möglichen psychischen Zustände, und nur der halbe Mensch ist definirt, wenn man nur sein geistiges Wesen im Wachen in Betracht zieht. Nicht im Wachen wohl aber im Somnambulis­mus vermögen wir es, die Diagnose unseres Inneren vorzu nehmen und die nötigen Heilmittel anzugeben. Ein Gegensaz zum Wachen zeigt sich auch in der größeren Angemessenheit der Mienen und Geberden zu den inneren Empfindungen der Som nambulen; ihre Sprache veredelt sich und ihr Erinnerungsver­mögen umfaßt längst vergessene Dinge. Ihre Visionen sind häufig allegorisch, wie ja häufig schon im gewöhnlichen Traum, so daß sie selbst oft den Sinn derselben nicht verstehen. Ihre Mienen verraten den Ausdruck eines ihrer neuen Lage ent­sprechenden Nachsinnens und ein hochgesteigertes Wohlsein. Wenn ihr inneres Leben zur höchsten Klarheit sich steigert, so zeigen sie auch eine moralische und intellektuelle Steigerung, welche leztere aber nicht als erhöhte Reflexion aufzufassen ist, sondern intuitive Erkenntnisweise, wie es stattfindet in den mit dem Somnambulismus verwandten Zuständen des Instinkt und der künstlerischen Produktion, mit vorwiegender Beteiligung des Ge­fühls und der Phantasie. Nehmen wir hierzu noch das Hell­sehen mit seinem Abstreifen der Erkenntnisformen Raum und Zeit worin die beste Bestätigung der Lehre Kants liegt- so kann man wohl sagen, daß sich im Somnambulismus eine dem sinnlichen Bewußtsein verschlossene Welt offenbart, und ein dem normalen Selbstbewußtsein verschlossenes Jch. Die physio­logische und philosophische Erkenntnisteorie sind darüber längst im Reinen, daß die Welt unsere Vorstellung ist, die sich mit der Wirklichkeit nicht deckt; sie anerkennen eine jenseits unserer Sinne liegende transzendentale Welt. Dies wird bestätigt durch den Somnambulismus; er zeigt, daß unser Bewußtsein die Welt nicht erschöpft, indem die bloße Verschiebung der Empfin­dungsschwelle auch den Schleier von der transzendentalen Welt einigermaßen lüftet; er zeigt aber auch, daß das Gleiche vom Selbstbewußtsein, als einem bloßen Spezialfall des Bewußt seins, gilt, d. h. daß unser Selbstbewußtsein unser Ich nicht erschöpft, indem eine bloße Verschiebung der Empfindungs­schwelle die transzendentale Verlängerung des Ich als Be­wohner jener transzendentalen Welt erkennen läßt.

-

517

tauchenden Gedanken als Endresultat eines unbewußten Prozesses auffaßt. Einen größeren Schritt hat die Philosophie getan, und Hartmann hat in der ganzen Welt der Erscheinungen diesen für unser Bewußtsein unauflöslichen Kern des Unbewußten nach­gewiesen. Damit ist nun für die Weiterentwicklung der Philo­sophie eine bestimmte Richtung angezeigt. Zunächst handelt es sich um eine nähere Definition des Unbewußten. Offenbar ist cine solche nur dann möglich, wenn Zustände des Menschen gegeben wären, worin die normale Empfindungsschwelle unseres Bewußtseins und Selbstbewußtseins verschoben ist. Das geschieht nun im Somnambulismus. Wir erkennen aus ihm, daß unsere unbewußten Funktionen nur relativ unbewußt sind, nämlich nur für den sinnlich erkennenden Menschen, daß sie aber begleitet sind von einem transzendentalen Bewußtsein wodurch eben die Selbstdiagnose der Somnambulen möglich wird. Das Gleiche gilt vom Instinkt und der genialen Produktion, die ebenfalls vom transzendentalen Bewußtsein begleitet sind. Weil nun aber dieses transzendentale Bewußtsein unserem Ich in seiner trans­zendentalen Verlängerung angehört, und die Individualität im Somnambulismus keineswegs panteistisch zerfließt, sondern sogar gesteigert wird, so muß zunächst von dem Unbewußten der panteistischen Systeme eine große Provinz losgetrennt werden, und der metaphysische Individualismus tritt wieder in sein ihm verkümmertes Recht.

Das Individuum liegt also diesseits und jenseits der Em­pfindungsschwelle. Diese beiden Hälften unseres Wesens ver­halten sich aber wie zwei Schalen einer Wage; die eine taucht über die Empfindungsschwelle in dem Maße auf, als die andere sinft. Wenn die Somnambulen erwachen, schrumpft ihr Be­wußtsein und Selbstbewußtsein zum normalen Zustande des Wachens zusammen. Die Empfindungsschwelle bewirkt also aller­dings einen Dualismus unseres Wesens; aber es ist das ein gleichsam nur optischer Dualismus von zwei Personen eines monistischen Subjekts, wie ein Doppelstern in seinem gemein­schaftlichen Gravitationspunkt monistisch   aufgehoben ist. Die menschliche Seelenlehre, welche von der modernen Naturwissen schaft wegen ihres Dualismus preisgegeben worden ist, verliert also dieses anstößige Merkmal und wird monistisch.

Bisher ist das Unbewußte von der Physiologie nur aner- So bildet also der Somnambulismus die Grundlage für fannt worden inbezug auf die vegetativen Funktionen des Dr- ein den Menschen betreffendes Lehrgebäude, dessen Inhalt sich zu­ganismus, die sich ohne Anteil des bewußten Willens voll- sammenfassen läßt als Lehre von der Zweieinigkeit des Menschen. ziehen, und im Denken, indem sie den im Bewußtsein auf­

Unser Bauwesen und seine Reform.

Von Karl Frohme  .

Schwerwiegend sind auch die wirtschaftlichen Nachteile des Mietskasernensystems. Es veranlaßt, besonders in Zeiten, wo der Wohnungsmangel von den Mietskasernenbefizern durch Steigerung der Mieten ausgenuzt wird häufigen Wohnungswechsel. So wechselt in Berlin   nahezu die Hälfte aller Mieter jährlich ihre Wohnung. Niemand ist sicher, im nächsten Quartal noch in der gegenwärtig von ihm bewohnten Behausung zu sein. Es geht ein Zug der Unruhe und Be­ängstigung durch die Masse der Mieter. Ein flüchtiges Nomaden­leben tritt an die Stelle einer ruhigen angesessenen Existenz. Es bildet sich eine ewig wandernde, sich gewaltsam drängende und stoßende Bevölkerung, welche voll Mißmut über die Un­sicherheit ihres häuslichen Lebens und über die unverhältnismäßig hohen Preise ihres zeitlichen Obdachs das Gefühl der Anhäng­lichkeit an den heimatlichen Boden notwendig einbüßen muß. Diese Klasse geradewegs heimatloser Menschen bildet in jeder Großstadt die immense Majorität, den Grundstock der Bevölkerung. Ihr gegenüber steht eine Minorität, welche von den Häusern, die sie befizt, nicht blos ihre Lebensrente bezieht, wo es irgend angeht. Hierdurch bildet sich" sondern dieselbe auch auf Kosten der Mehrheit mühelos steigert,

-

sagt Geheim­

-

( Forts. statt Schluß.)

rat Dr. Engel- ein neuer Klassenhaß aus, ein Haß zwischen Vermietern und Mietern."

Der häufige Wohnungswechsel als Folge des Mietkasernen­systems macht einen großen, völlig unproduktiven Aufwand für Umzugskosten nötig, führt Beschädigung, also Entwertung der Mobilien herbei und leistet der Unsolidität ausgedehnter Indu­striezweige bedeutend Vorschub.

Die meisten derjenigen, welche nie in einer Wohnung heimisch werden können, bald in diese bald in jene geworfen werden, richten sich so ein, daß sie ihre Mobilien und sonstigen Ein­richtungen bei jedem Wechsel ganz oder zum Teil mit wechseln. Entweder sie mieten sich Möbel auf bestimmte Zeit, oder sie nehmen auf wohlfeilen Hausrat bedacht, den sie morgen mit derselben Gleichgiltigkeit verkaufen, mit welcher sie ihn heute anschaffen. Gleichzeitig sind sie bestrebt, durch äußerliche Ele­ganz ihrer häuslichen Einrichtung deren innere Wertlosigkeit zu verdecken. Die Erfahrung hat eben gelehrt, wie sehr die Möbel bei häufigen Umzügen an ihrem Werte verlieren, und nicht mit Unrecht heißt es deshalb im Volksmunde:" Dreimal umziehen

ist so schlimm wie einmal abbrennen."

Hier hätten wir also einen sehr engen Zusammenhang der