über alle, die selbst gewaltig sind;
Schön steht er wie der Engel des Herrn aus Edens Gauen, Finster und verschlossen, fast grausig anzuschauen-
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so wie dieser gewaltige Necke, den die Sage die Speere der Feinde sich selbst ins Herz drücken läßt mit den Worten: „ Ich will euch eine Gasse machen, liebe Eidgenossen; sorgt für mein Weib und meine Kinder" so müssen sie gewesen sein, jene Tapferen, die bei Morgarten, bei Sempach , am Stoß siegten, die bei St. Jakob die Uebermacht der Armagnaken ( armen Gecken") aufhielten und die in drei blutigen Schlachten ihren furchtbarsten Feind, den Herzog Karl den Kühnen von Burgund, troz seiner Uebermacht schlugen und endlich vernichteten. Im ganzen war es ein armes und rauhes Volk, das seine Heimat so tapfer verteidigte, wie denn die Erscheinung häufig ist, daß ein armes Land von seinen Bewohnern viel tapferer verteidigt wird, als ein solches, dessen Bewohner durch Ueppigkeit entnervt sind.
Den Gemeindeangehörigen war und ist noch zum großen Teil die Existenz garantirt durch das Anrecht auf die Parzelle ( Allmend), die die Gemeinden ihren Bürgern zuloosten und noch zuloosen; aber viele tausende trieb und treibt die Armut alljährlich hinaus, um sich draußen in der großen Welt einen lohnenden Erwerb zu suchen. Man trifft überall Söhne der alten Helvetia ; viele kehren wieder zurück, wenn sie sich etwas erworben. Im Auslande haben sie schon oft fremden Herren gedient und häufig in Kriegen für schlechte Zwecke in großen Massen gefochten; nie aber hat man gehört, daß Schweizer unter fremden Eroberern gegen ihr Vaterland gekämpft haben.
Die Dichtung hat sich bald der großen Schweizersagen bemächtigt und keine jener Heldengestalten in Sage und Geschichte ist populärer geworden, als Wilhelm Tell , den Friedrich Schiller mit dem ganzen Zauber seiner Phantasie und der ganzen Kraft seines poetischen Genius geweiht hat. Daß Tell keine historische Person ist, tut garnichts zur Sache, ist längst bekannt und brauchte nicht immer wieder mit einer gewissen Schadenfreude betont zu werden; bewundern wir doch die Gestaltungskraft des Dichters, der eine sagenhafte Gestalt so zu beleben wußte, daß sie von Unkundigen- für eine histo rische gehalten wurde. Im Tell wird uns gezeigt, welche Gestalten der Geist jener Zeit zu schaffen befähigt war. Da stehen wir heute am Vierwaldstättersee, der im Schoße eines tiefen Gebirgstessels sich hinstreckt, und da sind sie alle, die bekannten Orte, die Schiller in seinem Drama vorführt. Da ist das Rütli, wo die Männer der drei Waldkantone den Schwur taten, frei zu sein, wie die Väter es waren, da ist der verhängnisvolle Weg nach Küßnacht, wo Tell dem Geßler erscheint, und dort ist auch die Tellplatte, wo er, der Gefangene in des
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Wo nicht ein Wunder ihn zum Stehn und Forschen zwingt. Macht durch der Weisheit Licht die Gruft der Erde heiter, Die Silberblumen trägt und Gold den Bächen schenkt; Durchsucht den holden Bau der buntgeschmückten Kräuter, Die ein verliebter West mit frühen Perlen tränkt; Ihr werdet alles schön und doch verschieden finden Und den zu reichen Schaz stets graben, nie ergründen. Diese Klangreichen Verse erschlossen den Schoß der Alpen , und man ist ihnen mit der Zeit insofern immer näher gerückt, Landvogts Gewalt, dessen Hut er nicht grüßen wollte, den
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weil
als man Mittel und Wege fand, auch in diesen Gebirgen den Berkehr zu erleichtern. Hannibal und Napoleon waren von ihrer Zeit angestaunt der erstere wohl am meisten fie mit Heeresmacht das eisbedeckte Felsenmeer überschritten; unsere Zeit, die mit immer mehr sich entwickelnden technischen Kräften arbeitende, hat nicht minder Großes vollbracht, indem sie den felsigen Riesenleib des Gotthard durchstach und so das große Verkehrshindernis zwischen dem Norden und Süden völlig
aufhob.
Auf diesen Bergen und in den Tälern haust ein freies Geschlecht, das sich selbst seine Geseze gibt und das in unzähligen Kämpfen, meistens siegreich, für seine Unabhängigkeit geftritten und geblutet hat. Die heutige Schweiz leidet, wie alle modernen Staaten, auch an den modernen Uebeln; allein die Geschichte dieser kleinen und freiheitsliebenden Eidgenossen
kühnen Sprung in die Freiheit tat. Wir wollen es hier nicht übergehen, wie der Dichter seinen Helden diese Tat erzählen
läßt:
Tell.
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Ich lag im Schiff, mit Stricken festgebunden, Wehrlos, ein aufgegebner Mann, nicht hofft' ich Das frohe Licht der Sonne mehr zu sehn, Der Gattin und der Kinder liebes Antliz, Und trostlos blickt' ich in die Wasserwüste
armer Mann!
Fischer. Tell.
So fuhren wir dahin, Der Vogt, Rudolf der Harras und die Knechte. Mein Köcher aber mit der Armbrust lag Am hintern Gransen bei dem Steuerruder.
*, Schlachthaufen.