Die fleinen Leute wohnen in den Tiefen der Berge oder in abgelegenen Gegenden in kleinen Häuschen und treten mit den Menschen in vielfachen, freundlichen Verkehr, sie melken die Kühe und säubern das Haus, Verfolgte nehmen sie bei sich auf, wie Schneewittchen; bisweilen verleihen sie auch ihren Schüz lingen Reichtümer, welche freilich nicht immer denselben zum Glücke gereichen. Werden ihre freundlichen Bemühungen mit Undank gelohnt oder auch nur ihr geheimes Wirken belauscht, so tritt eine auffallende Reizbarkeit und Heftigkeit hervor, die geradezu den Karakter der Rachsucht annehmen kann.

Die Sucht, welche beiden, den Riesen wie den Zwerg geschlechtern eigentümlich ist, sich mit Frauen der gewöhnlichen Menschen zu verbinden, deutet auf Hindernisse, welche die Er­haltung ihrer Art findet. Troz großer Reichtümer, welche sie zu gewinnen wissen, ist ihre Existenz eine bedrohte und gehen sie gewöhnlich durch gewaltige Naturereignisse zu Grunde, welche mit ihrem Wohnort, dem Gebirge, zusammenhängen, wie die Felsstürze in den Titanenkämpfen oder die Ausbreitung der Gletscher bei dem Verschwinden der Zwerge, wie in König Laurins Rosengarten, dessen im Abendrot erglühende Zinnen auf Bozen   niederschauen.

Sind das alles Ammenmärchen, erfunden von der abenteu­ernden Phantasie der Kinder und naiver Völker? Zu unserer Zeit, welche soviel Sagenhaftes aus dem Erdboden wieder ans Tageslicht gefördert hat, welche die Gestalten Homers   in ihren Ueberresten und Wohnstätten uns wieder sichtbar vor Augen gebracht hat, kann man faum mehr bezweifeln, daß der schaffende Menschengeist zu jeglicher Zeit seine Gebilde zunächst nach vor­handenen Mustern gestaltete, wobei freilich im weiteren Ver­laufe des Fabulirens die Bildung unmöglicher Gestalten, wic der Centauren, nicht ausgeschlossen ist.

Selbst die Spuren ihrer Wohnstätten scheinen noch nicht gänzlich verschwunden zu sein, wie die cyklopischen Mauern in vielen Gebirgen Italiens   und Griechenlands   und die Heiden hüsli der schwyzer Alpen beweisen, welche leztere sich durch die auffallende Kleinheit der erhaltenen Mauerreste auszeichnen.

Wo aber sind ihre Bewohner geblieben? Nun, sie leben noch unter uns als Produkte patologischer Einflüsse, hier und da in solcher Anzahl, daß sie den typischen Karakter einer ganzen Bevölkerung bestimmen. Und ferner, ihre Wohnstätten sind noch immer, wie in der Sage, die Gebirgsländer.

Die Zwerge der Sage werden in der Gegenwart repräsentirt durch die Kretinen, welche in ziemlich allen Gebirgen in gruppen­weiser Verteilung angetroffen werden, während Riesenbildungen, allerdings mehr vereinzelt, in denselben Gegenden vorkommen. Was die ersteren betrifft, so wird niemand, welcher die eigen­tümliche Körpergestalt derselben jemals genau betrachtet hat, daran zweifeln können, daß sie es gewesen sind, welche der Volkssage bei der Gestaltung der Zwerge zum Modell gedient haben.

Nicht allein die geringe Körpergröße fommt inbetracht, in viel höherem Grade noch die eigentümliche Gesichtsbildung, die eingedrückte breite Nasenwurzel, der weite Augenabstand, die vorspringenden Backenfnochen, ferner der schleifende Gang; alles Besonderheiten, welche von einem vorzeitigen Aufhören des Längenwachstums der einzelnen Knochen abhängen. Auch die geistigen Eigenschaften der Kretinen entsprechen den Schilderungen der Zwergsage, indem sie, falls ihr geistiges Vermögen einiger maßen ausgebildet ist, dieselben Eigentümlichkeiten zur Schau tragen, welche als ein Stehenbleiben auf kindlicher Entwicklungs­stufe bezeichnet werden können.

Es ist bekannt genug. wie diese Deformität, neben Kropf, Taubstummheit und mannichfachen nervösen Störungen in manchen Gegenden der Gebirgsländer endemisch vorkommt und, wenn sie in hohem Grade entwickelt ist, der ganzen Bevölkerung ein eigentümliches Gepräge verleiht, indem einzelne fretinistische Züge auch bei geistig entwickelten Bewohnern solcher Gegenden wahrzunehmen sind. So gibt es kaum einen auffälligeren Gegen­saz zwischen Menschen von gleicher Abstammung, als es der­jenige ist, welchen die jezigen Bewohner einzelner Teile von

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Salzburg   darbieten gegenüber den vertriebenen protestantischen Salzburgern, welche sich in der norddeutschen Tiefebene ange­siedelt haben. Man möchte sie geradezu für verschiedene Racen halten, und die armseligen Bewohner des schönen Hochtals z. B., welches sich von St. Johann   im Pongau   gegen die Radstädter Tauern erstreckt, eher für Abkömmlinge von Kalmücken und Baschkiren halten, als für Seitenglieder jenes schönen und kräf­tigen deutschen Volkstammes.

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Was nun den Widerpart der Zwerg- und Kretinenbildung betrifft, den Riesenwuchs, so ist es bis jezt wenig bemerkt worden, daß auch dieser vorzugsweise in Gebirgsgegenden vor­kommt, wenigstens in seiner patologischen Form. Zwar dürfte die größte durchschnittliche Körperlänge nicht bei den Gebirgs­bewohnern, sondern vielmehr bei denjenigen der Ebene gesucht werden, so übertreffen in dieser Beziehung die Küstenbewohner an der Nord- und Ostsee   alle übrigen deutschen   Stämme, wo hingegen die Bergbewohner sich in der Regel durch gedrungenere Körperform auszeichnen. Doch kommen Ausnahmen für einzelne Talschaften vor, welche dann gewöhnlich auf Einwanderung fremder Racen bezogen werden, wie dieses bei den Haslitalern im Katon Bern und den Bewohnern von Elm   im Kanton Glarus   der Fall ist. Eine genauere Untersuchung der Körper­beschaffenheit und namentlich der Wachstumsverhältnisse würde hier sicher Aufschluß geben, doch hat sich die Aufmerksamkeit der Antropologen noch nicht diesen Fragen zugewendet.

Dagegen sind eine Reihe von Fällen außergewöhnlicher Größe beschrieben worden, die größtenteils aus den Alpengebieten her­stammen. So hat Langer in Wien   eine Anzahl von Riesen­skeletten beschrieben, welche sich teils dort vorfinden, teils in Salzburg   und Innsbruck  . In allen diesen Fällen ist über die Entstehung des Riesenwuchses nicht bekannt, ob der selbe während der natürlichen Wachstumsperiode des Körpers oder erst später, unter patologischen Erscheinungen sich entwickelt hat. Doch sind ihnen besondere Karaktere gemeinsam mit solchen Fällen, in denen eine neue Periode des Wachstums selbst in späterem Lebensalter erfolgte.

Ein Fall der lezteren Art, welcher noch zu den patologischen Seltenheiten gehört, wurde vor einem Jahre von Dr. Fritsche in Glarus   in der schweizerischen Naturforscher- Versammlung vorgestellt. Der Vorgestellte starb seither und wurde ich durch die Güte des genannten Kollegen in den Stand gesezt, die Sektion zu machen und durch die Untersuchung der vergrößerten Teile Einsicht zu gewinnen in die Natur des Prozesses.

Hier können nur die Hauptzüge des eigentümlichen Krank­heitsbildes erwähnt werden. Die Krankheit begann erst im 36. Lebensjahre des bis dahin vollkommen gesunden und wohl­entwickelten Mannes unter vagen Schmerzen in den Gliedern; die sich einstellende Vergrößerung des Körpers war besonders auffällig durch sechs Jahre, schien dann stille zu stehen. Während dieser Zeit trat eine allmäliche Abnahme der Körperkräfte ein und ging endlich Patient ziemlich unerwartet an einer Herz­lähmung zu Grunde.

Das übermäßige Wachstum der Teile war nun, wie in allen ähnlichen Fällen, ein ungleichmäßiges und zwar in der Weise, daß die äußersten Enden der Glieder( Zehen pp.) am stärksten sich vergrößerten. An jedem Teil aber wuchsen die einzelnen, denselben zusammensezenden Gewebe in gleichmäßiger, der Gesammtzunahme proportionaler Weise. Die inneren Or­gane verhalten sich in dieser Beziehung ganz gleichmäßig wie die äußeren, nur einige derselben, wie der Hirnanhang( Hypophysis) und die Thymus( Kehlkopf) hatten entschieden in viel höherem Maße zugenommen, als die übrigen. Die Vergrößerung des Hirnanhanges findet sich ebenso in den Fällen Langers, er schlossen aus der Beschaffenheit des Steletts, der Erweiterung der Sella turcica, wie auch in einem dem unseren ganz ähn lichen Fall, der in Florenz   von Brigidi beobachtet wurde. Es macht dics den Eindruck, als wenn diese Organe, deren Bedeutung gänzlich unbekannt ist, in einer näheren Beziehung zu den Wachstumsverhältnissen stehen.

Sonst sei nur noch der eigentümlichen Formveränderung