Schweigen Sie!" brüllte der Inspektor jezt mit Wut. Sie haben Ihre Arbeiten nicht gemacht und deshalb den Ab­schluß der Bücher verzögert."

Und nun werden Sie keinen Orden bekommen," ergänzte Magnus.

Sie sind entlassen, sofort entlassen," sagte der Inspektor mit heiserer Stimme.

" Ich danke," sagte Herr Magnus, nahm seinen Hut und ging. Draußen hörte er noch, wie der Inspektor drinnen donnerte

und wetterte.

Es war ihm wohl, als er die dumpfige Atmosphäre der Schreibstube hinter sich hatte und die frische Seeluft um seine glühenden Wangen spielte. Die Zukunft fümmerte ihn nicht; vor allen Dingen war er frei, die Welt stand ihm wieder offen, von der ihn die Schreibstube getrennt hatte, und er sagte sich mit Scheffel:

Viel lieber jung ein Reitersmann Und sterben im Gefecht,

Als acht ig Jahre und sodann

Ein buckliger Schreibersknecht."*)

Aber nun mußte er zu Minna, um ihr sein übervolles Herz auszuschütten. Sie empfing ihn zärtlich und liebreizend wie immer; der Alte war auf dem See. Als er sich über das Widerfahrene beklagte, verschloß sie ihm mit Küssen den Mund. Das wird nicht so schlimm sein," sagte sie. Als die Stunde fam, in der der Vater nach Hause zu kommen pflegte, drängte sie Herrn Magnus sanft hinaus. Du kannst immer fommen," sprach sie, auch wenn der Vater da ist; heute soll er dich aber lieber nicht sehen."

"

Wie nun Herr Magnus davon schritt, kamen doch ernste Gedanken über ihn. Und als er am Abend dieses Tages in sein Gasthaus kam, da merkte er, daß mit den Bureaukraten, wenn sie auch klein sind, nicht immer gut Kirschen essen ist. Man sah ihn mit sonderbaren Blicken an und aus allerlei An­spielungen erfuhr er gar bald, wie es in der Stadt schon herum sei, daß ihn der Inspektor wegen Faulheit, Unfähigkeit und Liederlichkeit entlassen habe.

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Num fühlte Herr Magnus erst die Wirkungen des klein­städtischen Lebens. Der Klatsch verfolgte ihn. Die wenigen Bekannten, die er in den ersten Tagen gewann, wandten sich von ihm ab. Sein Sinn wurde trübe wie das Wetter. Es regnete, der See wurde von heftigen Stürmen gepeitscht und hing voller Nebel. Minna sah er andern Tags am Fenster; sie schien ihm verweinte Augen zu haben, doch grüßte sie ihn freundlich. Am Abend ging er hin; der alte Fischer war zurück­haltend und einfilbig. Minna war nicht da; auf die Frage nach ihr wurde ihm die Mitteilung, sie habe sich stark erkältet und sei zu Bett gegangen, wobei der Alte noch betonte, sein Kind dürfe Nachts nicht mehr in den Garten gehen; man er fälte sich gar zu leicht. Herr Magnus verstand die Anspielung. Er empfahl sich bald, ohne daß der Alte ihn zum Wieder

fommen aufforderte.

Herr Magnus war recht unglücklich an diesem Tag. Er fühlte, wie sein guter Leumund unter kleinstädtischem Klatsch und elender Verleumdung zerrann. Und als er nach Hause kam, fand er dazu noch einen Brief von seinen Verwandten, in dem ihm mit dürren Worten angekündigt war, daß sie nach dem, was auf dem Hauptzollamt vorgefallen, ihre Hand für

immer von ihm abzögen.

So kam ein Schlag nach dem andern und Magnus war nahe daran, den Mut zu verlieren. Aber da besann er sich noch zur rechten Zeit, daß er als ein Mann den Kampf mit allen Widerwärtigkeiten aufnehmen und durchfechten müsse. Da er von seinen Freunden fern und ohne alle Bundesgenossen war, so beschloß er sich auf seinen nächsten und zuverlässigsten Freund

zu stüzen, auf sich selbst. In dieser Nacht floh jeglicher Schlaf seine Augen. Herr Magnus schritt rastlos in seinem Zimmer

auf und nieder, unruhige Gedanken in seinem Haupte umher­

* In den Fliegenden Blättern ", Jahrgang 1848.

wälzend. Endlich aber sezte er sich an den Tisch und schrieb und schrieb in einem fort die ganze Nacht. Schon erblich der Schimmer seiner Lampe im Morgenrot da machte er den lezten Federstrich; dann aber warf er sich erschöpft auf sein Bett und tat einen langen, gesunden Schlaf.

Er hatte an die Revisoren geschrieben, die jüngst im Zoll­amt gewesen, und hatte auseinandergesezt, daß er in das Zoll­amt gekommen sei mit dem besten Willen, tüchtig zu arbeiten, wie er auch seinen Verwandten versprochen. Doch habe man ihn ohne alle Unterweisung gelassen und ihn gleich von anfang an grob behandelt, weil er den Inspektor nicht Oberinspektor" titulirt habe; dann habe der Inspektor ihm offenbar übel ge­nommen, daß er die Frühmesse nicht besucht habe und ferner habe er ihm Vorwürfe darüber gemacht, daß er sich in Gesell­schaft einer jungen Dame übrigens im Beisein von deren Vater befunden. Dieser unbilligen Behandlung habe man dann die Krone aufgesezt, indem nicht nur in der Stadt, son­dern auch auswärts ausgesprengt worden sei, daß er wegen Faul­heit, Unfähigkeit und Liederlichkeit aus dem Zollamt entlassen worden sei. Er fügte eine Darstellung seines bisherigen Lebens­laufs, sowie einige vorteilhafte Zeugnisse hinzu und bat, daß man ihm Genugtuung verschaffen möge für das Unrecht, das er erlitten.

-

Herr Magnus wußte gar nicht, welchen guten Griff er getan, denn der Oberrevisor, an den er sich gewendet hatte, war ein alter Feind, des Zollinspektors und ein sehr einflußreicher Mann. Daher kam es auch, daß diese Angelegenheit mit merkwürdiger Schnelligkeit erledigt wurde.

Magnus trauerte einige Tage und wartete auf eine Gelegen heit, Minna zu sprechen, denn er wollte sich im Fischerhause nun nicht ohne weiteres aufdrängen. Mehrmals strich er um das Haus, drin er Schön Minna wußte, aber sie tam niemals ans Fenster, und das Wetter war abscheulich, so daß sie auch nicht in den Garten kam.

Da waren eines Morgens die Nebel über dem See von einem frischen Winde weggefegt und die Alpenhäupter schim merten im Morgenrot. Der Morgenwind schwellte die Segel der Schiffe auf dem See und ihr Kiel durchschnitt rasch die Wogen mit den weißen Kämmen.

Ein sonnenheller Tag läßt es auch im Gemüt des Menschen hell und sonnig werden; darum schaute Herr Magnus freudiger als sonst in den jungen Tag hinein. Er wußte eigentlich nicht warum. Er trieb sich, da er nichts zu tun hatte, einige Stunden am Ufer des Sees umher und kam wohlgemut nach Hause. Dort fand er zwei Schreiben vor; ein kleines Billet, das offen­bar nicht durch die Post befördert worden war. Eine süße Ahnung befiel ihn; er öffnete das Briefchen und fand auf rosa Papier nur die Worte:

Mut! Deine M."

Er drückte das Billet an seine Lippen. Also sie war ihm doch geblieben! Dagegen galt ihm der Abfall aller anderen sehr

wenig.

Nun öffnete er das andere Schreiben, das mit einem mäch tigen Amtssiegel versehen war. Seine Züge zeigten die höchste Spannung. Als er zu Ende gelesen hatte, schien er von der größten Zuversicht und Genugtuung erfüllt.

Herr Magnus verwendete heute ungewöhnlich viel Sorgfalt auf seine Toilette. Dabei war er so vergnügt wie noch nie. Er sang und pfiff in einem fort. Endlich verließ er seine Wohnung und schritt stolz gehobenen Hauptes über die Straße. Auf dem Marktplaz begegnete ihm des Inspektors Töchterlein Elise. Sie sah ihn neugierig an, allein er war so hochmütig, gar keine Notiz von ihr zu nehmen. Er fam auch am Zoll­Dort klopfte ihm jemand am Fenster, offenbar der Inspektor

zu hören. Er schritt direkt aufs Fischerhaus zu.

nicht

Dort empfing ihn der Alte und zwar nicht am freundlichsten. dem Alten lebhaft und eindringlich gesprochen und ihm auch

den Brief gezeigt hatte.

mit