Elsa, immer noch auf ihrem entfernten Plaze stehend, glaubt zu sehen, wie der Geliebte das zarte kleine Wesen sorgsam mit cinem Tuch umwickelt und es einem der herbeigeeilten Männer in die Arme legt.

Ihr Auge füßt ihn von der Ferne aus. Da läßt eine Bewegung Cölestins sie unwillkürlich nach diesem hin sehen.

Im jähen Sprung hat er sich aufgerichtet, er ist wie empor­geschnellt von Entsezen. Seine Arme erheben sich und strecken sich beschwörend dem Berg entgegen.

Auch sie muß nach dieser Richtung hin blicken, und ihre Augen vergrößern sich, ihre Lippen öffnen sich im Schreck und aus ihrer Kehle, die sich zusammenschnürt, dringt ein Röcheln.

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Da oben, da oben-! Die Bergwand, die so frei her­vorragt, ist in Bewegung sie spaltet sich sie klafft. Die Tannen da oben, ein Wald, sie legen sich um, wie Aehren vom Sturm gebeugt. Und nun ein Wanken und Ineinanderfallen, ein schauerliches Dröhnen- und losgerissen ist das Gestein von allen Seiten, und zu einem wilden Sprunge ausholend, stürzt der schwarze, zuckende Riesenleib senkrecht herunter.

Ein Krachen ist's, als ginge die Welt aus den Fugen, ein Donnern, ein Brüllen, das zur Gräßlichkeit gesteigert in den Bergen widerhallt.

Die felsige Masse ist auf das schon vorhandene Gestein wie auf einer Terrasse aufgefallen, aber sie kann unter der Wucht des immer Nachstürzenden nicht verweilen und da sie in den felsigen Grund nicht hineingetrieben werden kann, so springt sie in die widerstandslose Luft hinaus.

All diese lagernden Massen werden von den nachfolgenden herausgequetscht, hinausgeschleudert mit unberechenbarer Gewalt, und sie fliegen nun horizontal einer Wolfe gleich, die haushohe Felsen mit sich führt, ins Tal hinaus. Rollend kommt es herangeflogen, in Stücken aneinanderstoßend und wieder aus­einanderstiebend, jeder Fels in andern Sprüngen.

Hier sprizt es nach oben wie in einem Bogen durch die Luft, indes der untere Rand fast eine gerade Linie bildet; man kann darunter hindurchsehen.

Elsa, betäubt, von Entsezen gebannt, blickt nach dem Gatten. Cölestin hat Arnold gefaßt und reißt ihn mit sich fort. Sie fliehen in rasendem Lauf- sie werden der Wolke entrinnen.

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Da bleibt Cölestin plözlich stehen; was tut er? will er sie erwarten? Er will es, er wendet die Brust ihr entgegen. Aber Arnold stürzt vorwärts, immer vorwärts er wird sich retten! ja, er wird Ah! Da rollt auch schon die Wolke heran ein Poltern und Dröhnen Entsezen! Sie sieht sie über Arnold hinwegfliegen sie sieht ihn noch darunter cine Sekunde dann ist alles verhüllt von Rauch und Qualm und Nacht.

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Ein Orkan brüllt heran, der Erdboden zittert und der heulende Sturm hat nun auch sie erfaßt. Sie fühlt sich empor gehoben und wieder zu Boden geworfen, mit Erde und kleinen Steinen beworfen-sie verliert das Bewußtsein.

Die schwarze Wolke hat sich gesenkt, alles zudeckend, alles zermalmend in einem Augenblick.

Aber die Masse ist einmal im Schwung, der herabgestürzte Riesenleib ist zu fürchtlicher Lebendigkeit erwacht, und obwohl in Trümmer zerschlagen, scheint jedes Stück noch von einem besonderen Leben durchzuckt.

Die Massen können sich nicht beruhigen, und am Boden angelangt toben sie noch weiter und winden sich und bohren sich ineinander in entsezlichen Zuckungen.

Einem Strom gleich wälzt es sich dahin, das Gestein in unverminderter Wut aneinanderstoßend, sich überschlagend und wieder im Stoß aneinandertreffend, daß die Funken sprühen und ein tiefer Baß, wie der Ausdruck ihres zornigen Wesens, dazwischen brüllt.

Und außer diesem tiefen und donnernden Lärmen läßt sich ein hohes Quieken vernehmen, ein ohrenzerreißendes, gellendes Knirschen, erzeugt durch die wütendste Selbstzerstörung.

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Das zerschmettert und zerschellt sich gegenseitig. Durch immerwährendes Aufeinanderstoßen sucht es sich zu verkleinern, zu zerreiben, bis es in dieser Reibung endlich seine Kräfte erschöpft hat.

Jezt liegt es ruhig und bis zur Glut erhizt. Unendlicher Staub ist aufgewirbelt und verfinstert die Luft und lagert sich allmälich über diesen Riesenleib, der noch immer atmet, und Dunst und Rauch ausströmt und stinkende, erstickende Dämpfe.

Da läßt sich ein abermaliges Donnern und Brausen ver­nehmen, und in Wogen, mit nicht minder verheerender Gewalt, kommt das Wasser einhergestürzt.

Der Waldbach war durch diesen zweiten Sturz verschüttet worden; nach einer Richtung hin durch das Gestein selbst ein­gedämmt, bricht er sich gewaltsam Bahn nach einer andern.

Das wildeinhertosende Wasser hat sein Bett verlassen und stürzt nun in brausenden Katarakten über diese Blöcke hinweg. Es verschlingt den Staub und nimmt den heißen, verpesteten Dampf des Gesteins in sich auf. In hundert Arme sich teilend, stürzt er vorwärts, dem See entgegen.

Die Menschen, die in der Lahn außerhalb des Schuttstromes geblieben waren, sind geflohen.

Allmälich breitet sich Nacht über diese Stätte der Ver­nichtung, der Verwüstung- eine weiche, laue, friedliche Som mernacht.

26. Kapitel.

Georg war, der Verabredung gemäß, nach jenem Punkte herabgestiegen, wo er das Paar erwarten durfte, als die erste Detonation erfolgte, die in den Bergen schaurig widerhallte. Er deutete sie richtig. Die befürchtete und doch nicht erwartete Katastrophe war eingetroffen. Die heftigste Angst und Besorg­nis um das Schicksal der Lahn hatte ihn sofort nach jener Seite des Berges getrieben, von wo er dieselbe übersehen konnte. Die Ortschaft schien ihm von dem Sturze unberührt geblieben, als er aber genauer hinsah, glaubte er zu bemerken, daß die Magazine und mehrere in dieser Richtung liegende Häuschen zerstört und umgerissen waren. Darunter mußte sich auch das Haus des Frieder befinden.

Sein alter Freund lag vielleicht unter den stürzenden Trüm mern begraben, aber Eva und Sepp mußten bereits das Haus verlassen haben und nach der Villa gefahren sein.

Er begann zu laufen. Seine Angst und Beklemmung stiegen immer höher, und er war noch so weit von dem Orte des Unglücks entfernt.

Da erfolgte der zweite Sturz, gerade vierzig Minuten nach dem ersten.

Das Tosen und Krachen war fürchterlich. Er sah den Berg sich ablösen, sah, wie hierauf eine schwere, undurchdringliche Wolfe, wie vom Sturm gejagt, vom Berge hinausfuhr über das Tal, dann verhüllte sich ihm alles in schwarzen Dampf und Staub.

Er folgte jezt nicht mehr dem Wege, geradeaus stürzte er über Klüfte und Schluchten, wo fein Fuß sich sonst hinüber wagt. Er blieb auch nicht immer auf den Füßen, er glitt und follerte abwechselnd, bis er an der Serpentine des Salzberges angelangt war, und mum wieder den Ausblick gegen die Lahn und zugleich gegen den See hatte.

Entsezlicher Anblick! Die lachende Ortschaft war verschwun den. Nur der äußerste rechtsseitige Winkel der Lahn war ver schont geblieben, sonst erinnerte nichts mehr an das Bestehende, Gewesene, alles war vernichtet in einem Augenblick.

Das Bett des Waldbachs war verschüttet und dieser raste nun in fesselloser Freiheit über den Schutt dahin. Die Schutt massen aber zeigten in ihrem Dahinfahren ebenfalls die Be­wegung eines Wasser oder Lavastromes: in der Mitte am mächtigsten, am weitesten vorgeschoben, hatten sie hier den See erreicht, während sie an den Seiten, wo auch die Schuttdichtig feit abnahm, zurückblieben, Aber das Haus seiner Mutter, das lezte von Amsee, lag noch in der Richtung des Stroms. War auch dieses unter dem Schutt begraben? Uebermannt von