422

Aus dem Familienleben der Vögel.

Von Damian Gronen.

Das Familienleben der Vögel trägt im ganzen einen solchen Karakter, daß es füglich mit der Ehe des Menschen verglichen werden kann und gewiß in solchem Sinne gewürdigt zu werden verdient, umsomehr, als wir jener Lebensweise bei keiner anderen Tierklasse in gleichem Maße begegnen.

Längst hat die aufmerksame Forschung nachgewiesen, daß nur die Vögel in Einehe leben, also wirkliche Ehen schließen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß alljährlich ein und dasselbe Paar sich wiederfindet. Fast untrügliche Beobachtungen an Schwalben, Störchen, Raub- und Singvögeln haben dargetan, daß bei ihnen vollkommene Einehe herrscht, und daß, wenn keine außerordent lich störenden Verhältnisse die Gatten trennen, diese sich alljähr­lich nicht allein wieder zusammengesellen, sondern auch ihre alten Brutörter aufsuchen. Auch die inbrünstige Zärtlichkeit der Paare während des Nistens, die Dienste, welche sie sich gegenseitig leisten durch zutragen der Nahrung, durch Freude und Wonne, welche sich bei vielen durch Geberde, Laut und Gesang in dieser Zeit so feierlich verkündet, endlich das lange Verweilen vieler Eltern bei ihren Jungen bis in den Herbst hinein: dies alles deutet auf ein Verhältnis unter den Vögeln, dem man den schönen Namen der Ehe kaum vorenthalten sollte.

Um Ausdrücke des menschlichen Familienlebens beizubehalten: von der Schließung der Ehe bis zur Wochenstube ist in der Regel nicht weit. Und diese ist es nebst der Erziehung, wie sie bei dem Volke der Lüfte wahrgenommen wird, welche uns hier hauptsächlich beschäftigen soll.. Wir folgen darin im all­gemeinen den liebenswürdigen Beobachtern der Tierwelt, den Brüdern Müller und deren prächtigem Buche über Wohnungen und Eigentümlichkeiten in der Tierwelt, dessen Empfehlung wir bei dieser Gelegenheit gern wiederholen.

Die Sorgfalt, mit welcher der Vogel seine Wohnung zum Schuze seiner Jungen herrichtet, erhöht sich womöglich noch, wenn die Hausfrau in die Wochen kommt und das Pärchen kleine Familie" erhält. Nichts ist rührender, als die Liebe der Vögel zu ihren Jungen, und nichts wird versäumt, diese lezteren vor Gefahr zu schüzen. Manche verursachen zwar ihren Eltern wenig Mühe, indem sie, ihrer raschen Entwicklung gemäß, gewöhnlich nur der Führung und des Schuzes derselben vor Kälte, in den wenigsten Fällen aber des Aczens und Fütterns bedürfen. Gänse und Enten, Land- und Wasserhühner, Trap: pen, Schnepfenvögel und Strandläufer folgen meist bald und viele sofort, nachdem sie dem Ei entschlüpft sind, den Allten, unter deren Leitung ihre Nahrung suchend, und sich höchstens Nachts oder bei unwirtlichem Wetter unter die Flügel der Mutter bergend.

Schwer wird im allgemeinen die Sorge um die Heran­ziehung der Jungen denjenigen Vögeln, deren Nestlinge oft mehrere Wochen im elterlichen Hause verweilen, bis sie flügge geworden sind und selbst dann noch einige Zeit ernährt werden müssen. Sie bedürfen einer viel sorgfältigeren Pflege und Wartung. Die Pflege äußert sich bei diesen Vögeln in der ersten Zeit durch Erwärmung der kahlen oder mit dünnen Flaumen versehenen zarten Jungen. Nachts oder bei schlechter Witterung behütet das treue Elternpaar, besonders aber die Wöchnerin, durch Sizen über den Jungen, diese vor Kälte und Nässe, auch wenn deren Federn schon längst mit Fähnchen ver­sehen sind.

Das Bedecken wird mit dem Heranwachsen der Jungen ein immer loseres, luftigeres, so daß die Nestlinge hinlänglich Lust

und Raum unter Brust und Flügeln der Alten behalten. Höhlen­bewohnende Vögel, z. B. Schwalben, räumen sogar, wenn die Behausung mit dem Größerwerden der Kinder für sie zu enge wird, Nachts das Nest, um in dessen Nachbarschaft, oft neben

demselben, zu schlafen. Bis zur Zeit, wo die Brut das Nest

verläßt, halten die Eltern dasselbe im saubersten Zustande.

Die Insekten fressenden Vögel haben bei der Erziehung ihrer Kinder die größte Last, da oft fünf bis sechs, bisweilen ein Duzend Gelbschnäbel unaufhörlich der kleinen Kerbtierbissen harren, welche die rührigen Alten von früh bis spät dem Wasser und der Luft, der Erde und den Gewässern abjagen müssen. Man hat beobachtet, daß ein Zaunkönigpärchen, durch die unab lässige Kerbtierjagd für ihre zahlreichen Kinder totmüde auf Augenblicke neben dem Nest, den Kopf zwischen den Flügeln sich einem furzen Schlummer hingab.

"

"

"

Alle Vögel lassen, wenn sie Junge haben, eigentümliche Warn- und Angsttöne hören, bei welchen das junge Völkchen, je nach der Eigentümlichkeit, entweder sich verbirgt oder in dem Schreien nach Futter plözlich verstummt und gewöhnlich regungs­los dasizt. Die Grasmücken warnen mit Gäzz" oder Gätsch" und Jäck", der Mönch und die fahle Grasmücke mit einem heimlichen Döch" neben dem schallenden Deck", das Rotkehl chen mit seinem langgezogenen Zieh", der Stiegliz mit einem dem menschlichen Pfeifen ähnlichen leisen, verhältnismäßig tiefen Ton. Den Baumpieper verläßt die Sorge um die Nachkommen schaft den ganzen lieben Tag nicht und preßt ihm ein unauf hörliches Zi- zi- zi" aus. Die Nachtigall flagt mit Vit" und Grrrvit", Singdrossel und Amsel lassen ein wiederholtes Tack" hören. Besonders sind es unter unseren einheimischen Vögeln die grauen Fliegenfänger und die Edelfinken, welche ihre Besorg nisse für ihre Kinder bei der Annäherung an die Wochenstube durch ein wahres Angstgeschrei ausdrücken.

"

Hübsch liest sich das Tagebuch, welches Michelet führte, als sein Zeisigweibchen ihr erstes Kind bekam. Zuerst muß ich," erzählt er, bemerken, daß das Zeisigweibchen im Käfig geboren war und niemals ein Nest, also das Wochenbett, hatte machen sehen. Sobald ich sie über ihre bevorstehende Mutterschaft in Unruhe sah, öffnete ich ihr häufig die Tür ihres Käfigs und gestattete ihr, im Zimmer die Stoffe zu dem Lager zu suchen, dessen das Kleine bedürfen mußte. Sie sammelte allerdings dies und jenes ein, ohne aber zu wissen, was sie damit ans fangen sollte. Sie trug die Stoffe in eine Ede des Käfigs zusammen und stieß und drückte daran herum. Es war offen­bar, daß die Kunst zum Bauen ihr nicht angeboren war.

Ich gab ihr ein fertiges Nest, oder wenigstens den Korb dazu. Nun machte sie die Matraze, indem sie die Wände, so es gehen wollte, filzte. Dann brütete sie ihr Ei sechszehn Tage lang mit rührender Ausdauer. Nur wenige Minuten des Tages unterbrach sie die so ermüdende Pflicht, und auch dann nur, wenn es dem Männchen genehm war, sie abzulösen.

" Am sechszehnten Tage brach die Schale entzwei und man sah im Neste kleine Flügel ohne Federn, fleine Füße, ein unbe stimmtes Etwas sich bewegen, das sich Mühe gab, die Schale ganz los zu werden. Der Körper bestand aus einem großen kugelförmigen Bauche. Die Mutter betrachtete vom Rande des Korbes aus mit vorgestrecktem Halse, großen Augen und auf­und niedergehenden Flügeln ihr Kind, das mit Ausnahme weniger Flaumen an den Flügeln und auf dem Kopfe ganz nackt war.

blos zu trinken, wobei dieses schon einen sehr respektablen " Am ersten Tage gab die Zeisig- Wöchnerin ihrem Kinde Schlund öffnete. Von Zeit zu Zeit entfernte sie sich etwas, damit das Junge besser atmien könne; dann nahm sie es wieder unter ihre Flügel und frottirte es zart und leiſe. Am fünften Tage waren die Augen minder hervorstehend, am sechsten Tage brachen an den Flügeln schon die Federn hervor, und der Rücken wurde dunkler. Am achten Tage öffnete der junge Vogel, wenn man ihn rief, die Augen und begann zu fallen. Bis dahin hatte es die Wöchnerin allein ernährt. Jezt versuchte es auch Liebe der Vater, ihm Nahrung beizubringen. Oft sezte sich die Mutter

ihr Kind."